Luo Guanzhong: "Die drei Reiche"
Aus dem Chinesischen von Eva Schestag
2 Bände im Schuber (Band 1 864 Seiten, Band 2 888 Seiten)
Fischer-Verlag, 99 Euro
Eine Reise zur Kultur Asiens
Über 1700 Seiten umfassen die zwei Bände des Dichters Luo Guanzhong, dem die Autorschaft von "Die drei Reiche" zugeschrieben wird. Ein Mammutwerk, das nun auf Deutsch vorliegt - und als Schlüssel zur chinesischen Kultur gilt.
Der Han-Kaiser weinte bitterlich, als man ihm nahelegte abzutreten. So erzählt es Luo Guanzhong in seinem Epos "Die drei Reiche". Gut eintausend Seiten lang schildert er hingebungsvoll die inneren Kämpfe der zerfallenden Han-Dynastie, die aufgrund von Intrigen innerhalb des Palastes und Aufständen in einem immens großen Reich untergehen musste. "Seit jeher muss das, was aufsteigt, niedergehen", teilt man dem niedergeschlagenen Kaiser mit, es "muss das, was blüht, verwesen." Die Han-Dynastie erlebte in ihren 400 Jahren in der Tat eine lange Blüte und eine rasche Verwesung: Nach einem entsetzlichen Bürgerkrieg, in dessen Verlauf die Bevölkerung auf ein Viertel schrumpfte, war es schließlich mit ihr vorbei. Das riesige Reich zerfiel in drei Folgestaaten: Wei im Norden, Shu im Südwesten und Wu im Südosten.
Es war der Cao-Clan, der den finalen Putsch verantwortete, und so schwang sich Cao Pi im Jahr 220 auch zum ersten Kaiser im Staate Wei auf, bevor er die Macht an seinen Sohn Cao Cao übertrug. Gegenspieler Liu Bei befehligte bald schon das Reich Shu und Sun Quan das Reich Wu. Alle drei sahen sich in direkter Nachfolge des Han-Kaisers und erkannten einander selbstredend nicht an. So war also nicht nur der Zerfall der Han-Dynastie von Kämpfen geprägt, sondern auch die nachfolgende Periode der Drei Reiche. In wechselnden Allianzen bliesen die Kontrahenten immer wieder zum Angriff, wie Autor Luo Guanzhong abermals auf hunderten von Seiten mit viel Sinn für dramatische Kampfszenen, aber auch für scharfzüngige Verhandlungen sowie perfide Intrigen schildert. Er stützt sich in seiner dialogreichen Darstellung auf eine 65-bändige politische Chronik aus dem 3. Jahrhundert. Deshalb kann sein Roman als recht realitätsnah bezeichnet werden, obwohl er erst um 1400 entstand, also gut eintausend Jahre nach den tatsächlichen Ereignissen.
Eine handfeste politische Geschichte
"Die drei Reiche" gehört zu einem Quartett klassischer chinesischer Romane. In der gewandten Übersetzung der Sinologin Eva Schestag liegt das historisch-politische Werk nun erstmal in voller Länge auf Deutsch vor. Erst wenige Monate zuvor war der Roman "Die Reise in den Westen" in Komplettübersetzung erschienen, der vier sonderbare Gestalten auf eine abenteuerliche Indien-Reise zu den Quellen des Buddhismus schickt. "Die Reise in den Westen" gehört ebenfalls zur berühmten Viererreihe der chinesischen Klassiker, und die Sinologin Eva Lüdi Kong erhielt dafür völlig zurecht den Übersetzungspreis der diesjährigen Leipziger Buchmesse.
Eva Schestags Arbeit steht der ihrer Kollegin in keiner Weise nach. Allerdings handeln "Die drei Reiche" als handfeste politische Geschichte natürlich weniger von einer spirituellen Suche denn von kriegerischem Kalkül. Wahnwitzige Kämpfe, komische Dialoge und herrliche Erzählexkurse gibt es auch hier, doch werden vor allem Strategien entworfen, Verhandlungen geführt und Schlachten geschlagen. Lesefreude ist dann garantiert, wenn man die zwei dicken Bände mit der nötigen Geduld angeht und Interesse an komplexen Kampfhandlungen hat.