Daniel Miksch öffnet knarzend die Tür, hinein in eine holzvertäfelte Stube, in der neben einem grünen Kachelofen ein massiver Holzschreibtisch zu sehen ist. „Das ist die Lutherstube, der authentische Ort, in dem Martin Luther seine zehn Monate auf der Wartburg verbracht hat“, erzählt Miksch, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter der
Wartburg-Stiftung im thüringischen Eisenach tätig ist.
„Dazu zählte also diese Wohnstube. Im Wesentlichen stand ihm sicherlich ein Bett zur Verfügung, ein Tisch, ein Stuhl, mehrere Aufbewahrungsmöbel, ein Ofen, aber das war es dann auch schon.“
Bibelübersetzung in der Zwangspause
Im Mai 1521 ist Luther auf dem Heimweg vom Reichstag zu Worms. Dort ist er als Ketzer verurteilt worden, sein Leben ist in Gefahr. Nach einer fingierten Entführung findet er auf der Wartburg Schutz.
Im Dezember 1521 beginnt er mit der Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche. Und er arbeitet schnell: „Wenn wir alle Tage zwischen dem 18. Dezember und Ende Februar zusammenrechnen, dann sind das nur 73 Tage, wenn er tatsächlich auch an Sonntagen gearbeitet hat“, sagt der wissenschaftliche Leiter der
Stiftung Lutherhaus Eisenach, Jochen Birkenmeier.
Luthers "Kurfürstenbibel".© Getty Images / Sean Gallup
"Das heißt: Er muss pro Tag doch eine relativ große Zahl an Seiten übersetzt haben", so Birkenmeier. "Luther muss wirklich im Fiebereifer daran gearbeitet haben, um das in der kurzen Zeit und in dieser Qualität fertigzubekommen.“ Ende Februar 1522 beendet er die Übersetzung des Neuen Testaments.
Luther war nicht der erste
„So begann die Erfolgsgeschichte der lutherischen deutschen Bibel“, sagt Daniel Miksch. Diese wurde danach in Wittenberg noch einmal im Team – vor allem mit Philipp Melanchthon – überarbeitet und dann im September 1522 gedruckt.
Oft wird Luther als derjenige gefeiert, der als erster die Bibel ins Deutsche übersetzt habe. Dabei sei es mit ersten Übertragungen gleich nach der Erfindung des Buchdrucks losgegangen, sagt Pfarrer Michael Landgraf: „Es gab 18 deutschsprachige Bibeldrucke vor Luther, 14 ins Oberdeutsche, vier ins Niederdeutsche."
Landgraf ist der Bibelbeauftragte der Evangelischen Kirche der Pfalz. Die verschiedenen Bibeldrucke basieren auf einer österreichischen Übersetzung. Doch die hatte einen Haken, erklärt Landgraf: „Das ist eine Übersetzung gewesen, die wohl im 14. Jahrhundert gemacht worden ist. Die Leute verstanden sie einfach nicht.“
„Dem Volk aufs Maul geschaut“
Man kann sicherlich sagen, dass keine Person die Entwicklung des Deutschen so geprägt hat wie Luther. Als Soziolinguist findet Schlobinski es besonders interessant, dass Luther, "wie er im 'Sendbrief zum Dolmetschen' selbst geschrieben hat, 'dem Volk aufs Maul geschaut hat', also wirklich die Bevölkerung in den Blick genommen hat.“
Peter Schlobinski, Sprachwissenschaftler
Luthers Bibelübersetzung ist tatsächlich für unsere deutsche Sprache ein ganz wichtiges Datum. Mit der Lutherbibel wurde eine Grundlage für eine gemeinsame deutsche Schriftsprache überhaupt erst geschaffen. Man macht sich ja nicht so ganz klar, dass es zu Luthers Zeit noch relativ viele deutsche Dialekte gegeben hat, die sehr unterschiedlich geklungen haben und einen sehr unterschiedlichen Wortschatz hatten.
