Luis Alegre: Lob der Homosexualität
Aus dem Spanischen von Thomas Schultz
C. H. Beck Verlag, München 2019, 220 Seiten, 18,00 Euro
Wie queere Subkulturen die Gesellschaft bereichern
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Eine Frau mit Bärtchen, ein Papa im Kleid – Schwule, Lesben und Transgender stellen spielerisch Geschlechterklischees infrage, findet der Philosoph Luis Alegre. Sein "Lob der Homosexualität" feiert ihren mutigen Drang zur Freiheit.
Schwule, lesbische und queere Subkulturen bereichern die gesamte Gesellschaft, schreibt Luis Alegre in "Lob der Homosexualität" begeistert: mit ihrem mutigen Drang zu Freiheit, ungeachtet persönlicher Nachteile, mit ihrer Absage an stupide Reglements, wie Menschen sich aufeinander zu beziehen und dabei ihre Körper einzusetzen haben, mit ihrer demonstrativen Verspieltheit, Integrationskraft und Lebensfreude.
Genderforschung, Psychoanalyse und Philosophie
In seinem Buch verpackt der spanische Philosoph die theoretischen Überlegungen der Genderforschung, angereichert mit Psychoanalyse und Sigmund Freud, in einen frischen, bilderreichen Text.
Die Phänomene der menschlichen Welt seien in Waben organisiert, erklärt er. Zur "Wabe Weiblichkeit" gehören neben einer Vagina solche disparaten Elemente wie gerne Kosmetik verwenden und plaudern, sozial eher defensiv auftreten und sich für luftige Kleidung interessieren.
Die "Wabe Männlichkeit" enthält neben dem Penis auch die Begrüßung Gleichgeschlechtlicher durch einen Schlag auf den Rücken sowie eine Vorliebe für Werkzeug und abwertende Bemerkungen über Frauen.
Fruchtbare Dissonanz zur herrschenden Ordnung
Schwule, Lesben und Transgender sind gegenüber Heterosexuellen im Vorteil, begreifen sie doch schon in ihrer Kindheit, dass diese Waben nicht gott- oder naturgegeben, sondern konstruiert sind, so Luis Alegre. Die Realität ihres Fühlens und Begehrens treibt sie in eine prinzipielle und fruchtbare Dissonanz zur herrschenden Ordnung der Welt. Also brechen sie diese Waben spielerisch auf, organisieren ihre Elemente überraschend neu und anders, tragen als Frau ein Bärtchen und als Mann ein Kleid, streifen nachts als Lederkerl umher und werden sonntags Mamas lieber Junge.
Die Freiheit menschlichen Handelns
Eines taugt zur Ehrenrettung der Homosexualität nicht, betont der Autor: der Bezug auf die Biologie. Menschen sollten ihre Körper einvernehmlich frei zusammenbringen können, nicht weil gleichgeschlechtlicher Sex auch bei Delphinen und Bonobos an der Tagesordnung ist, sondern weil weder Delphine noch Bonobos noch eine heterosexuell herbeifantasierte Natur über menschliches Handeln zu bestimmen haben - ganz gleich, ob es dabei um Sex, Kunst oder Politik geht.
"Freiheit", das ist der Schlüsselbegriff, zu dem Luis Alegre immer wieder zurückkehrt.
Verliebt in die schwule Subkultur
Ja, das Buch hat blinde Flecken: Luis Alegre feiert schwulen Sex mit Dating-Apps und Drogenkonsum, längst auch per Nadel in die Venen, als per se Normen transzendierend und in ihrem erotischen Variantenreichtum unvergleichbar mit piefigen Swinger-Clubs für Heteropaare.
Ernsthaft? Man muss schon sehr verliebt in die schwule Subkultur sein, um die Ödnis des massiven Jugend- und Körperkults darin zu übersehen oder auch die bei vielen Schwulen durchaus üblichen Ressentiments gegenüber Frauen.
Umso überzeugender lesen sich Luis Alegres Betrachtungen über die queere Szene im Schlussteil seines Buches: Unter dem Q versammele sich ein ganzes Aktionsprogramm zur Befreiung des Menschen zu seiner ursprünglichen, glückseligen, ozeanischen Ganzheit – kleiner macht Luis Alegre es nicht und genau das macht Spaß.