Propaganda für die Reformation
Der Reformator Martin Luther war eine Ikone seiner Zeit. Über 100 Bildnisse aus fünf Jahrhunderten sind nun im Wartburg Museum bei Eisenach zu sehen. Klar wird: Bei den Porträts ging es nicht nur um die Kunst, sondern auch um Ruhm - und Geld.
Luther war Mönch, Prediger, Theologe, Reformator – und er war eine Ikone. Das Wartburg Museum bei Eisenach zeigt im Rahmen der Thüringer Cranach-Offensive 101 Luther-Darstellungen aus fünf Jahrhunderten. Im Zentrum steht, wie auch bei den Ausstellungen in Weimar und Gotha, Lucas Cranach beziehungsweise die Cranach-Werkstatt. An den Luther-Bildnissen wird exemplarisch klar, dass es Lucas Cranach als singulären Künstler gar nicht gab, dass Cranach mit seiner Werkstatt eher als Marke zu verstehen ist. Wolfgang Holler, Generaldirektor Museen der Klassik Stiftung Weimar:
"Tausend Fragen der Kunstgeschichte –die Aura, die Qualität, die Einzigartigkeit: Das hat Cranach nicht interessiert. Den hat interessiert, immer wiedererkannt zu werden mit seiner Produktion. Und heute weiß man, dass er eigentlich nur so eine Art Zielvorgabe gemacht hat, und dann hat der Werkstattbetrieb von alleine funktioniert. Und das zeigt, wie durchgestylt die waren. Dass die das geschafft haben, auf der Höhe so zu arbeiten, also das ist ein Zeugnis von unglaublich guter Organisation. Es ist immer ein Kollektiv; es ist eigentlich ein kollektiver Künstler."
Massenproduktion für einen Massenmarkt
Innerhalb weniger Jahrzehnte haben im 16. Jahrhundert Tausende Luther-Bildnisse die Wittenberger Cranach-Werkstatt verlassen. Eine Massenproduktion, um einen Massenmarkt zu bedienen. Günter Schuchardt, Burghauptmann der Wartburg und Kurator der Ausstellung:
"Als er auf der Wartburg saß und das Neue Testament übersetzt hat, hat Cranach schnell eine Druckwerkstatt eingerichtet, denn er wollte das September-Testament dann drucken 1522; erste Auflage in Höhe von 3000 Exemplaren war ja im Nu vergriffen. Cranach hat auch daran gut Geld verdient."
Lucas Cranach der Ältere, der Jüngere, Hans Cranach – sie und ihre Angestellten der Werkstatt hatten bis zu dessen Tod das exklusive Recht, Luther zu porträtieren. Damit hatten sie auch in der Hand, welches Image von Martin Luther verbreitet wurde. Die Eisenacher Ausstellung zeigt die klar abgegrenzten Werkgruppen, die Luther in verschiedenen Lebensphasen darstellen und die eine jeweils spezifische propagandistische Bedeutung hatten.
Schuchardt: "Die ersten Kupferstiche sollten seiner Bekanntmachung dienen: Der ist mit auf den Weg nach Worms gegeben worden, damit man wusste: So sieht der aus, über den man jetzt urteilen wollte während des Reichstags. Profilbildnis – das war eigentlich auch der zentralen Gewalt vorbehalten, so wie man eben die Kaiser auf den Münzen gesehen hat, so ganz streng im Profil. Da wollte man nachweisen, dass die Lehre richtig ist – dieser übergroße Doktorhut sollte dies dokumentieren. Bei den Ehebildnissen ist es der Kampf gegen das Zölibat. Luther hat schon in den frühen 20er-Jahren dagegen gewettert. Und bei den Doppelbildnissen mit Melanchton geht es einfach um die Lutherische Lehre."
Es folgen Altersporträts, die den arrivierten, angekommen Luther zeigen. Seine Frau Katharina ist aus den Bildern verschwunden; sie spielt keine propagandistische Rolle mehr. Eine Grafik und Malerei, die immer einem Zweck dient und Konjunkturen folgt.
Schuchardt: "Wir haben das Phänomen, dass es eigentlich keine Überschneidungen gibt in der Cranach-Werkstatt: Die ersten Kupferstiche zeigen den Mönch, das ist nur in den Jahren 1520/21; dann kommt der Junker Jörg – das ist ja nur eine Episode, wenn man so will. Die Ehebildnisse, die gibt es nur zwischen 1525 und 1529, dann sind die zu Ende. 1539 kommt dann das Altersporträt Luthers. Das hält sich dann bis weit über seinen Tod hinaus."
Der meistporträtierte Geistliche seiner Epoche
Luther war –neben weltlichen Herrschern – der meistporträtierte Mann seiner Epoche. Aber: Da nur die Cranachs ihn porträtieren durften, bezogen sich alle zeitgenössischen, aber auch alle späteren Darstellungen bis in die Gegenwart allein auf deren Luther-Bild. Die Kuratorin Grit Jacobs zeigt in der Wartburg-Ausstellung, wie Luther nach seinem Tod immer mehr als Symbol denn als Person dargestellt wurde.
Jacobs: "Es gibt ein Erfolgsmodell. Das heißt, es gibt einen Typ, ein Luther-Bild, das alle anderen an Quantität übertrifft. Wenn wir uns Luther vorstellen, sehen wir ihn meistens – wie auch in den Denkmälern des 19. Jahrhunderts – als den gealterten Professor in der Schaube, mit Pelzkragen, weißem Hemd, Bändchen, roter Weste. Luther ist vor allen Dingen an diesen Formalien gut zu erkennen: an der Kleidung, daran, dass er eine Bibel in der Hand hält. Porträthaft sind diese Bildnisse oft nicht mehr."
Grit Jacobs hat zwei Dutzend Luther-Darstellungen der vergangenen viereinhalb Jahrhunderte nach Luther ausgewählt, die zeigen, wie sehr noch immer die Vor-Bilder der Cranach-Werkstatt durchscheinen, aber auch, wie noch jede Epoche, jede Ideologie versucht hat, ihren Luther für sich einzuspannen.
Jacobs: "Ja, jedes Bild dient einer Botschaft; jedes Bild diente verschiedenen Interessen: Luther sieht als Aufklärer so aus, Luther sieht als Pietist so aus, je nachdem, aus welcher Richtung er dargestellt wurde. Und da sieht man Luther so unähnlich, wie er sich noch nie unähnlich gesehen hat: Das gilt so als DAS Bild des Aufklärers Luther."
Nur wenige Bildnisse versuchen einen individuellen, psychologisierenden Zugang zu Luther, jenseits der Ikone. "Die Lutherporträts der Cranach-Werkstatt" auf der Wartburg in Eisenach – eine faszinierende, gut gegliederte und durch ihren klaren Fokus leicht nachzuvollziehende Ausstellung, die die größeren Cranach-Ausstellungen in Weimar und Gotha sinnvoll ergänzt.