Das Lebensgefühl Festival wird zum Klassenkampf
Trockene Holzhütten statt Zelt im Matsch - wer es sich leisten kann, kann bei Musikfestivals geradezu luxuriös leben. Das aber widerspreche dem Geist eines Festivals, kommentiert Christoph Möller. Denn so entstehe eine Zweiklassengesellschaft.
Waren das noch Zeiten! Monterey 1967. Woodstock 1969. Die Mütter aller Pop-Festivals. Langhaarige, bekiffte, nackte Menschen überall, der reine Exzess.
So wollen wir uns an Musikfestivals erinnern. Als Flucht aus dem Immergleichen, als Abgrenzung zur Hektik des durchgetakteten Lebens im 21. Jahrhundert. Festivals, das heißt Liebe, Alkohol, Drogen, Exzess, ein paar Tage lang nicht man selbst sein müssen.
Doch von wegen Abfreaken, Feiern, Tanzen. Festivals kommen immer öfter als mobile, touristische Beherbergungsbetriebe um die Ecke. Der Trend geht weg vom Camping hin zum gemütlichen Wohnen. Zur Zweiklassengesellschaft. Die, die es sich leisten können, und die, die es eben nicht können: der Festival-Pöbel.
Auf dem Melt Festival gibt es dieses Jahr für zahlungskräftige Musikfans so genannte Podpads. Bunte Hütten mit Solarstrom, die aussehen wie ein Puppenhaus. Zwei Fenster in Herzform direkt neben der Eingangstür, ein Spiegel für die morgendliche Gesichtspflege hängt bereit. Super sweet, super teuer: vier Nächte für 550 Euro in der Standardversion für zwei Personen, 750 Euro in der Luxusversion - jedes Hotel ist billiger.
Bio-Essen, Bio-Strom, Bio-Festival? Die Pauschalreise Musikfestival - sie ist im Trend. Auf dem Melt noch vergleichsweise spartanisch ausgestattet.
"Ruheinsel im Festivalwahnsinn"
Das Hurricane Festival im beschaulichen Scheeßel unweit der Lüneburger Heide schießt den Luxus-Vogel ab. Im wahrsten Sinne des Wortes. Man muss hier nur dem "Ruf der Eule" folgen - so der reichlich dämliche Name eines der Festival-Resorts - und schon sieht man sie, die "Ruheinsel im Festivalwahnsinn", wie es auf der Homepage heißt. Warum man im Festivalwahnsinn den Festivalwahnsinn, wegen dem man doch gekommen ist, vergessen soll, das erschließt sich nicht so wirklich. Zum "Ruf der Eule" Resort gehören "geschmackvoll beleuchtete Hauptwege", W-LAN und tägliche Müllabfuhr. Ein Campingplatz wie aus dem Manufactum Katalog.
549 Euro pro Person kostet die teuerste Behausung auf dem Hurricane: ein großes Zelt mit, "atmungsaktiver Außenmembran aus 100 Prozent Baumwolle", dazu Holzboden, Teppich, Kleiderständer. Bodenheizung für kalte Sommernächte gibt es dann vielleicht im nächsten Jahr. Die Beschreibungen auf der Festival-Homepage für diese Gated Communties sind großer Sprachmüll. Ein ins Absurde gesteigerter Versuch, Luxus zu behaupten. Ich wohne im "Resort Ruf der Eule", komm doch in mein "edles Zelt im Stile der Entdeckungsreisen durch die Urwälder Afrikas". Das klingt nicht nur lächerlich, sondern ist auch kolonialistisches Denken.
Das Gegenteil eines gemeinschaftlichen Happenings
Natürlich kann man sagen, diese Rundum-Sorglos-Unterkünfte bucht eben nur, wer möchte. Und für bestimmte Menschen ist der zusätzliche Komfort vielleicht die einzige Möglichkeit, überhaupt auf ein Festival gehen zu können. Wo ist das Problem? Dass es sie überhaupt gibt, diese durch Zäune abgetrennten VIP-Bereiche für die besser verdienenden Besucher. Sie sind so ziemlich das Gegenteil eines gemeinschaftlichen Happenings. Ja, sogar das Gegenteil der Idee von Musikfestivals an sich. Eingecheckt wird Backstage, Hauptsache weit weg vom Prekariat. Das Lebensgefühl Festival - es wird zum Klassenkampf.
Was passiert, wenn der Luxus zu weit getrieben wird, zeigt das Fyre Festival, das im April und Mai auf den Bahamas hätte stattfinden sollen, und kläglich am eigenen Anspruch gescheitert ist. Charterflüge aus Miami, Meet and Greet mit Stars und Models, Turns auf Luxusjachten. Musik, fast schon Nebensache. Ticketpreis: 1000 bis 12.000 Dollar. Am Ende: Sturm, Notunterkünfte, ein Festival im Chaos. Schadenersatzklagen, die in die Millionen gehen. Mit Pop-Festivals Geld machen wollen, kein Problem. Aber wenn Luxus und Breitband-Internet wichtiger werden als gute Musik und gemeinsames Feiern, dann läuft irgendwas gehörig schief.