Luxus in Warschau

Die reichen Polen verschwinden hinter Mauern

Blick in ein luxuriöses Apartment in der polnischen Hauptstadt Warschau
Blick in ein luxuriöses Apartment in der polnischen Hauptstadt Warschau © imago/Westend61
Von Florian Kellermann |
Der rechten Regierung sind sie ein Dorn im Auge: Die Reichen werden in Polen immer mehr, lassen sich aber selten blicken. Warschau hat die meisten bewachten Wohnsiedlungen in Europa. Vor allem im Süden der Stadt wachsen sie aus dem Boden - erbaut auch von nordkoreanischen Wanderarbeitern.
Die Baustelle liegt an einer dicht befahrenen Straße. Hier entstehe eine Oase, heißt es auf den Werbetafeln - die Wohnsiedlung "Oase Wilanow". Auch auf der anderen Straßenseite ragen die Baukräne in den Himmel.
Der Stadtteil Wilanow im Süden von Warschau wächst und wächst. Hier entstehen Wohnungen mit gehobenem Standard, wie der Pressesprecher der Firma Atal, Pawel Rabanek, sagt.
Trotzdem hat das Projekt keine gute Presse. Der Grund sind Arbeiter aus Nordkorea, die auf der Baustelle beschäftigt sind. Polnische Medien bezeichneten sie als "Arbeitssklaven". Von der Straße aus ist einer von ihnen zu sehen, der sich gerade mit einem Stemmeisen an der Deckenkonstruktion zu schaffen macht.
Auch die Nachbarn haben von den Bauarbeitern aus Fernost erfahren, sagt ein Mann, der aus einem Haus gegenüber kommt:
"Ich würde mir schon überlegen, ob ich mir so eine Wohnung kaufe, wenn diese Arbeiter tatsächlich so ausgebeutet werden, wie ich gehört habe. Anders sieht es natürlich aus, wenn sie einen guten Lohn bekommen."
Genau das bezweifeln polnische Menschenrechts-Organisationen. Sie vermuten, dass die Arbeiter einen Großteil ihres Gehalts nicht ausgezahlt bekommen, sondern an den nordkoreanischen Staat abgeben müssen. Damit, so der Vorwurf, unterstützten die polnischen Baufirmen indirekt das diktatorische Regime von Kim Jong-Un.
Jacek Bialas von der polnischen Helsinki-Stiftung für Menschenrechte meint dazu: "Nordkorea ist ein ganz spezieller Staat. Ich gehe deshalb davon aus, dass ein einfacher Bürger nicht die Möglichkeit hat, selbständig nach Polen zu kommen und zu arbeiten. An den Arbeitseinsätzen hier ist der dortige Staat sicher beteiligt. Wenn es tatsächlich so ist, dass so ein Arbeiter nur einen Bruchteil seines Lohns bekommt, dann ist das mit seiner Arbeitserlaubnis nicht vereinbar."
Überprüfen lässt sich das nur schwer.
Gegen 18.30 Uhr kommen die Arbeiter, etwa 40, an die Einfahrt zur Baustelle. Ein alter, roter Bus holt sie ab und fährt mit ihnen stadtauswärts. Zwei der Arbeiter kommen später und gehen zur Bushaltestelle. Der Versuch, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, scheitert. Sie sprechen weder Polnisch noch Russisch noch Englisch.
Pawel Rabanek, Sprecher der Immobilienfirma Atal, hält den Vorwurf der Sklavenarbeit für, so wörtlich, "Blödsinn": "Sie haben einen eigenen Koch und bekommen täglich warmes Essen auf die Baustelle geliefert. Andere Bauarbeiter haben festgestellt, dass dieses Essen viel besser ist als das, was man bei uns im Asia-Imbiss kaufen kann. Die Arbeitsinspektion prüft zudem, ob die Nordkoreaner den Normen entsprechend arbeiten. Alle Kontrollen waren bisher positiv für uns."

Wie kommen die nordkoreanischen Arbeiter nach Warschau?

