Gefährliche Wirbelschleppen
Luftverwirbelungen hinter Flugzeugen, sogenannte Wirbelschleppen, können für nachfolgende Flieger gefährlich werden. Bislang müssen Piloten deshalb große Abstände einhalten. Das könnte sich bald mit einer neuen Technik ändern.
Auf dem Frankfurter Flughafen landen die Flugzeuge im Minutentakt. Dabei sind die anfliegenden Maschinen – bedingt durch die hohen Geschwindigkeiten – immer noch sechs, sieben, teilweise zehn Kilometer voneinander entfernt. Das ist im Grunde auch gut so, weil nämlich die "Wirbelschleppen" der Maschinen eine ganze Weile über der Landebahn für Turbulenzen sorgen und die nachfolgenden Flieger in Schwierigkeiten bringen könnten.
International gelten daher starre Abstandsregelungen – auch hoch oben in den Luftkorridoren. Das könnte sich bald ändern, wenn die Flugzeuge ein Wirbelschleppen-Prognose-Programm an Bord haben, das derzeit beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Braunschweig entwickelt wird.
Forschungsflughafen Braunschweig: Zwölf Meter hohe Schiebetüren öffnen sich im Hangar des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Die ATRA – ein Airbus vom Typ A 320 – wird startklar gemacht. Aufgabe der ATRA wird sein, eine kräftige Wirbelschleppe zu erzeugen, erklärt Prof. Klaus-Uwe Hahn vom Institut für Flugsystemtechnik:
"Also die Stärke dieser rotierenden Walzen ist abhängig von dem Gewicht des Flugzeugs, was sie erzeugt. Je schwerer das Flugzeug , desto intensiver diese Wirbelschleppe ..."
Unsichtbare Luftwalzen kontrollieren
Wenig später hebt die rund 80 Tonnen schwere ATRA ab. An den Tragflächen entstehen sie quasi automatisch: unsichtbare Luftwalzen, die sich mit hoher Geschwindigkeit gegenläufig drehen, selbst dann, wenn das Flugzeug längst schon weitergeflogen ist. Nicht auszudenken, wenn ein kleineres Flugzeug in diese Turbulenz gerät – besonders beim Landeanflug.
Da man die Wirbelschleppen mit bloßem Auge nicht erkennen kann, entwickelte Dr. Fethi Abdelmoula ein Programm, das die Luftwirbel auf einem Monitor sichtbar macht. Zurück im Hangar erklärt der Wissenschaftler, wie das Computerprogramm arbeitet:
"Es wird grafisch so dargestellt als weißer Kondensstreifen, so ähnlich wie man unten die Kondensstreifen sieht. Zum Beispiel mit der Krümmung und so weiter. Das sieht auf dem Display ganz ähnlich aus."
Die Daten zur Berechnung der Wirbelschleppen kommen drahtlos per Funk: Grundsätzlich übermitteln nämlich alle Flugzeuge ihre Position, Flugroute und die Geschwindigkeit. So weiß das Programm, wo die Wirbelschleppe entsteht und wie sie verläuft. Hinzu kommen noch Wetterdaten wie zum Beispiel die Windgeschwindigkeit, denn Wirbelschleppen können verdriften. Last but not least ist auch die Position des eigenen Flugzeugs von Bedeutung, um zu wissen, wie weit es noch bis zur Wirbelschleppe ist.
Bei fast allen 90 Testflügen verlässlich gearbeitet
Um zu testen, ob das Prognoseprogramm funktioniert, hatte der Airbus eine wichtige Aufgabe. Die ATRA flog kreuz und quer, um Wirbelschleppen zu erzeugen, die anschließend von einer viel kleineren Falcon – ebenfalls ein DLR-Flugzeug – durchflogen wurde. Dr. Fethi Abdelmoula klappt ein Laptop auf und zeigt so einen Durchflug als Videoaufnahme:
"Ja, wir wollen jetzt hier genau in diesen Kondensstreifen direkt reinfliegen."
Den Kondensstreifen – also die Wirbelschleppe der ATRA – sehen die Falcon-Piloten als weißliche Linie auf dem Monitor. Die Anzeige verrät ihnen, dass es in wenigen Sekunden turbulent werden dürfte.
Und tatsächlich: die Maschine ruckelt, so als wenn man mit dem Auto über eine Straße voll mit Schlaglöchern fährt. Die Wirbelschleppen-Prognose hat bei fast allen 90 Testflügen verlässlich gearbeitet. Das Programm ist das Resultat einer mehr als zehnjährigen Arbeit. Diverse DLR-Institute hatten an der komplizierten Software mitgewirkt. Einer der wissenschaftlichen Autoren ist Tobias Bauer:
"Man hat heute relativ große Abstände gerade zwischen landenden Flugzeugen, um solche Wirbelschleppen-Anflüge zu vermeiden. Und wenn das Flugzeug mit einem solchem System ausgerüstet ist, kann man sich natürlich schon vorstellen, dass man ohne Sicherheitsverluste auch etwas dichter dran kommen kann und dann halt die Landeabstände verringern kann."
Abschied von starren Abstandsregeln
Bis zu 15 Kilometer Abstand muss ein kleines Flugzeug zu einem voraus fliegenden Jumbo einhalten. Wegen der gefährlichen Wirbelschleppen. Bei gleich großen Maschinen sind es immer noch fünf Kilometer. Unabhängig davon, ob die Wirbelschleppe im Luftraum über der Startbahn noch da ist oder nicht. Wind zum Beispiel kann die Luftwirbel schnell vertreiben. Das Wirbelschleppen-Programm könnte nun dazu führen, dass man sich von den starren Abstandsregeln verabschiedet, sagt Prof. Stefan Levedag, Leiter des Instituts für Flugsystemtechnik.
"Die Abstandsproblematik ist eines der ganz wenigen Stellräder, die wir heute noch haben, um den Verkehrsdurchsatz von existierenden Flughäfen zu erhöhen. Und wir versuchen Lösungen zu finden, diesen Abstand zu reduzieren und gleichzeitig die Sicherheit zu erhöhen."
Bis das System in das Cockpit der Flugzeuge kommt, werden nach Einschätzung der Experten aber noch Jahre vergehen.