„Der Klima-Atlas“

Abstürzende Kirschblüten

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Das Buchcover von "Der Klimaatlas" zeigt eine Illustration: In rot und weiß gehalten geht eine Weltkugel in ein Thermometer über. Der Hintergrund ist grau gehalten.
© Rowohlt

Luisa Neubauer, Christian Endt, Ole Häntzschel

Der Klima-Atlas: 80 Karten für die Welt von morgenRowohlt Verlag, Hamburg 2024

208 Seiten

28,00 Euro

Von Susanne Billig |
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Der Klimawandel scheint oft abstrakt. Ein neues Buch macht klar, wie konkret er ist: In 80 Karten zeigen Aktivistin Luisa Neubauer, Journalist Christian Endt und Grafiker Ole Häntzschel wenig bekannte und oft überraschende Aspekte der Klimakrise.
Eine Zeitachse vom Jahr 890 bis heute, darüber eine Kurve, gezeichnet aus japanischen Kirschblüten. Sie springt leicht im Zickzack – mal blühen die Kirschen am 100. Tag des Jahres, mal zehn Tage später. Ab der Wende zum 20. Jahrhundert stürzt die Kurve jäh nach unten: Weil der Frühling in Japan immer eher beginnt, öffnen sich auch die Blüten immer früher.

Veränderung anschaulich gemacht

In der Einleitung zu ihrem gemeinsamen Buch „Der Klima-Atlas: 80 Karten für die Welt von morgen“ schreiben die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer und der Zeit-Online-Journalist Christian Endt selbstbewusst: „Wir nehmen uns heraus, einen untypischen Atlas zu präsentieren.“ Sie meinen damit nicht nur die Breite der dargestellten Inhalte und auch Stimmungslagen – düster, witzig, hoffnungsvoll, historisch, zukunftsorientiert. Dazu kommt, dass der Atlas den Klimanotstand nicht statisch als heutigen oder morgigen Zustand präsentieren, sondern vor allem Dynamiken und Transformationen bildlich erfassen soll.
In acht Kapiteln geht es um einen geografischen, ökologischen, gesundheitlichen, gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und technologischen Wandel, um einen Wandel, der im Schlechten wie im Guten bereits stattgefunden hat, und um einen Wandel, der noch zu leisten wäre, möchte die Menschheit sich selbst vor einer Drei-Grad-Erhöhung der Jahresdurchschnittstemperaturen bewahren.
Tatsächlich gelingt es dem Atlas-Team immer wieder, dem Thema überraschende Seiten abzugewinnen. So ist auf einem Tortendiagramm, das die Anmutung der parlamentarischen Stuhlreihen imitiert, zu sehen, wie viele Reden sich in der aktuellen Legislaturperiode des Bundestages mit hochfliegenden Hightech-Ideen zur CO2-Speicherung befasst haben; es waren eine Menge. Und wie spärlich wenige mit der Wiedervernässung von Mooren. Spiegelverkehrt darunter ist zu sehen, wie verschwindend wenig Hightech bislang bei der CO2-Speicherung hilft, während Moore schon jetzt Abermillionen Tonnen CO2 binden können und ein riesiges, leicht nutzbares, aber viel zu wenig genutztes Potenzial darstellen.

Grafisch überzeugend in Szene gesetzt

Grafiken wie diese liefern Anschaulichkeit, das ist ihre Stärke. Dafür reduzieren sie Komplexität. Das wird nur dann zur Schwäche, wenn die Auswahl der Inhalte nicht stimmt. Doch hier liefert der Atlas - indem er klugerweise nicht sattsam bekanntes Wissen grafisch aufbereitet: Warum erhitzt sich die Erde? Welche klimaschädlichen Einflüsse spielen eine Rolle? Stattdessen geht es in diesem Buch darum, aus dem Meer der Möglichkeiten das Besondere auszuwählen und grafisch überzeugend in Szene zu setzen: besonders frappierende, erstaunliche, teils atemberaubende Umstände, Zitate, Widersprüche, Absurditäten, aber auch Anlässe zur Hoffnung und bislang unterbelichtete positive Entwicklungen.
Kann das Klimawandel-Leugner erreichen? Wohl kaum, aber das haben sich Autorin, Autor und Grafiker wohlweislich auch nicht zur Aufgabe gemacht. Ihr Buch richtet sich an Leserinnen und Leser, die wissen, dass Abstumpfung jetzt die schlechteste Ratgeberin wäre, und die sich von dem Ernst der Lage und den verbliebenen Hoffnungsfenstern neu packen lassen möchten.
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