Luxus, Elend und Achterbahn
Das Welternährungsprogramm verteilt Lebensmittel in Nordkorea. Eine Hungersnot droht dem Land. Zugleich inszeniert sich die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang für die 100-Jahrfeier des Staatsgründers Kim Il Sung als glänzende Metropole für den Teil der Bevölkerung, der weit entfernt von der Armut des Landes lebt und für die Reisenden, denen ein funktionierender Staat gezeigt werden soll.
Nur wenige Tausend Touristen dürfen jedes Jahr nach Nordkorea reisen. Das macht das Reiseziel so geheimnisvoll. In der Hotelbar stehen Studenten in T-Shirts mit Hammer und Sichel, trinken Bier für umgerechnet 50 Cents und schwärmen von den Erlebnissen, wie Isaak, ein Backpacker aus Holland:
"Es war schon immer das Reiseziel, das mich am meisten interessiert hat. Es ist so mysteriös und unbekannt. Dann habe ich jemanden getroffen, der schon hier war, und er hat mir gesagt, es gibt nichts Besseres, vielleicht eine Reise zum Mond."
Die meisten Touristen sind im Yanggakdo Hotel untergebracht. Es liegt auf einer Insel in Pjöngjang und kann dadurch besser überwacht werden. Ausländer dürfen sich in Nordkorea nicht frei bewegen. Sie müssen - wie wir - bei der Einreise ihre Handys und Navigationsgeräte abgeben. Aber ein 28-jähriger Schwede verbringt hier sogar seine Flitterwochen, weil er und seine Frau Nordkorea so sonderbar finden.
"Es fühlt sich an wie ein Traum, alles ist so still und gelassen. Die Menschen sind so klein. Das verwirrt einen zwar, aber ich weiß ja, in welchem Land ich bin. Hier ist alles sehr gut organisiert."
Die Nordkoreaner zeigen alles, was das Regime für sehenswert hält. Das Wahrzeichen der Stadt ist der 170 Meter hohe Juche Turm am Ufer des Taedong. In der Nacht leuchtet die rote Blume auf der Spitze des Gebäudes wie eine Fackel über der sonst dunklen Millionenmetropole. Juche - das ist der Name für die eigene kommunistische Weltanschauung, die Staatsgründer Kim Il Sung entwickelt hat. Nach der langen Besatzungszeit sollte das Land nie wieder abhängig sein, erklärt uns auf dem Turm die einheimische Reiseführerin Pae Un Son.
"Juche steht für Eigenständigkeit, es ist eine revolutionäre Idee."
Unterhalb des Turms musiziert eine Gruppe in Uniform. Im ganzen Land wird offiziell der Tag der Befreiung von den Amerikanern gefeiert. Am 27.Juli 1953 war der Koreakrieg nach drei Jahren beendet. Nordkorea und Südkorea befinden sich seitdem technisch gesehen immer noch im Kriegszustand. Beide Länder haben zwar ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, für einen Friedensvertrag hat es aber nie gereicht. Mit dem Papier war die Teilung Koreas in Norden und Süden besiegelt.
Die jungen Frauen spielen Gitarre, Ziehharmonika und singen unter der Beobachtung ihrer Vorgesetzten. Das ganze Land bereit sich auf den Ausnahmezustand vor: die 100 Jahrfeier für den ewigen Präsidenten Kim Il Sung am 15.April. Noch heute trägt jeder Bewohner eine Anstecknadel mit einem Bild des geliebten Führers an der Brust. Vor 17 Jahren übergab er auf dem Sterbebett die Macht an seinen Sohn Kim Jong Il. Dieser ist inzwischen nach einem Schlaganfall körperlich geschwächt und will die Dynastie der Kims fortsetzen. Deshalb bereitet er die Übergabe der Diktatur an die dritte Generation vor.
Sein Sohn Kim Jong Un soll ebenfalls im Luxus leben und regieren, während der Alltag für die Bevölkerung trist und grau bleibt. Die Folgen der Erbdynastie bekommen wir bei unserer Reise an unserem zweiten Tag in einem Kinderkrankenhaus zu sehen.