Jochen Birkenmeier
Rotzlöffel und Lückenbüßer
Dass sich das Neuhochdeutsche als eine Art Standardsprache durchsetzen konnte, lag auch am schriftstellerischen Talent Luthers. Der Reformator hat für seine Übersetzung viele neue Begriffe erfunden: Feuereifer, Herzenslust, Denkzettel, Fallstrick, Lockvogel, Lückenbüßer, Mördergrube, Rotzlöffel, Schandfleck.
Auch viele Redensarten stammen aus der Feder des Reformators, etwa: "Sein Licht nicht unter den Scheffel stellen", "sein Scherflein dazu beitragen", "wider den Stachel löcken", "im Dunkeln tappen".
Im September 1522 erschien Luthers erste Übersetzung des Neuen Testaments; 1534 lag dann die erste Übersetzung der ganzen Bibel vor. Luther und sein Übersetzungsteam waren stilbildend für Jahrhunderte. Selbst Koranübersetzungen des 20. Jahrhunderts kopierten noch den Sprachstil der Lutherbibel.
Gottes Wort für neue Zielgruppen
500 Jahre nach der Lutherbibel gibt es weltweit mehr als 1000 Bibelübersetzungen. Erwähnenswert sind in Deutschland neben der revidierten Lutherbibel die verständliche Gute-Nachricht-Bibel, die
Bibel in gerechter Sprache, die
Volxbibel, die in Jugendsprache verfasst wurde, sowie die katholische Einheitsübersetzung.
Das neueste Bibelprojekt ist die
BasisBibel, die im vergangenen Jahr als Gesamtausgabe erschien. Die BasisBibel arbeitet mit kurzen Sätzen und klaren Gliederungen. Mittlerweile wurde sie rund 250.000 Mal verkauft – vor allem in Buchform.
Die BasisBibel ist von vornherein eine Bibel gewesen für Menschen, die in den neuen Medien unterwegs sind und dadurch ganz andere Möglichkeiten haben, Texte erklärt zu bekommen.
Michael Landgraf, evangelischer Pfarrer
Hilfreich sei die BasisBibel aber auch digital, sagt Landgraf: „Wenn man das auf dem Smartphone liest, kann man auf einen Begriff drücken und bekommt eine kurze oder lange Erklärung, manchmal ist sogar ein Filmchen dabei.“
Würde Luther heute gendern?
Wie würde Luther heute die Bibel übersetzen? Würde er zum Beispiel gendern? „Ich kann mir vorstellen, so viele Freiheiten, wie Luther sich durchaus genommen hat, würde er sich das heute auch nehmen“, meint Jochen Birkenmeier von der Lutherstiftung in Eisenach.
Das ist dann wohl der nächste Schritt: eine gendersensible Übersetzung, die über die Bibel in gerechter Sprache hinausgeht. Kristina Bedijs, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim
Studienzentrum der EKD für Genderfragen, findet das sinnvoll.
Wissenschaftliche Studien ergeben immer wieder, dass es nicht egal ist, wie wir sprechen und schreiben. Es entstehen eben keine vielfältigen Bilder in unseren Köpfen, wenn wir nur männliche Formen verwenden, auch wenn wir behaupten, wir meinen damit alle Menschen.
Kristina Bedijs, Sprachwissenschaftlerin
Die Gesellschaft sei inzwischen nun einmal vielfältig, „deswegen sollten wir es als eine Frage des Respekts ansehen, geschlechtliche Vielfalt nicht länger im total überpräsenten Maskulinum zu verstecken. Dadurch können wir eigentlich nur gewinnen. Sichtbarkeit von mehr Menschen in der Sprache bedeutet auch Sichtbarkeit von mehr Perspektiven. Damit können wir unseren Horizont erweitern."
Und was bedeutet das dann für die Theologie? Wird in künftigen Bibelübersetzungen der Heilige Geist oder Gott mit einem Gendersternchen versehen?
Für Bedijs ist das „eine Möglichkeit, die Vielfalt von Gottesbildern darzustellen. Wir wissen ja nicht, ob Gott ein Geschlecht hat. Wir sind nach dem Bilde Gottes gemacht, steht in der Bibel, und wir sind sehr vielfältig. Also muss auch Gott sehr vielfältig sein. Ein Stern ist eine Markierung dessen, dass Gott sich nicht in einem Bild fassen lässt.“