Doch eine vollständige Kontrolle ist gar nicht möglich. Ein Subunternehmer von Atal zahlt den Lohn für die Arbeiter an einen weiteren Subunternehmer - eine Baufirma aus Pjönjang. Deren Verträge mit den Arbeitnehmern unterliegen nordkoreanischem Recht, wie die Arbeitsinspektion in einem jüngsten Bericht feststellte. Dort heißt es, Zitat: "Der koreanische Arbeitgeber hat nicht die Pflicht, seine Dokumentation so zu führen, wie es für polnische Firmen verpflichtend ist."
Menschenrechtsorganisationen betonen, das selbst Überweisungen auf angebliche Privatkonten in Nordkorea wenig aussagen: Niemand könne überprüfen, wer dort auf die Konten Zugriff hat.
Atal will trotzdem und trotz der schlechten Presse an der Zusammenarbeit mit Nordkorea festhalten:
"Die nordkoreanische Firma garantiert, dass sie die gestellten Aufgaben solide ausführt. Das sind Fachleute, die ihre Arbeit stets pünktlich ausführen. Wir haben gute Erfahrungen gemacht, warum sollten wir also etwas ändern."
Siedlungen wie die "Oase Wilanow" entstehen für die gehobene Warschauer Mittelschicht. Fast immer sind sie von Zäunen umgeben, oft auch bewacht, sogenannte "Gated Communities". Warschau ist die Stadt in Europa mit den meisten bewachten Wohnsiedlungen.
Warum - darüber zerbrechen sich Soziologen den Kopf. Denn die Kriminalitätsrate in Warschau ist niedrig, deutlich niedriger als etwa in Berlin. Seit Jahren sinkt die Zahl der Diebstähle, der Überfälle und Einbrüche.
Solche abgeschlossenen Wohnsiedlungen, für die Nordkoreaner arbeiten, machen den reichen Warschauern das Leben kaum sicherer, sagt der Soziologe Bohdan Jalowiecki:
"Das Wichtigste für die Bewohner – das ist meine Hypothese – ist das Prestige, das Gefühl, mehr wert zu sein als andere. Die Bewohner schauen auf die anderen Warschauer herab, die sich eine Wohnung in so einer Siedlung nicht leisten können."
Zugeben will das freilich kaum einer, der sich dort eine Wohnung gekauft hat.
"Marina Mokotow" - die größte bewachte Siedlung in Warschau. 4000 Menschen wohnen hier. Die Bewohner halten eine Chipkarte an die Schranke, wenn sie hineinfahren wollen. Wachpersonal beobachtet sie dabei.
Zwei ältere Damen gehen an einem künstlichen Weiher entlang. Wie es ihnen hier gefällt?
"Alle ist hier so funktional angelegt. Das ist für ältere und für jüngere Leute toll. Direkt vor dem Haus kann man sich auf eine Bank setzen und ausruhen. Das ist sehr durchdacht."
Eigentlich müsse man die Siedlung kaum mehr verlassen, meint die andere Dame. Schließlich gebe es hier auch Restaurants, einen Lebensmittelladen und sogar eine Kosmetikerin.
Sich vom Leben in der Stadt möglichst abzukapseln, das wollen viele in der Siedlung. Schließlich lebten hier auch Schauspieler und Fernsehstars, sagt eine Unternehmerin, die im sich im Café der Siedlung gerade Kuchen holt:
"Die Begüterten wollen einfach nicht, dass jemand vor ihr Haus kommen und betteln kann. Das ist ihnen unangenehm. An der Ampel vor der Einfahrt in die Marina steht oft einer und bettelt. Ich habe noch nie gesehen, dass einer von hier ihm etwas gegeben hätte. Und weil wir hier bewacht sind, kommen solche Leute nicht her und fragen, ob wir alte Kleidung oder etwas zu essen für sie hätten."
Als die Ladeninhaber in der Siedlung durchsetzen wollten, dass tagsüber auch Kunden von außerhalb kommen dürfen, hagelte es Proteste. In den Internet-Foren der Bewohner hieß es: "Ich hab doch nicht so viel Geld für meine Wohnung bezahlt, dass jetzt Obdachlose um mein Haus schleichen können."
Auch sonst meidet die gehobene Warschauer Mittelschicht gern den Kontakt mit der rauen Wirklichkeit. Die Unternehmerin, 45 Jahre alt und alleinerziehend, schwärmt: Sie könne selbst im Winter ohne Jacke einkaufen oder ins Kino gehen. In der beheizten Tiefgarage steigt sie in ihren Jeep und fährt direkt in die Tiefgarage der nächsten Shopping Mall. Besonders hebt sie hervor, dass die Nachbarn sie noch nie durch Krach gestört hätten.
"Hier in der Marina freundet sich aber auch keiner mit dem anderen an. Die Leute sagen höchstens 'Guten Tag' und verschwinden in ihrer Wohnung. Bei mir neben an wohnen zwei Ehepaare mit Kindern und irgendein Mann, wir haben keinerlei Kontakt miteinander."
Die Siedlung ist doppelt gesichert: Als Ganzes umfriedet und bewacht, und darüber hinaus sind die einzelnen Wohnblocks der Siedlung noch einmal mit Zäunen umgeben, die auch nur mit der passenden Chip-Karte überwunden werden können.
Auch von der Tiefgarage aus kommt man nur mit dieser Karte ins Treppenhaus. Die Unternehmerin findet das in Ordnung:
"Schließlich kommen auch fremde Leute ins Innere der Siedlung. Gartenarbeiter zum Beispiel oder Putzfrauen. Meine hat eine Zugangskarte - und sie stiehlt nicht. Aber vielleicht stiehlt die Putzfrau des Nachbarn, das weiß ich ja nicht."