Es regnet seit Wochen in Strömen. Auch auf dem Weg von der Hauptstadt Pjöngjang in Richtung Süden in die Hafenstadt Haeju. Vom Showroom des Landes in das Armenhaus. Zwei Stunden fahren wir auf einer löchrigen Betonpiste durch die schöne Landschaft. In der Kornkammer Nordkoreas wachsen Reis, Mais, Gerste, Weizen und Kartoffeln.
Auf großen Tafeln mit roter Farbe sind die Vorgaben des Sozialismus zu lesen: Lasst uns für die verabredeten Ziele in diesem Jahr hart arbeiten! Vergeblich, jeder Vierte im Land hungert. So die Schätzungen des Welternährungsprogramms. Wir begleiten die Hilfsorganisation Cap Anamur, die schon zum zweiten Mal in diesem Jahr einspringt. Geschäftsführer Bernd Göken (47) will überprüfen, ob die gespendeten 100 Tonnen Sojabohnen und 1.000 Tonnen Reis die Hungernden auch erreichen:
"Im Vergleich zu anderen Katastrophen ist es sicher nur wenig, was wir sehen dürfen. Wir werden nur die kleine Spitze des Eisberges sehen. Es ist ja so bei den Nordkoreanern, sie wollen eigentlich das Gute zeigen, das Positive. Nun zeigen sie auch das Negative und mit etwas Fantasie kann man sich ausmalen, dass es eigentlich viel schlimmer ist."
Überall sehen wir Bauern mit bloßen Händen in den satten, grünen Feldern wühlen. Große Flächen sind überflutet, selbst Soldaten packen mit an und versuchen, die Reisernte zu retten. Was wir kaum sehen, sind Traktoren. Das Land ist nicht in der Lage, eigene Fahrzeuge zu produzieren. Auf der Autobahn nach Haeju gibt es so wenig Verkehr, dass sogar Kinder zwischen den Büschen auf dem Mittelstreifen sitzen. Alte Autos und Busse werden auf der Straße repariert. Auf den Landstraßen sind viele Fußgänger und Ochsenkarren unterwegs. Sie kämpfen sich durch tiefe Pfützen, Schlamm und Geröll. Fahrradfahrer kommen uns entgegen, bepackt mit Säcken voller Grünzeug, vieles sind selbst gepflückte Kräuter.
"Was wir sehen, ist, dass die Menschen hier täglich ums Überleben kämpfen. Ihre Aufgabe ist halt, irgendwie was zu essen zu finden. Die Ernte ist noch zu weit weg. Selbst dieser Mais, der noch ganz jung ist. Da sagen einige, der schmeckt super. Es wird also immer nach was Essbarem gesucht."
Wir begegnen zwischendurch auch Militärlastern. Weil der Sprit fehlt, fahren sie mit Holzvergasern. Die Soldaten auf der Ladefläche sind von einer stinkenden Rauchwolke eingehüllt. Der Grund für den desolaten Zustand im ganzen Land sind neben dem Missmanagement auch die Wirtschaftssanktionen der internationalen Gemeinschaft. Weil das stalinistische Regime in Pjöngjang die Gespräche über sein Atomwaffenprogramm abgebrochen hat und stattdessen Langstreckenraketen und Bomben testet, ist Nordkorea völlig isoliert.
Der Mangel an Öl zwingt die Anwohner, in den kalten Wintern bei minus 30 Grad das letzte Brennholz zu suchen. Im vergangenen Winter lag die Durchschnittstemperatur in den grauen Wohnblöcken angeblich bei 7 Grad. Wenn es jetzt regnet, verschärft die Erosion in den gerodeten Bergen die Naturkatastrophe.
Pak Yun Oh (45) ist Direktorin für auswärtige Angelegenheiten in der Region Haeju. Sie hat Karriere gemacht in der kommunistischen Partei und durfte deshalb im vergangenen Jahr nach Kaiserslautern reisen. Dort hat sie vor allem der deutsche Wald beeindruckt:
"Überall waren Bäume zu sehen, bei uns sind sie alle abgeholzt. Und ohne Bäume spült der Regen die Erde auf die Straße. Deshalb sage ich, wer zehn Bäume in unserer Region pflanzt, ist wirklich ein Patriot."
