"Lusthaus" der Welfenfürsten

Von Volkhard App |
Das neue Museum im rekonstruierten Schloss Herrenhausen trumpft mit kräftigen Farben auf: Royales Rot, grüner Samt und Goldtöne rahmen die klug ausgewählten Exponate ein. Sie zeigen die Geschichte des Schlosses von seinen Anfängen zur Barockzeit bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.
Ein einzigartiger Schauplatz barocken Lebensgefühls: das Schloss und die Schönheit der Garten-Geometrie. Herzog Johann Friedrich wird uns als "Gründer" per Ölbild vorgestellt: mit abweisender Miene, den einen Arm hat er in die Hüfte gestemmt, die andere Hand ruht auf einem Rüstungshelm. Dabei waren die Anfänge vergleichsweise bescheiden, als die Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg im 17. Jahrhundert vor den Toren Hannovers ein "Lusthaus" bauen und eben einen Garten anlegen ließen. Doch damit waren Ambitionen verknüpft. Andreas Urban, der leitende Ausstellungskurator:

"Der Barockgarten von Herrenhausen ist entstanden als Investition der Welfenfürsten, um zu repräsentieren. Die Gärten wurden angelegt in den 1660er- und 70er-Jahren, da gab es den ersten barocken Garten an dem damals noch sehr bescheidenen kleinen Schloss. Und der ist dann in den späten 90er-Jahren umgestaltet worden zu einer großen Anlage, die vom Umfang her verdoppelt worden ist."

Kurfürst Georg Ludwig gilt als Vollender des barocken Grüns. Mit diesem Herrscher auch begann die berühmte Personalunion: als Georg I. bestieg er 1714 den britischen Thron. Sein Nachfolger Georg II. kam noch zwölf Mal zu Besuch nach Herrenhausen, Georg III. kam gar nicht mehr. Doch das Volk durfte einen Teil der Anlage zur Erholung nutzen, durfte "sich" in dem erlauchten Garten "eine Veränderung machen", wie es noch heute auf einer historischen Tafel heißt.

In dem neuen Museum geizt man nicht mit Farbe. In dem ersten Schlossflügel sind die Vitrinen mit den Kupferstich-Ansichten, amtlichen Dokumenten, Waffen und allerlei anderen Objekten in ein starkes Rot gekleidet, rot auch leuchtet der ganze Saal. Die hochherrschaftlichen Gemälde hängen dagegen vor dunkelgrünem Samt. Während in dem zweiten Schlossflügel, wo die Geschichte von Herrenhausen bis weit ins 20. Jahrhundert erzählt wird, der lang gestreckte Raum in hellem Grün akzentuiert ist.

Hinter der rekonstruierten Schlossfassade mag das Innenleben mit den Tagungssälen und Arbeitsräumen noch so nüchtern sein: das Museum setzt ein Gegengewicht, bringt Sinnlichkeit ein. Thomas Schwark, Direktor des Historischen Museums in Hannover, das auch in Herrenhausen federführend ist:

"Wir haben als Architektur eine sehr klare, schlichte Wandabwicklung zur Verfügung gehabt, und wir haben das klassizistische Schloss, so wie es draußen erlebbar ist, innen beleben und ausrichten müssen mit einer gewissen Atmosphäre. Ich glaube, das ist einigermaßen gut gelungen, ohne naturalistisch mit zeitgenössischen Dingen zu arbeiten, mit Tapeten aus dem 17. oder 18. Jahrhundert, sondern wir setzen eine Farbsymbolik ein. Deshalb haben wir mit klaren, typischen Farben, mit dem royalen Rot und mit Goldtönen und schweren Samtverhängen versucht, diese Atmosphäre einzufangen."

Abwechslung für Leibniz von der engen Residenzstadt Hannover
Auf die Protagonisten des Geisteslebens wird am Ende des ersten Schlossflügels verwiesen: auf den Hofkapellmeister Agostino Steffani und - mit mächtiger Büste und Originalbrief - auch auf den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, der mitsamt der herzoglichen Bibliothek in einem repräsentativen Bürgerhaus in Hannover lebte. Er soll sich in dieser Stadt gelangweilt haben. Das gilt aber wohl nicht für die Aufenthalte im barocken Garten von Herrenhausen. Andreas Urban:

"Leibniz hat den Aufenthalt in der barocken Gartenanlage genossen - nicht nur wegen seiner Gesprächspartnerin, der Kurfürstin, sondern auch wegen der Atmosphäre in einer an sich sehr engen, stickigen Residenzstadt. Ich glaube, Leibniz ist sehr gern über die Herrenhäuser Allee in den Garten gefahren."

Zu den großen Herausforderungen zählt, in einer solchen Präsentation das Leben der breiten Masse zu veranschaulichen - und damit die soziale Hierarchie. Allgegenwärtig ist allemal die Elite, die in Öl und auf Kupferstichen verewigt ist und luxuriöse Bauten, Gärten und andere Kostbarkeiten als Ausdruck des gehobenen Lebensgefühls hinterlassen hat. Aber einen Blick auf das beschwerliche Dasein der unteren Schichten möchte man in Hannover durchaus werfen:

"Wir zeigen, dass der normale Mensch sein Getreide täglich mit Handmühlen bearbeiten musste, das war seine Lebensgrundlage. Das Silberbesteck ist repräsentativ für eine ganz kleine Schicht von Menschen in der Barockkultur, der Holzlöffel ist dagegen typisch für die große Masse der Bevölkerung."

In dem tiefer liegenden Verbindungstrakt zwischen den beiden Schlossflügeln rückt man mit Sänfte, Vergnügungsschlitten und Riechfläschchen nicht nur das Leben der High Society in den Mittelpunkt, sondern deutet mit einer Fußfessel die drakonischen Strafen an, die unbotmäßigen Außenseitern drohten. Hier schauen die Veranstalter hinter den Oberflächenglanz und bekommen das eher Alltägliche in den Blick. Diese Perspektive sollte man noch verstärken.

Im abschließenden, grün akzentuierten Schlossflügel widmet man sich der Geschichte im 20. Jahrhundert. Lange war die Anlage verwaist, bis der Große Garten von der Stadt erworben und 1937 wiedereröffnet wurde. Für die Machthaber eine weitere Gelegenheit zur ideologischen Selbstdarstellung, konnte man hier doch den Segen der "Volksgemeinschaft" preisen. Wenige Jahre später bot auch dieses grüne Kleinod der Erholung ein Bild der Kriegsverwüstung. Es war nach 1945 also eine neue Rettungsmaßnahme nötig.

Das Gelände, auf dem das durch Bomben zerstörte Schloss gestanden hatte und das noch Eigentum des Welfenhauses war, wurde in den frühen sechziger Jahren von der Stadt gekauft. Und schon setzte die Diskussion über eine mögliche Schlossrekonstruktion ein, die inzwischen glücklich beendet ist.

Das neue Museum sorgt in Herrenhausen für einen kräftigen Farbtupfer, es überzeugt durch die kluge Auswahl der Exponate und durch die vorzügliche Raumgestaltung.