Die Superreichen bauen sich Villen wie Adelsschlösser

Abgeschirmt zu wohnen, umgeben von Wachpersonal - das hat sich die Warschauer Mittelschicht bei den Superreichen abgeschaut, die noch etwas abgelegener leben. Zum Beispiel in Konstancin, einem Ort im Süden der polnischen Hauptstadt. Dort haben sie ihre Villen hinter hohen Zäunen verschanzt, die Fremden nicht einmal Einblick gewähren. Manche sind der Öffentlichkeit nur von unscharfen Satellitenbildern bekannt. Einer, der solche Villen mit eigenen Augen gesehen hat, ist Krzysztof Jasiecki. Der Soziologe forscht über polnische Superreiche.
"Es gibt die Tradition, die Villen wie alte Adelsschlösser zu bauen. Früher war die Elite geteilt: Der Adel war polnisch. Geschäftsleute waren dagegen waren häufig Juden oder Deutsche. Sie hatten einen anderen Stil. Die polnischen Reichen heute knüpfen deshalb gerne an die Adelstradition an."
Den Wissenschaftler interessiert vor allem, wie diese Menschen zu ihrem Geld gekommen sind. Nach der demokratischen Wende 1989 hielten ausgerechnet kommunistische Kader die Trümpfe in der Hand.
"Leicht hatten es diejenigen, die schon in der sozialistischen Wirtschaft aktiv waren. Die Direktoren von Unternehmen etwa oder die Leute in der Steuerverwaltung. Sie hatten das nötige Wissen und die nötigen Verbindungen. Sie hatten Bekannte in den Banken, die ihnen Kredite verschaffen konnten. Sie hatten auch Kontakte zu Unternehmen im Ausland."
Wie die Familie Kulczyk, zu deren Imperium heute Ölförderfirmen, Brauereien und exklusive Immobilien gehören. Dessen Gründer wanderte schon wenige Jahre nach dem Krieg nach Deutschland aus. Er verkaufte weltweit eine in Polen hergestellte Handwaschpaste und arbeitete dabei eng mit dem polnischen Exportministerium zusammen. Sein Sohn Jan Kulczyk, der in Polen geblieben war, wurde dank dieser Verbindungen in den 1990er Jahren zum reichsten Mann seines Landes.
Inzwischen seien aber auch Polen ohne sozialistische Vergangenheit zu Reichtum gekommen, sagt der Soziologe Krzysztof Jasiecki. Im ganzen Land entstand eine Vielzahl erfolgreicher Unternehmen, darunter Zulieferbetriebe für die deutsche Autoindustrie. Und immer mehr Firmenbesitzer zeigen ihren Reichtum auch.
Dafür spricht der Erfolg des Warschauer Ferrari-Salons. Das Modell, das die Kunden hier vor allem bewundern, sei eines der sportlichsten im Ferrari-Sortiment, sagt Marketing-Manager Michal Maske:
"Dieser Wagen hat 670 PS und einen sehr tief liegenden Schwerpunkt. Der Motor ist zentral hinter den Sitzen platziert und von außen durch eine Glasscheibe zu sehen. Das verstärkt die sportliche Anmutung. Wer so ein Auto bestellt, muss im Moment ein Jahr lang warten."
Und die Kleinigkeit von mindestens 280.000 Euro bezahlen.
Warschau: Hier verkauft die italienische Automarke Ferrari ihre Luxuswagen.
Warschau: Hier verkauft die italienische Automarke Ferrari ihre Luxuswagen.© picture alliance / Jerzy Dabrowski