In Deutschland hat sie aber auch gravierende Mängel beobachtet. Das Gesundheitssystem zum Beispiel sei in Nordkorea für alle umsonst, schwärmt sie. Die Aussage ist zynisch, denn der Zustand der Kliniken ist mit dem in den 50er Jahren in Deutschland zu vergleichen. So jedenfalls beschreibt ein Arzt die Situation, selbst in der Hauptstadt Pjöngjang.
Wir dürfen das Kinderkrankenhaus in Haeju besichtigen in der Provinz Süd-Hwanghae und sind beim Anblick der ausgemergelten Kinder erschüttert.
"Ich habe Bauchweh, hatte drei Tage Durchfall", flüstert der fünfjährige Kim Jin Song leise und hält sich dabei die Hand auf den Bauch. Der starke Regen der letzten Wochen hat das Trinkwasser verunreinigt und die Situation für die geschwächten Kinder in der Region verschlimmert.
"Die Kinder, die wir hier auf der Station gesehen haben, denen geht es ziemlich schlecht. Das sind die akut unterernährten Kinder. Die sehen deutlich älter aus vom Gesicht her und sie haben sehr stark abgenommen."
Bernd Göken besucht die Kinderklinik in Haeju schon das zweite Mal in diesem Jahr. Anfang des Jahres erreichte ihn der verzweifelte Hilferuf der nordkoreanischen Botschaft in Berlin: Wir brauchen dringend Lebensmittel. 2005 hatte das stalinistische Regime in Pjöngjang alle NGOs aus dem Land geworfen und wollte sich aus eigener Kraft helfen. Die Situation hat sich seitdem weiter verschlechtert, beklagt die Direktorin der Klinik, Zang Gum Sun (47):
"Wir haben hier sehr viele talentierte und begabte Ärzte, aber uns fehlen Milchprodukte und Lebensmittel, um die Kinder schnell aufzupäppeln. Einige Geräte hier funktionieren noch, aber ich fühle mich sehr schlecht, weil wir die Kinder nicht medizinisch versorgen können."
Das einzige Röntgengerät in der Kinderklinik kommt aus China. Es ist kaputt. Auch im Operationssaal sieht es nicht besser aus. Er ist verlassen, vor zehn Jahren war er mit Spendengeldern von Cap Anamur gebaut worden und deshalb wirft Bernd Göken einen kritischen Blick in den OP: Nordkorea investiert etwa einen halben Dollar pro Jahr und pro Person in die Gesundheitsfürsorge.
Das berichtet Amnesty International. Obwohl die Versorgung katastrophal ist, fühlen sich die überforderten Mütter wenigstens geborgen in der Klinik mit ihren Kindern. Sie klopfen ihnen auf die Brust (SFX), streicheln den Kopf und summen koreanische Kinderlieder. In den Zimmern ist es ansonsten mucksmäuschenstill. Fünfzig Ärzte und 30 Schwestern kümmern sich um die akut unterernährten Kinder. Die 200 Betten sind zur Hälfte belegt. Neben Lebensmitteln fehlen vor allem Medikamente.
"Wir sehen ja nur wenige Kinder stationär. Die meisten Kinder werden zu Hause sein. Denn hier wird ja klar, hier passiert nichts. Ich denke, die meisten Dramen werden sich zu Hause abspielen, die werden wir nicht sehen."
Die Dankbarkeit für die Nahrungsmittelhilfe aus Deutschland ist sehr groß. In Haeju haben sie den Lebensmitteln schon einen neuen Namen gegeben: Sie warten auf die nächste Ladung "Anamur-Reis". Die Hungersnot und das Elend auf dem Land sind aber nicht mehr zu übersehen. Eine Veränderung der Notlage ist nur möglich, wenn sich das Land öffnet.
