Zweifel am Hammer schwingenden Helden
Die Schlosskirche in Wittenberg ist feierlich wieder eingeweiht. Ob Martin Luther am 31.10.1517 wirklich seine Thesen an ihre Tür geschlagen hat, werde sich nicht endgültig klären lassen, sagt Daniel Jütte. Einen Hammer habe er dabei jedenfalls nicht benutzt, so der Historiker.
In Wittenberg, wo in vier Wochen das Lutherjahr eingeläutet wird, ist jetzt die Schlosskirche nach ihrer Restaurierung feierlich wieder eingeweiht worden. Die dänische Königin Margrethe hat dafür eigenhändig ein Altartuch entworfen und bestickt. Bundespräsident Gauck betonte in seiner Rede, dass von diesem Ort Weltgeschichte ausgegangen sei.
Denn: An einer Tür der Kirche soll Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine berühmten 95 Thesen angeschlagen haben, vielleicht aber auch nicht. Das Ereignis treibt seit Jahren Historiker um. Zu jenen, die bezweifeln, dass Martin Luther den Hammer geschwungen hat, zählt Daniel Jütte. Er ist Professor an der New York University, und zur Zeit zu Forschungszwecken in Cambridge.
Erste Berichte erst nach 20 Jahren
Die Streitfrage sei natürlich nicht neu und beschäftige die Historiker seit Jahrzehnten, sagte Jütte im Deutschlandradio Kultur. Es spreche aus seiner Sicht vieles dafür, dass das Ereignis so nie stattgefunden habe: "Wir haben keinen Bericht von Luther selbst, der diesen Thesenanschlag erwähnt. Was wir haben, sind Zeugnisse von Weggefährten, allerdings sind das keine Augenzeugen gewesen. Die ersten Berichte über den Thesenanschlag datieren in die 1540er-Jahre, also über 20 Jahre nach dem eigentlichen Geschehen."
Weil die Originaltür der Kirche seit über 250 Jahren nicht mehr vorhanden ist, seien materielle Rückschlüsse auf eine mögliche Aktion Luthers nicht mehr möglich, so der Historiker. Ein Anbringen von Mitteilungen und Verlautbarungen an der Kirchentür war zu dieser Zeit sowieso kein revolutionärer Akt, da sie damals als eine Art Schwarzes Brett einer Stadt fungierte, erläuterte Jütte.
Sein Forschungsinteresse richte sich auf die Modalitäten des Thesenanschlags, sollte er überhaupt stattgefunden haben: "Wie Luther das gemacht hätte, wenn er es denn gemacht hat." Es gebe explizite Hinweise, dass Leim oder Wachs bei derartigen Gelegenheiten verwendet wurde: "Das wäre nur eine weitere Erinnerung daran, dass das heroische Bild von einem Hammer schwingenden Luther keine Entsprechung in der historischen Realität hat. Und dass wir uns jetzt mit Blick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum Gedanken machen sollten, warum wir eigentlich diese Vorstellung von einem heroischen Tatmenschen Luther weiterhin kultivieren."
Nationalistisch aufgeladenes Bild
Der Reformationsfeiertag sei ab dem 18. Jahrhundert nationalistisch aufgeladen worden, sagte der Historiker. Im 19. Jahrhundert trete dann das Bild von Luther mit dem Hammer erstmals wirkmächtig auf den Plan, zum Beispiel auf großen Wandgemälden wie in der Wartburg. Mit dem Bild des Reformators als deutschen Helden habe man zeitgenössische national orientierte Politik rechtfertigen können, auch 1917 mitten im Ersten Weltkrieg zum 400. Reformationsjubiläum.
Ob sich die Aktion als Solche am 31.10.1517 wirklich ereignet hat, werde sich eindeutig nie klären lassen, betonte der Historiker. Deshalb halte er es auch für umso sinnvoller, sich im bevorstehenden Jubiläumsjahr mit der Rezeption und Wirkungsgeschichte des Ereignisses zu beschäftigen und konfessionelle Grabenkämpfe zwischen Katholiken und Protestanten zu überwinden.