Lustvolle Geschichten
Ulrike Draesner schrieb einen der schönsten Liebesromane des vergangenen Jahres, "Vorliebe", und legt nun einen Band mit siebzehn Kurzgeschichten vor, in dem es wiederum um das Verhältnis der Geschlechter geht - in unterschiedlichsten Spielarten: "Richtig liegen – Geschichten in Paaren".
Berichtet wird darin von Liebe als Übung und Passion, vom Paarungswillen, von amouröser Feldforschung und emotionalen Achterbahnfahrten. Humorvoll, respektlos, mit präzisem Blick und scharfen Verstand, unterhaltsam und literarisch variantenreich.
Da ist "die Listerin", eine Frau, die in ganz Europa Männer sammelt. Sie legt "Länderlisten" an, "ihr ganz privater europäischer Wettbewerb." Sie scheitert an der Schweiz, die sie bereist und kennen lernt, letztlich aber als weißen Fleck auf ihrer Europakarte zurück lassen muss – der Schweizer Mann als solcher will nie so wie sie will.
Mehr Glück hat die ebenfalls kreuz und quer durch Europa reisende, verheiratete Karrierefrau. Sie hat während eines Meetings eine Affäre mit einem Pariser Kollegen - der nach vollzogenem Akt jedoch seine Tochter aus dem Kindergarten abholen muss. Die Autorin schildert eine klassische Amour fou – und erzählt dabei auch von europäischer Geschichte, indem sie andeutet, dass der Mann aus einer Familie vertriebener Juden, die Frau aus einer von vertriebenen Deutschen stammt.
Ulrike Draesners Frauenfiguren sind stark und selbstbewusst, erfolgreich im Beruf als Ideentraderin, Wissenschaftlerin, Versicherungsagentin. Zartfühlende Biester, die Motorrad fahren, Brandanschläge verüben und sich auch mal ganz souverän in ein Speckpaket von 125 Kilogramm verlieben - das unter ihrer Pflege um weitere sechzig Kilogramm anschwillt.
Meist erzählen sie in Ichform, mitunter wird ihre Geschichte in der dritten Person geschildert. In seltenen Fällen wählt Draesner auch die Stimme von Männern – deren Psyche sie sich genauso gut anverwandelt, wie die der weiblichen Hauptfiguren.
Immer wieder verweisen Draesners Erzählungen auf literarische Vorbilder: Kafkas "Verwandlung" gewinnt eine weitere Dimension, indem die Autorin sie ins Medienzeitalter transponiert ("Rosakäfer") – hier stellen die Eltern den Käfer in TV-Shows vor, der Bruder richtet einen Fan-Blog ein. Das Setting von Boccaccios "Decamerone" verändert Ulrike Draesner zu einer Gruppe von Werbern, die sich während eines Workshops im stilvollen Einsamkeitsambiente gegenseitig Geschichten erzählen ("Weiche Wände"). Der verstörende Wahnsinn aus Edgar Allen Poes "Berenice" wird hier zum grotesken Alzheimerfall ("Josef rennt").
Alle Erzählungen haben die Dichte und mitleidlose Klarheit morgendlicher Träume, zugleich die Unaufgeregtheit, doch das Tiefenwirkungspotential Hebelscher Kalendergeschichten.
Ulrike Draesner schreibt moderne Liebesgeschichten, die der Entwicklung der verschiedenen Medien und Biotechnologien Rechnung tragen, deren Konstellationen auch Versuchsanordnungen sein könnten, deren Verlauf überraschend, häufig komisch, immer lehrreich ist. Lustvolle Geschichten, voller Gefühl, dabei kunstvoll und klug.
Besprochen von Carsten Hueck
Ulrike Draesner: "Richtig liegen - Geschichten in Paaren
Luchterhand Verlag, München 2011
251 Seiten, 18,99 Euro
Da ist "die Listerin", eine Frau, die in ganz Europa Männer sammelt. Sie legt "Länderlisten" an, "ihr ganz privater europäischer Wettbewerb." Sie scheitert an der Schweiz, die sie bereist und kennen lernt, letztlich aber als weißen Fleck auf ihrer Europakarte zurück lassen muss – der Schweizer Mann als solcher will nie so wie sie will.
Mehr Glück hat die ebenfalls kreuz und quer durch Europa reisende, verheiratete Karrierefrau. Sie hat während eines Meetings eine Affäre mit einem Pariser Kollegen - der nach vollzogenem Akt jedoch seine Tochter aus dem Kindergarten abholen muss. Die Autorin schildert eine klassische Amour fou – und erzählt dabei auch von europäischer Geschichte, indem sie andeutet, dass der Mann aus einer Familie vertriebener Juden, die Frau aus einer von vertriebenen Deutschen stammt.
Ulrike Draesners Frauenfiguren sind stark und selbstbewusst, erfolgreich im Beruf als Ideentraderin, Wissenschaftlerin, Versicherungsagentin. Zartfühlende Biester, die Motorrad fahren, Brandanschläge verüben und sich auch mal ganz souverän in ein Speckpaket von 125 Kilogramm verlieben - das unter ihrer Pflege um weitere sechzig Kilogramm anschwillt.
Meist erzählen sie in Ichform, mitunter wird ihre Geschichte in der dritten Person geschildert. In seltenen Fällen wählt Draesner auch die Stimme von Männern – deren Psyche sie sich genauso gut anverwandelt, wie die der weiblichen Hauptfiguren.
Immer wieder verweisen Draesners Erzählungen auf literarische Vorbilder: Kafkas "Verwandlung" gewinnt eine weitere Dimension, indem die Autorin sie ins Medienzeitalter transponiert ("Rosakäfer") – hier stellen die Eltern den Käfer in TV-Shows vor, der Bruder richtet einen Fan-Blog ein. Das Setting von Boccaccios "Decamerone" verändert Ulrike Draesner zu einer Gruppe von Werbern, die sich während eines Workshops im stilvollen Einsamkeitsambiente gegenseitig Geschichten erzählen ("Weiche Wände"). Der verstörende Wahnsinn aus Edgar Allen Poes "Berenice" wird hier zum grotesken Alzheimerfall ("Josef rennt").
Alle Erzählungen haben die Dichte und mitleidlose Klarheit morgendlicher Träume, zugleich die Unaufgeregtheit, doch das Tiefenwirkungspotential Hebelscher Kalendergeschichten.
Ulrike Draesner schreibt moderne Liebesgeschichten, die der Entwicklung der verschiedenen Medien und Biotechnologien Rechnung tragen, deren Konstellationen auch Versuchsanordnungen sein könnten, deren Verlauf überraschend, häufig komisch, immer lehrreich ist. Lustvolle Geschichten, voller Gefühl, dabei kunstvoll und klug.
Besprochen von Carsten Hueck
Ulrike Draesner: "Richtig liegen - Geschichten in Paaren
Luchterhand Verlag, München 2011
251 Seiten, 18,99 Euro