Wir beobachten einige neugierige chinesische Delegationen im Land. Sie helfen aber nicht der hungernden Bevölkerung, sondern interessieren sich eher für ein Joint-Venture statt für Menschenrechte. Der Nachbar im Norden hat der demokratischen Volksrepublik Korea bereits in einem Rekordtempo gezeigt, wie Planwirtschaft im 21. Jahrhundert funktionieren kann. Mit einem radikalen Wandel vom Kommunismus zum Kapitalismus. Einen Vorgeschmack bekommen wir am nächsten Tag bei unserer Rückkehr in Pjöngjang in einem Freizeitpark präsentiert.
Die Angst geht um an diesem Abend. Schuld sind die Italiener, sie haben im vergangenen Jahr eine Achterbahn mit Looping und andere moderne Fahrgeschäfte nach Nordkorea geliefert. Wer den bizarren Anblick einer Großstadt aus der Vogelperspektive genießen will, kann sich zum Beispiel 100 Meter in den Abendhimmel katapultieren lassen. Beleuchtet sind in der Metropole aber nur die Denkmäler und Prachtbauten.
Für die Sicherheit in der Achterbahn haben Kim Jong Il und sein Sohn Kim Jong Un angeblich persönlich gesorgt. Sie sollen vor der Eröffnung für das Volk alle Fahrgeschäfte drei Mal getestet haben.
"Ich komme hier zwei bis drei Mal die Woche vorbei. Wenn ich bei der Arbeit so viel Stress hatte, dann möchte ich in eine andere Welt abtauchen. Immer wenn ich hier bin, fühle ich mich so frei und erfrischt."
Seit über 60 Jahren leben die Nordkoreaner in einer Diktatur, inzwischen in der dritten Generation. Doch die Kulisse von Pjöngjang erinnert auf den ersten Blick an das Leben in einer gewöhnlichen asiatischen Metropole. Eistüten, Fast Food und Pizza. Viele Nordkoreaner lächeln uns an. Einige tragen Designerhandtaschen oder telefonieren.
Eine halbe Million Handys sind inzwischen im Einsatz. Doch hinter den Kulissen ändert sich wenig, das stalinistische Regime verhindert jede Kritik und erstickt jede Möglichkeit von Informationsfreiheit im Keim. Das Telefonnetz funktioniert nur im Inland. Zugang zum Internet haben nur wichtige Ministerien. Ansonsten ist Nordkorea das letzte Land auf der Welt, das nicht online ist.
Die 17-jährige Kochschülerin auf einer Tanzveranstaltung. Die großen Sorgen der Landbevölkerung sind ihr unbekannt:
"Ich will ein Meisterkoch werden. Ich hoffe, dass ich irgendeinmal unseren geliebten Führer bekochen darf. Es wäre mir eine Ehre."
Staatsgründer Kim IL Sung. Er wird bis heute verehrt wie der Guru einer Sekte. Dem Volk werden noch immer blühende Landschaften versprochen. In Wahrheit droht jedoch ein harter Winter in bitterer Armut und Isolation. Mit Hilfe der Duce-Ideologie wird auch der totalitäre Überwachungsstaat gerechtfertigt. Weil nur wenige Journalisten einreisen dürfen, sind die Medien oft gezwungen, die Situation von außen zu bewerten. Für die Berichterstattung sind sie auf moderne Hilfsmittel wie Satelliten angewiesen. Amnesty International berichte, dass die Lager für politische Gefangene in den vergangenen zehn Jahren weiter ausgebaut wurden.
200.000 Menschen sollen in den Lagern wie Sklaven gehalten werden. Die wenigen Flüchtlinge, die das Land verlassen, bestätigen diese Vermutungen. Laut Amnesty seien es die schlimmsten Bedingungen, die die Menschenrechtsorganisation seit 50 Jahren dokumentiert habe. Die Verfolgung der Regimegegner erklärt auch die Existenz der vielen Waisenheime in Nordkorea: Die Eltern sind entweder verschleppt oder verstorben.
