Eichel: Kein Mitleid mit Juncker
Der SPD-Politiker und ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel setzt im Fall der „Luxemburg Leaks" auf die Selbstaufklärungskräfte in der Europäischen Union. Nur durch die Einrichtung einer zentralen Kontrollinstanz könnten die Steuertricksereien großer Konzerne eingedämmt werden.
Nana Brink: "Dieser Spuk muss aufhören", sagt immerhin Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und meint die Steuerdeals, die einige große Firmen mit dem Herzogtum Luxemburg vereinbart haben zum Zwecke der Steuerersparnis. Und die war nach Recherchen von investigativen Journalisten aus aller Welt massiv.
Und allein dem deutschen Fiskus soll nach Schätzungen der Deutschen Steuergewerkschaft pro Jahr mindestens zehn Milliarden Euro entgehen. Hans Eichel ist SPD-Politiker und ehemaliger Finanzminister von 1999 bis 2005. Guten Morgen, Herr Eichel!
Hans Eichel: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Wir haben gerade schon im Beitrag gehört, es wird jetzt ermittelt. Was muss denn getan werden, und wer muss es tun?
Eichel: Zunächst einmal glaube ich, man muss es auf europäischer Ebene zuallererst anpacken, und das heißt, wir brauchen eine Zentralstelle auf europäischer Ebene, in der alle Steuervorgänge, die grenzüberschreitend sind, gemeldet werden. Grenzüberschreitend in Europa und aus Europa heraus. Und die Ergebnisse müssen dann dem Finanzminister, dem Finanzministerrat vorgelegt werden. Dann, wenn man Transparenz hat, wenn man weiß, was passiert, dann weiß man auch anschließend, wo man eingreifen muss. Und im Übrigen: Es können natürlich alle Staaten etwas tun. Bei uns hat es vor etwas einem Jahr die Nachricht gegeben, die BaFin fragt alle Banken ab nach ihren Niederlassungen in Steueroasen zum Beispiel, und was sie dort tun. Ich habe nichts mehr danach davon gehört. Also man kann natürlich auch national schon Aufklärung betreiben, und dann muss man europäisch handeln.
Grenzüberschreitende Kontrollstelle
Brink: Ich würde gern noch ein bisschen genauer wissen, was Sie meinen mit "es muss eine Stelle geben, die das zentral organisiert". Wo ist die angesiedelt, wie sieht die aus?
Eichel: Die muss bei der Europäischen Union angesiedelt sein. Und ich sage noch mal: Alle grenzüberschreitenden Steuervorgänge müssen –
Brink: Also von großen Konzernen?
Eichel: Ja, selbstverständlich. Das ist nicht der kleine Mittelständler. Den würde ich zunächst mal völlig aus dem Spiel lassen. Man muss allerdings nur aufpassen, dass große Konzerne sich nicht zu diesem Zweck in lauter kleine Unternehmen zerlegen. Aber man muss also schon das Ganze im Blick behalten.
Brink: Aber genau das haben sie ja getan.
Eichel: Ja. Aber deswegen sage ich doch, das können Sie nur, wenn Sie eine Zentralstelle haben, in der alle grenzüberschreitenden Steuervorgänge gemeldet sind. Und dann können Sie analysieren, was da wirklich passiert. Und natürlich geht das nicht, und natürlich ist es nicht nur Luxemburg. Das ist im Moment im Blickfeld. Aber was ist denn in den Niederlanden? Als ich vor Jahren schon, als ich noch im Amte war, auf die Praxis in Irland hingewiesen habe, da bin ich übrigens noch – auch das ist spannend – im Bundestag dafür kritisiert worden von der Opposition, das sei ja der gewünschte Steuerwettbewerb. Gott sei Dank gibt es inzwischen ein ordentliches Umdenken. Aber es sind ja immer zwei Seiten. Es ist der Staat, der das anbietet, und es sind die Unternehmen, die es annehmen. Und alle beide wissen, deswegen scheuen sie ja das Licht der Öffentlichkeit, dass das schofelig ist.
Brink: Nun klären Sie uns doch mal auf. Sie haben jetzt Irland erwähnt, Holland – was wissen Sie denn, wo gibt es denn noch solche Möglichkeiten, in welchen Ländern? Oder auch bei uns?
