Lust und Last der Einsamkeit

"Die einsamen Frauen" ist ein Roman über Turin und alleinlebende Frauen. Darin beschreibt Cesare Pavese sowohl die Lust als auch die Last der Einsamkeit der Frauen. In der neuen Übersetzung von Maja Pflugs lesen sich ihre Dialoge fast wie von heute. Der italienische Schriftsteller hat das Buch 1950 kurz vor seinem Selbstmord in einem Turiner Hotelzimmer verfasst.
Clelia kommt nach Turin. 17 Jahre ist sie nicht mehr in ihrer Vaterstadt gewesen. Dort ist sie in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, hat das Weite gesucht und es in Rom zu etwas gebracht. Jetzt soll Clelia für ihre Firma, ein römisches Modegeschäft, in der vornehmsten Straße Turins eine Dependance einrichten.

Sie mietet sich in einem Hotel ein und beobachtet am ersten Abend, wie aus dem Nachbarzimmer ein Mädchen mit aufgedunsenem Gesicht in einem hellblauen Tüllkleid auf einer Bahre fortgetragen wird. "Sie hat Gift genommen", sagt das Zimmermädchen, "zu Karneval Gift, eine Schande!"

Mit dem Blick auf ein lebensmüdes reiches Mädchen eröffnet Cesare Pavese diesen Roman über alleinlebende Frauen. Weder Clelia noch die anderen Frauen, die in diesem Roman für die Zeit eines Festes, eines Barbesuchs, eines Abendessens oder eines Landausflugs auftauchen, reden etwas Ungewöhnliches. Moral und Gott sind für sie keine gültigen Größen. Sie bilden die Stadtgesellschaft, in die Clelia ein älterer Mann eingeführt hat.

Pavese inszeniert einen Zirkel aus Rede und Gegenrede, aus unsinnigen Vergnügungen, langen Nächten mit zuviel Nikotin und Alkohol. Man redet über dies und das, über die Männer, die Künstler. Es ist alles ein wenig so wie abends beim Corso auf einer italienischen Piazza: Man schlägt auf angenehme Art und Weise die Zeit tot.

Nur Clelia muss arbeiten, sich mit dem Architekten Febro streiten, der mit ihr ins Bett will, die Befehle aus Rom entgegennehmen, die Geschäfte der Stadt nach Antiquitäten durchsuchen, die das Modehaus zu einem exquisiten Ort machen sollen.

Das Zentrum des Romans bilden die Dialoge der Frauen. Ihre Themen sind das "Erwachsenwerden", das Kinderkriegen, das Alter, die "Lust an der Einsamkeit" und die Frage, wozu Geld eigentlich gut ist. Clelia, die sich die Welt in ihren Selbstgesprächen zu erklären versucht, weiß es: um sich "absondern zu können".

Der Roman spielt in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, aber das merkt man nur an ein, zwei Bemerkungen. Er beginnt mit einem gescheiterten Selbstmordversuch und endet mit einem gelungenen. Die Einsamkeit wird als Lebensmüdigkeit vorgeführt, als letzte Konsequenz.

"Die einsamen Frauen" ist ein Roman über ein Lebensgefühl und ein Buch über Turin, die Stadt mit den Bogengängen und dem besonderen Licht. Cesare Pavese hat ihn 1950 im Jahr vor seinem eigenen Selbstmord in einem Turiner Hotelzimmer verfasst. Er will, dass die Frauen tatenlos und plappernd warten, will Zeit vergehen lassen. Sie sind Nachfahren von Tschechows "Drei Schwestern" und Vorfahren von Judith Hermanns Personal.

Der aus Turin stammende Pavese gilt als "Entdecker Amerikas", er übersetzte Faulkner, Melville und Steinbeck, übernahm ihre entschlackte, auf Dialogen aufgebaute Sprache und ihre Nüchternheit. Damals war das in Italien eine Sensation und heute, in der neuen Übersetzung Maja Pflugs, liest sich das fast wie aus unserer Welt - spröde, unmittelbar und zeitnah. Eine empfehlenswerte Wiederentdeckung.

Rezensiert von Verena Auffermann

Cesare Pavese: Die einsamen Frauen
Roman, aus dem Italienischen von Maja Pflug, mit einem Nachwort von Maike Albath,
Claassen Verlag, Berlin 2008,
208 Seiten, 19,90 Euro