Das nordkoreanische Staatsorchester ist sehr gut ausgebildet. Mal spielt es einen russischen Marsch, dann wieder ein Stück aus der Heimat. Die Besucher sind zum großen Teil Parteimitglieder. Sie strömen festlich gekleidet in den großen Konzertsaal. Auch die deutsche Reiseguppe ist unter den Gästen und ist begeistert:
"Also ich fand das qualitativ sehr hochwertig, sehr kraftvoll gespielt und auch sehr schöne Stücke, die ausgewählt wurden, finde ich."
"Es war schon immer das Reiseziel, das mich am meisten interessiert hat. Es ist so mysteriös und unbekannt. Dann habe ich jemanden getroffen, der schon hier war, und er hat mir gesagt, es gibt nichts Besseres, vielleicht eine Reise zum Mond."
Die meisten Touristen sind im Yanggakdo Hotel untergebracht. Es liegt auf einer Insel in Pjöngjang und kann dadurch besser überwacht werden. Ausländer dürfen sich in Nordkorea nicht frei bewegen. Sie müssen - wie wir - bei der Einreise ihre Handys und Navigationsgeräte abgeben. Aber ein 28-jähriger Schwede verbringt hier sogar seine Flitterwochen, weil er und seine Frau Nordkorea so sonderbar finden.
"Es fühlt sich an wie ein Traum, alles ist so still und gelassen. Die Menschen sind so klein. Das verwirrt einen zwar, aber ich weiß ja, in welchem Land ich bin. Hier ist alles sehr gut organisiert."
Die Nordkoreaner zeigen alles, was das Regime für sehenswert hält. Das Wahrzeichen der Stadt ist der 170 Meter hohe Juche Turm am Ufer des Taedong. In der Nacht leuchtet die rote Blume auf der Spitze des Gebäudes wie eine Fackel über der sonst dunklen Millionenmetropole. Juche - das ist der Name für die eigene kommunistische Weltanschauung, die Staatsgründer Kim Il Sung entwickelt hat. Nach der langen Besatzungszeit sollte das Land nie wieder abhängig sein, erklärt uns auf dem Turm die einheimische Reiseführerin Pae Un Son.
"Juche steht für Eigenständigkeit, es ist eine revolutionäre Idee."
Unterhalb des Turms musiziert eine Gruppe in Uniform. Im ganzen Land wird offiziell der Tag der Befreiung von den Amerikanern gefeiert. Am 27.Juli 1953 war der Koreakrieg nach drei Jahren beendet. Nordkorea und Südkorea befinden sich seitdem technisch gesehen immer noch im Kriegszustand. Beide Länder haben zwar ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, für einen Friedensvertrag hat es aber nie gereicht. Mit dem Papier war die Teilung Koreas in Norden und Süden besiegelt.
Die jungen Frauen spielen Gitarre, Ziehharmonika und singen unter der Beobachtung ihrer Vorgesetzten. Das ganze Land bereit sich auf den Ausnahmezustand vor: die 100 Jahrfeier für den ewigen Präsidenten Kim Il Sung am 15.April. Noch heute trägt jeder Bewohner eine Anstecknadel mit einem Bild des geliebten Führers an der Brust. Vor 17 Jahren übergab er auf dem Sterbebett die Macht an seinen Sohn Kim Jong Il. Dieser ist inzwischen nach einem Schlaganfall körperlich geschwächt und will die Dynastie der Kims fortsetzen. Deshalb bereitet er die Übergabe der Diktatur an die dritte Generation vor.
Sein Sohn Kim Jong Un soll ebenfalls im Luxus leben und regieren, während der Alltag für die Bevölkerung trist und grau bleibt. Die Folgen der Erbdynastie bekommen wir bei unserer Reise an unserem zweiten Tag in einem Kinderkrankenhaus zu sehen.
Es regnet seit Wochen in Strömen. Auch auf dem Weg von der Hauptstadt Pjöngjang in Richtung Süden in die Hafenstadt Haeju. Vom Showroom des Landes in das Armenhaus. Zwei Stunden fahren wir auf einer löchrigen Betonpiste durch die schöne Landschaft. In der Kornkammer Nordkoreas wachsen Reis, Mais, Gerste, Weizen und Kartoffeln.