Ferrari-Showroom im Gebäude der einstigen sozialistischen Staatspartei

Der Warschauer Ferrari-Salon besteht seit fünf Jahren. Ironie der Geschichte: Er ist in dem Gebäude untergebracht, in dem früher die sozialistische Staatspartei ihren Sitz hatte.
Mit diesen Autos machen die Besitzer dann gerne Ausflüge nach Deutschland. Inzwischen gibt es zwar auch in Polen ein Netz von Autobahnen, dort gilt aber ein generelles Tempolimit von 140 Stundenkilometern.
Nicht weit weg vom Ferrari-Salon, auf der Terrasse des Restaurant "Kultura", sitzt Jerzy Iwaszkiewcz. Er kennt Geschichten aus der Welt der Warschauer Reichen, die ein Marketing-Manager nicht erzählen kann. Jerzy Iwaszkiewicz ist Journalist und verkehrt seit Jahrzehnten in den Kreisen der Warschauer Reichen und Schönen, schon zu sozialistischen Zeiten. Er darf Feuilletons über deren Leben schreiben, weil er weder Namen noch Zahlen nennt.
"Wenn jemand im August nicht im Hotel Bryza an der Ostsee auftaucht, so heißt es scherzhaft, dann muss er wohl im Gefängnis sitzen. Es gehört sich einfach, dort ein paar Tage Urlaub zu machen. Ich schreibe dann: Vor dem Hotel standen sechs Bentleys, zwei Jaguars, 18 Mercedes und nur ein Fiat. Nur die Einweihten wissen, wer das mit dem Fiat war."
Im Hotel Bryza sind die Reichen unter sich, dafür sorgen die Zimmerpreise. Auch zu ihrem wichtigsten Ball, dem Sommernachtsball, offiziell eine Wohltätigkeitsveranstaltung, lassen sie nur Bedienstete und einige Fotografen.
Schönheit ist in Polen, wie fast überall, ein Statussymbol. Die Kliniken für plastische Chirurgie boomen, und das nicht nur wegen der Kundinnen aus dem Ausland. Auch darüber schreibt Jerzy Iwaszkiewicz hin und wieder eine Glosse.
"Bekannt ist der Fall einer sehr praktischen Geschäftsfrau, der Besitzerin einer Fleischerei-Kette, die sich den Mund aufspritzen ließ. Sie wollte besonders viel von diesem Botox, von diesem Wurst-Gift, wie es auf polnisch heißt, damit es länger hält. Leider fing das dann zu wandern an, als die Schwellung zurückging. Ein Model wiederum ließ sich Falten an den Augen glätten - und kann das eine Auge seitdem nicht mehr schließen, sie schläft sogar mit geöffnetem Auge."
Iwaszkiewicz erzählt solche Geschichten mit einem verschmitzten Lächeln. Polen hätten eben Humor, meint er, auch die reichen.
Das gilt allerdings nicht für die rechtskonservative polnische Regierung. Sie hat sich den Warschauer Salon, wie die Zirkel der Stars und der Multi-Millionäre genannt werden, zum Feind erkoren.
"Polen hat in seiner Geschichte schon sehr viele Dinge erlebt, die fünfhundert Mal schlimmer waren. Angenehm ist das alles nicht, aber Polen dreht sich weiter, gleich, was sich die Regierung ausdenkt."
(huc)