Eichel: Im Einzelnen wissen wir das nicht. Aber jeder von uns, der irgendwo mit internationalen Finanzen zu tun hat, weiß, dass es solche Praktiken gibt, und man merkt es immer am besten daran, wenn man Aufklärung verlangt, wo ist der Widerstand gegen Transparenz. Und deswegen ist das Allererste, dass die Sachen endlich – die Schweden zum Beispiel legen alles auf den Tisch – dass die Sachen wirklich öffentlich gemacht werden, und dann kann man darüber diskutieren, was man akzeptieren kann und was nicht.
Rund um die Erde Briefkastenfirmen
Brink: Sie haben gesagt, diese – bitte reden Sie aus.
Eichel: Bundesfinanzminister Schäuble hat ja auch ganz zu Recht gesagt, dass man solche grenzüberschreitende Tricks verhindern muss. Es muss dort die Steuer gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfindet. Ein altes Thema, in dem wir längst noch nicht weit genug sind. Es gibt rund um die Erde viele Briefkastenfirmen, die genau nur zu diesem Zweck gegründet sind. Auch in der Schweiz übrigens, um ein anderes Beispiel zu nennen. Das ist noch längst nicht vorbei, und das ist längst nicht nur Luxemburg, aber Luxemburg in besonderem Maße schon.
Brink: Man kann etwas ja nur abschalten, wenn man es wirklich aufgeklärt und verstanden hat. Das ist ja das Problem, das wir jetzt gerade haben. Sie haben diese Stelle immer wieder erklärt, die bei der EU angesiedelt sein soll. Nun wissen wir ja, dass der EU-Kommissionspräsident selber Teil des Problems ist als ehemaliger Ministerpräsident in Luxemburg. Er hat gesagt, gut, ich überlasse das meiner Wettbewerbskommissarin, das aufzuklären. Glauben Sie wirklich daran, dass dies passiert?
Eichel: Junker selber nehme ich das ab. Da ist er nicht der einzige. Wenn man so diskutiert, dann kann man keinen irischen, dann kann man keinen österreichischen, dann kann man keinen belgischen, dann kann man keinen Politiker vielleicht auch aus Italien überhaupt ans Steuer lassen. Also das führt nicht weiter. Es kommt auf die wirklichen Taten an. Und wenn, was ich glaube, die Kommission aufklärt, und zwar aus ihrem eigenen Interesse, weil sonst der Verdruss über Europa natürlich nur größer wird und Junker das nicht nur nicht behindert, sondern seiner Kommission sagt, das müsst ihr machen, dann kommen wir in der Tat einen Schritt voran, und ich glaube, aus der Betroffenheit heraus. Er hat ja zum Beispiel den früheren französischen Finanzminister für Wirtschaft und Währung zuständig gemacht, und der muss Frankreich jetzt erklären, was solide Haushaltspolitik ist. Er hat einen Briten, der Bankenlobbyist war, zum obersten Bankenaufseher gemacht, der muss den Briten jetzt erklären, was richtige Bankenregulierung ist. Und so habe ich auch kein Mitleid mit Junker, wenn er jetzt dafür sorgen muss, dass sein Heimatland solche Praktiken beendet.
Brink: Aber Sie kennen Jean-Claude Junker ja sehr gut. Muss ihm das jetzt nicht peinlich sein?
Eichel: Das ist ihm peinlich. Das war ihm im Übrigen, das weiß ich aus internen Gesprächen, schon immer peinlich. Aber...
Alle handeln im Interesse ihres Landes
Brink: Aber warum hat er es dann nicht abgestellt?
Eichel: Das ist ganz einfach. Wie mir ein anderer Finanzminister eines anderen Landes, das genauso handelt, mal gesagt hat: Ich weiß genau, was hier los ist. Ich kann das als Finanzminister nicht billigen, aber wenn ich das öffentlich sage, werde ich am nächsten Laternenmast aufgeknüpft. So ist das. Das heißt, die handeln alle im Interesse ihres Landes, wie sie glauben, und irgendwann zeigt sich, dass das alles keine nachhaltigen Modelle sind, weil sie eigentlich moralisch nicht gehen.
Brink: Und was ist dann die Moral von der Geschichte?
Eichel: Dass nur die Öffentlichkeit hilft. Wenn man erfährt, was passiert, dann gibt es den Druck, das zu ändern. Nur dann.
Brink: Das ist ja jetzt passiert. Der ehemalige SPD-Finanzminister Hans Eichel. Danke, Herr Eichel, für Ihre Einschätzungen dieses Falls!
Eichel: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.