Auf großen Tafeln mit roter Farbe sind die Vorgaben des Sozialismus zu lesen: Lasst uns für die verabredeten Ziele in diesem Jahr hart arbeiten! Vergeblich, jeder Vierte im Land hungert. So die Schätzungen des Welternährungsprogramms. Wir begleiten die Hilfsorganisation Cap Anamur, die schon zum zweiten Mal in diesem Jahr einspringt. Geschäftsführer Bernd Göken (47) will überprüfen, ob die gespendeten 100 Tonnen Sojabohnen und 1.000 Tonnen Reis die Hungernden auch erreichen:
"Im Vergleich zu anderen Katastrophen ist es sicher nur wenig, was wir sehen dürfen. Wir werden nur die kleine Spitze des Eisberges sehen. Es ist ja so bei den Nordkoreanern, sie wollen eigentlich das Gute zeigen, das Positive. Nun zeigen sie auch das Negative und mit etwas Fantasie kann man sich ausmalen, dass es eigentlich viel schlimmer ist."
Überall sehen wir Bauern mit bloßen Händen in den satten, grünen Feldern wühlen. Große Flächen sind überflutet, selbst Soldaten packen mit an und versuchen, die Reisernte zu retten. Was wir kaum sehen, sind Traktoren. Das Land ist nicht in der Lage, eigene Fahrzeuge zu produzieren. Auf der Autobahn nach Haeju gibt es so wenig Verkehr, dass sogar Kinder zwischen den Büschen auf dem Mittelstreifen sitzen. Alte Autos und Busse werden auf der Straße repariert. Auf den Landstraßen sind viele Fußgänger und Ochsenkarren unterwegs. Sie kämpfen sich durch tiefe Pfützen, Schlamm und Geröll. Fahrradfahrer kommen uns entgegen, bepackt mit Säcken voller Grünzeug, vieles sind selbst gepflückte Kräuter.
"Was wir sehen, ist, dass die Menschen hier täglich ums Überleben kämpfen. Ihre Aufgabe ist halt, irgendwie was zu essen zu finden. Die Ernte ist noch zu weit weg. Selbst dieser Mais, der noch ganz jung ist. Da sagen einige, der schmeckt super. Es wird also immer nach was Essbarem gesucht."
Wir begegnen zwischendurch auch Militärlastern. Weil der Sprit fehlt, fahren sie mit Holzvergasern. Die Soldaten auf der Ladefläche sind von einer stinkenden Rauchwolke eingehüllt. Der Grund für den desolaten Zustand im ganzen Land sind neben dem Missmanagement auch die Wirtschaftssanktionen der internationalen Gemeinschaft. Weil das stalinistische Regime in Pjöngjang die Gespräche über sein Atomwaffenprogramm abgebrochen hat und stattdessen Langstreckenraketen und Bomben testet, ist Nordkorea völlig isoliert.
Der Mangel an Öl zwingt die Anwohner, in den kalten Wintern bei minus 30 Grad das letzte Brennholz zu suchen. Im vergangenen Winter lag die Durchschnittstemperatur in den grauen Wohnblöcken angeblich bei 7 Grad. Wenn es jetzt regnet, verschärft die Erosion in den gerodeten Bergen die Naturkatastrophe.
Pak Yun Oh (45) ist Direktorin für auswärtige Angelegenheiten in der Region Haeju. Sie hat Karriere gemacht in der kommunistischen Partei und durfte deshalb im vergangenen Jahr nach Kaiserslautern reisen. Dort hat sie vor allem der deutsche Wald beeindruckt:
"Überall waren Bäume zu sehen, bei uns sind sie alle abgeholzt. Und ohne Bäume spült der Regen die Erde auf die Straße. Deshalb sage ich, wer zehn Bäume in unserer Region pflanzt, ist wirklich ein Patriot."
