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Das Lumix-Festival für jungen Fotojournalismus ist bis zum 19.06.2016 auf dem ehemaligen EXPO-Gelände in Hannover zu sehen.
Die neuen Bildsprachen
Das 5. Lumix-Festival präsentiert Arbeiten junger Nachwuchs-Fotojournalisten. Im Zentrum stehen Flüchtlingsschicksale, es gibt aber auch Skurriles abseits des Mainstreams zu sehen. "Die psychologische Nähe zu dem Sujet ist viel mehr entscheidend als die physische Nähe zu den Objekten", sagt Festivalleiter Rolf Nobel.
Geschichten: Italienische Politiker gieren nach dem Rampenlicht, ein Buddhist sucht die Stille im Franziskaner-Kloster. Informationen: Transnistrien ist einer der kleinsten Staaten, Norilsk die am stärksten verschmutzte Stadt Russlands. Recherchen: Weshalb verursacht der Einsatz von Pestiziden in Argentinien Missbildungen, warum löst die Ankündigung einer dritten Amtszeit des Präsidenten Nkurunziza in Burundi Chaos und Aufstände aus? Das sind sechs von sechzig Themen, die das 5. Lumix-Festival in Hannover in Fotoreportagen, Bilderzählungen eindrücklich, aufregend, mitreißend vor Augen führt.
Im besten Sinne ein Kaleidoskop, das in diesem Jahr allerdings von einem gar nicht gezeigten Einzelbild überstrahlt wird: der Aufnahme des Flüchtlingskindes, das im türkischen Bodrum tot am Strand liegt:
Lars Bauernschmitt: "Das Foto hat auch sehr viel dazu beigetragen, ein Klima der Offenheit zu schaffen und eine ganz tolle Willkommenskultur gegenüber den Flüchtlingen zu entwickeln."
Lars Bauernschmitt, Professor des Studiengangs Fotojournalismus, will die Kraft des Einzelbildes gar nicht leugnen. Und setzt gerade deshalb auf die noch stärkere, tiefergehende Wirkung der Erzählung, der Bildreportage.
Langzeit-Reportage mit Flüchtlingen
Zum Beispiel mit dem Langzeit-Projekt "Transit", das der Norweger Espen Rasmussen in seinem Eröffnungsvortrag vorstellt: Über ein Jahrzehnt hat der mehrfach preisgekrönte Fotograf Flüchtlinge besucht und begleitet – im Kongo, in Bangladesch, Tschad, Kolumbien. Zwei Jugendlichen aus Syrien gab der Profi schließlich Video-Kameras in die Hand. Weil Rasmussen merkte, dass sie ihre Geschichte gerne auch selbst erzählen wollten. Weil Bildunterschriften allein nicht mehr genügten:
Lars Bauernschmitt: "Ich bin derselben Meinung wie Esper Rasmussen: Bilder brauchen Text. Fotos brauchen Texte, die helfen, sie einzuordnen. Wenn mir bestimmte Vorkenntnisse fehlen, dann kann ich ein Bild nicht lesen."
Diese "Vorkenntnisse" werden in Hannover nicht didaktisch, von oben herab vermittelt. Sondern – wie früher in der Dunkelkammer – "entwickelt", im gemeinsamen Gespräch, bei Fachsimpeleien. Das "Visa"-Festival im französischen Perpignan mag da ein Vorbild gewesen sein, aber mittlerweile hat Hannover seinen eigenen Weg gefunden:
"Bildsprachlich variantenreicher, abwechslungsreicher. Und in weiten Teilen auch noch nicht so abgeklärt wie das in Perpignan der Fall ist, wo vielfach die Gespräche der alten Fotografen über die früher besseren Zeiten einem auch manchen Abend ein bisschen vermiesen können."
Lars Bauernschmitt, selbst einmal Geschäftsführer der Agentur Visum, kennt die resignativen Klagen über Fotos, die weltweit verfügbar sind, sekundenschnell, mit einem Mausklick. Aber er sieht für seine Studenten, für junge Fotojournalisten neben den Risiken auch einige Chancen:
"Das ist keine Einbahnstraße. Auf der Gegenfahrbahn kommt das weltweite Angebot auf meinen früher so sicheren Heimatmarkt. Einige haben aber auch schon Geschäftsmodelle entwickelt, um im Internet mit der Vermarktung ihrer Projekte auf digitalen Plattformen Geld zu verdienen – weil redaktionelle Aufträge ihnen das Überleben nicht mehr sichern werden."
Informationen einordnen und bewerten
Schlimmer noch: Die technische Entwicklung, die Digitalisierung könnte durchaus auf eine Art Reportage-Roboter hinauslaufen, die smarte Kamera, wie sie die Erfinder eines fahrerlosen Autos womöglich längst in der Schublade haben:
"Ein Aufnahmegerät, das einfach ungefiltert wiedergibt. Dafür bräuchten wir keine Journalisten. Die Welt wird zunehmend komplexer, zum großen Teil unverständlicher: Wir brauchen Leute, die uns helfen, Informationen einzuordnen und zu bewerten."
Genau darum hat sich Rolf Nobel bemüht, kürzlich emeritierter Professor und Begründer des mittlerweile deutschlandweit einzigartigen Studiengangs für Dokumentarfotografie und Fotojournalismus. Er hat neue Wege gesucht abseits von jenem bis heute nachgebeteten Reporterklischee des Weltkriegsfotografen Robert Capa, der eben für gute Bilder immer sensationell "nah dran", stets ganz vorne an der Front sein müsse:
Rolf Nobel: "Die soziale Nähe, die psychologische Nähe zu dem Sujet, die ist viel mehr entscheidend als die physische Nähe zu den Objekten. Auf dem Festival zeigen wir eine wunderschöne Geschichte von einer hannoverschen Studentin, die taubstumme Zwillinge fotografiert hat. Und das ist so wahnsinnig emotional fotografiert, obwohl sie das mit Mittelformat gemacht hat, aus einer etwas größeren Distanz fotografiert. Und eben nicht wie in der klassischen Reportagefotografie mit dem Superweitwinkel quasi an der Nasenspitze der Protagonisten gehangen hat."