In Deutschland hat sie aber auch gravierende Mängel beobachtet. Das Gesundheitssystem zum Beispiel sei in Nordkorea für alle umsonst, schwärmt sie. Die Aussage ist zynisch, denn der Zustand der Kliniken ist mit dem in den 50er Jahren in Deutschland zu vergleichen. So jedenfalls beschreibt ein Arzt die Situation, selbst in der Hauptstadt Pjöngjang.
Wir dürfen das Kinderkrankenhaus in Haeju besichtigen in der Provinz Süd-Hwanghae und sind beim Anblick der ausgemergelten Kinder erschüttert.
"Ich habe Bauchweh, hatte drei Tage Durchfall", flüstert der fünfjährige Kim Jin Song leise und hält sich dabei die Hand auf den Bauch. Der starke Regen der letzten Wochen hat das Trinkwasser verunreinigt und die Situation für die geschwächten Kinder in der Region verschlimmert.
"Die Kinder, die wir hier auf der Station gesehen haben, denen geht es ziemlich schlecht. Das sind die akut unterernährten Kinder. Die sehen deutlich älter aus vom Gesicht her und sie haben sehr stark abgenommen."
Bernd Göken besucht die Kinderklinik in Haeju schon das zweite Mal in diesem Jahr. Anfang des Jahres erreichte ihn der verzweifelte Hilferuf der nordkoreanischen Botschaft in Berlin: Wir brauchen dringend Lebensmittel. 2005 hatte das stalinistische Regime in Pjöngjang alle NGOs aus dem Land geworfen und wollte sich aus eigener Kraft helfen. Die Situation hat sich seitdem weiter verschlechtert, beklagt die Direktorin der Klinik, Zang Gum Sun (47):
"Wir haben hier sehr viele talentierte und begabte Ärzte, aber uns fehlen Milchprodukte und Lebensmittel, um die Kinder schnell aufzupäppeln. Einige Geräte hier funktionieren noch, aber ich fühle mich sehr schlecht, weil wir die Kinder nicht medizinisch versorgen können."
Das einzige Röntgengerät in der Kinderklinik kommt aus China. Es ist kaputt. Auch im Operationssaal sieht es nicht besser aus. Er ist verlassen, vor zehn Jahren war er mit Spendengeldern von Cap Anamur gebaut worden und deshalb wirft Bernd Göken einen kritischen Blick in den OP: Nordkorea investiert etwa einen halben Dollar pro Jahr und pro Person in die Gesundheitsfürsorge.
Das berichtet Amnesty International. Obwohl die Versorgung katastrophal ist, fühlen sich die überforderten Mütter wenigstens geborgen in der Klinik mit ihren Kindern. Sie klopfen ihnen auf die Brust (SFX), streicheln den Kopf und summen koreanische Kinderlieder. In den Zimmern ist es ansonsten mucksmäuschenstill. Fünfzig Ärzte und 30 Schwestern kümmern sich um die akut unterernährten Kinder. Die 200 Betten sind zur Hälfte belegt. Neben Lebensmitteln fehlen vor allem Medikamente.
"Wir sehen ja nur wenige Kinder stationär. Die meisten Kinder werden zu Hause sein. Denn hier wird ja klar, hier passiert nichts. Ich denke, die meisten Dramen werden sich zu Hause abspielen, die werden wir nicht sehen."
Die Dankbarkeit für die Nahrungsmittelhilfe aus Deutschland ist sehr groß. In Haeju haben sie den Lebensmitteln schon einen neuen Namen gegeben: Sie warten auf die nächste Ladung "Anamur-Reis". Die Hungersnot und das Elend auf dem Land sind aber nicht mehr zu übersehen. Eine Veränderung der Notlage ist nur möglich, wenn sich das Land öffnet.
Wir beobachten einige neugierige chinesische Delegationen im Land. Sie helfen aber nicht der hungernden Bevölkerung, sondern interessieren sich eher für ein Joint-Venture statt für Menschenrechte. Der Nachbar im Norden hat der demokratischen Volksrepublik Korea bereits in einem Rekordtempo gezeigt, wie Planwirtschaft im 21. Jahrhundert funktionieren kann. Mit einem radikalen Wandel vom Kommunismus zum Kapitalismus. Einen Vorgeschmack bekommen wir am nächsten Tag bei unserer Rückkehr in Pjöngjang in einem Freizeitpark präsentiert.
Die Angst geht um an diesem Abend. Schuld sind die Italiener, sie haben im vergangenen Jahr eine Achterbahn mit Looping und andere moderne Fahrgeschäfte nach Nordkorea geliefert. Wer den bizarren Anblick einer Großstadt aus der Vogelperspektive genießen will, kann sich zum Beispiel 100 Meter in den Abendhimmel katapultieren lassen. Beleuchtet sind in der Metropole aber nur die Denkmäler und Prachtbauten.
Für die Sicherheit in der Achterbahn haben Kim Jong Il und sein Sohn Kim Jong Un angeblich persönlich gesorgt. Sie sollen vor der Eröffnung für das Volk alle Fahrgeschäfte drei Mal getestet haben.
"Ich komme hier zwei bis drei Mal die Woche vorbei. Wenn ich bei der Arbeit so viel Stress hatte, dann möchte ich in eine andere Welt abtauchen. Immer wenn ich hier bin, fühle ich mich so frei und erfrischt."
Seit über 60 Jahren leben die Nordkoreaner in einer Diktatur, inzwischen in der dritten Generation. Doch die Kulisse von Pjöngjang erinnert auf den ersten Blick an das Leben in einer gewöhnlichen asiatischen Metropole. Eistüten, Fast Food und Pizza. Viele Nordkoreaner lächeln uns an. Einige tragen Designerhandtaschen oder telefonieren.
Eine halbe Million Handys sind inzwischen im Einsatz. Doch hinter den Kulissen ändert sich wenig, das stalinistische Regime verhindert jede Kritik und erstickt jede Möglichkeit von Informationsfreiheit im Keim. Das Telefonnetz funktioniert nur im Inland. Zugang zum Internet haben nur wichtige Ministerien. Ansonsten ist Nordkorea das letzte Land auf der Welt, das nicht online ist.
Die 17-jährige Kochschülerin auf einer Tanzveranstaltung. Die großen Sorgen der Landbevölkerung sind ihr unbekannt:
"Ich will ein Meisterkoch werden. Ich hoffe, dass ich irgendeinmal unseren geliebten Führer bekochen darf. Es wäre mir eine Ehre."
Staatsgründer Kim IL Sung. Er wird bis heute verehrt wie der Guru einer Sekte. Dem Volk werden noch immer blühende Landschaften versprochen. In Wahrheit droht jedoch ein harter Winter in bitterer Armut und Isolation. Mit Hilfe der Duce-Ideologie wird auch der totalitäre Überwachungsstaat gerechtfertigt. Weil nur wenige Journalisten einreisen dürfen, sind die Medien oft gezwungen, die Situation von außen zu bewerten. Für die Berichterstattung sind sie auf moderne Hilfsmittel wie Satelliten angewiesen. Amnesty International berichte, dass die Lager für politische Gefangene in den vergangenen zehn Jahren weiter ausgebaut wurden.
200.000 Menschen sollen in den Lagern wie Sklaven gehalten werden. Die wenigen Flüchtlinge, die das Land verlassen, bestätigen diese Vermutungen. Laut Amnesty seien es die schlimmsten Bedingungen, die die Menschenrechtsorganisation seit 50 Jahren dokumentiert habe. Die Verfolgung der Regimegegner erklärt auch die Existenz der vielen Waisenheime in Nordkorea: Die Eltern sind entweder verschleppt oder verstorben.
Das nordkoreanische Staatsorchester ist sehr gut ausgebildet. Mal spielt es einen russischen Marsch, dann wieder ein Stück aus der Heimat. Die Besucher sind zum großen Teil Parteimitglieder. Sie strömen festlich gekleidet in den großen Konzertsaal. Auch die deutsche Reiseguppe ist unter den Gästen und ist begeistert:
"Also ich fand das qualitativ sehr hochwertig, sehr kraftvoll gespielt und auch sehr schöne Stücke, die ausgewählt wurden, finde ich."