"Eine lange gewachsene Fehlentwicklung"
Lydía Koniórdou ist Schauspielerin und seit zwei Monaten griechische Kulturministerin. Am Rande ihres Berlin-Besuchs erklärte sie, was sie sich trotz Geldmangels für die Kulturpolitik ihres Landes erhofft und warum die documenta-Zusammenarbeit für Athen so wichtig ist.
Britta Bürger: Mit der griechischen Kulturministerin Lydía Koniórdou setzt das Land eine Tradition fort, die die legendäre Schauspielerin und Sängerin Melina Mercouri begründet hat. 1981 wurde sie von der damals regierenden Pasok als Kulturministerin engagiert und prägte dieses Amt viele Jahre.
Seit zwei Monaten hat Griechenland nun wieder eine Kulturministerin, die eigentlich Schauspielerin ist, sie führt auch Regie und unterrichtet Theaterstudenten – in Griechenland nennt man sie "die weibliche Stimme der antiken Tragödie". Ich freue mich, dass Lydía Koniórdou bei ihrem derzeitigen Berlin-Besuch zu uns ins Studio gekommen ist – herzlich Willkommen.
Lydía Koniórdou: Danke schön. Ich bin sehr glücklich, dass ich mit Ihnen bin. Ich kann nicht sehr gut Deutsch sprechen, aber ich probiere.
Britta Bürger: Ich glaube, das klingt schon jetzt ziemlich gut. Bis vor kurzem standen Sie in antiken Tragödien als Schauspielerin und Sängerin auf der Bühne – zum Beispiel in Epidauros und im Athener Nationaltheater. Inwiefern hilft Ihnen das auf der politischen Bühne?
Lydía Koniórdou: Zurzeit habe ich einen sehr wichtigen Posten, der mich auch ehrt. Die Tatsache, dass ich die Kultur seit 40 Jahren von innen kenne, und zwar in allen Facetten, nicht bloß das Theater, auch die Kulturverwaltung. Das gibt mir die Gewissheit, mich mit den Problemen gut auszukennen. Ich kenne die Menschen gut, die in dieser Szene all die Jahre auch mit Kultur zu tun hatten. Wissen Sie, es ist ein schönes Gefühl, Menschen im Ministerium zu treffen, mit denen ich befreundet bin. Leute, die mir durch die gemeinsame Kulturarbeit nah waren. Das empfinde ich als Privileg und ich fühle mich nicht allein mit der Arbeit, die ich im Kulturministerium zu leisten habe.
Britta Bürger: 2014 waren Sie Kandidatin der Grünen bei den Europawahlen – seit 2015 engagieren Sie sich für die linke Syriza, die Sie im vergangenen November nun als Kulturministerin ins Kabinett geholt hat. Eine griechische Zeitung hat diesen Job als "elektrischen Stuhl" bezeichnet. Warum haben Sie diese schwierige Aufgabe angenommen – Kulturpolitik zu machen – in einem Land, das so gut wie kein Geld dafür zur Verfügung stellt?
Lydía Koniórdou: Eine gute Frage. Eigentlich habe ich mich auch über mich selbst gewundert, als mir der Vorschlag gemacht wurde – ich habe keinen Moment gezögert, ich musste es einfach tun. Es wird sich zeigen, ob es die richtige Entscheidung war. Aber, wissen Sie, es gibt nicht nur finanzielle Probleme. Es gibt strukturelle und Organisationsprobleme zu lösen, eine lange gewachsene Fehlentwicklung – aus welchem Grund auch immer. Solche Aufgaben kann man auch ohne Geld lösen.
"Organisationsprobleme, die den Kulturbetrieb behindert haben"
Bereits unter dem vorigen Minister, Herrn Baltás, wurde Ernsthaftes unternommen, um die Organisationsstrukturen neu zu organisieren und die Kulturinstitutionen den heutigen Bedürfnissen anzupassen. Und wir machen jetzt weiter – geben den Kulturinstitutionen frischen Sauerstoff. Das wird ihnen erlauben, die Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, sinnvoll einzusetzen – ob durch staatliche Förderung, durch Sponsoring oder Einnahmen. Es waren vor allem Organisationsprobleme, die den Kulturbetrieb behindert haben.
Britta Bürger: Griechenland hat ja eine ganze Menge interessanter neuer Kulturbauten – die Nationaloper und die Nationalbibliothek, das Onassis Kulturzentrum – doch ohne die großen Stiftungen der ehemaliger Reeder Onassis und Niarchos wäre all das nicht entstanden. Entwickelt sich in Griechenland ein amerikanisches Modell, in dem sich der Staat komplett aus der Kulturförderung heraushält?
Lydía Koniórdou: Das würde ich nicht so sehen. Ich finde diese Initiativen sehr wichtig, so empfinde ich es. Unser Land erlebt zurzeit eine große Herausforderung. Gut, wir haben solche Zeiten auch früher mal erlebt, vielleicht sogar schwierigere. Jetzt wird das Engagement der großen Wohltäter wiederbelebt, das gab es auch früher, und das ist wichtig. Es wird großzügig in einem Bereich investiert, der im Vergleich zum Gesundheitswesen, der Bildung oder dem Sozialwesen nicht als so wichtig erscheint.
Der Staat garantiert eine gerechte Verteilung. Dass die Initiativen gefördert werden, die es wirklich verdienen. Dass die jungen Kreativen unterstützt werden, ohne sie zu bevormunden. Man muss Ihnen Sauerstoff geben, damit sie weitermachen können und Hoffnung haben. An diesem Punkt versuchen wir anzusetzen. Denn große Sponsoren tendieren ansonsten zur Förderung bereits anerkannter Kulturschaffender. Uns interessiert die Zukunft, die kulturelle Bildung, die Künstler von morgen. Das ist ein Schwerpunkt, parallel zu unserem archäologischen und kulturellen Erbe.
Britta Bürger: Sie sind eine große Verfechterin des antiken Dramas, haben unter der Regie bedeutender Regisseure in vielen Tragödien Frauen verkörpert. An welche Figur müssen Sie in diesen Krisenjahren besonders oft denken?
Lydía Koniórdou: Sämtliche Frauenrollen im antiken Drama sind im Grunde viele Gesichter eines einzigen Menschen – durch den weiblichen Blick. Aber den weiblichen Blick kann auch ein Mann haben, es ist nicht die Perspektive einer Frau. Klytämnestra zum Beispiel nennt den Chor "Mannweib". Ich meine, die Figuren der antiken Tragödie sind Facetten des Menschen – so habe ich sie zumindest gespielt: als symbolische Figuren, die humane Eigenschaften ausdrücken, lauter Steinchen eines Mosaiks, des Menschen, jetzt, immer und überall.
Lernen von Frauenrollen im antiken Drama
Britta Bürger: Und welche dieser Figuren repräsentiert für Sie besonders diese Krisenjahre?
Lydía Koniórdou: Keine ausschließlich. Alle zusammen. Es sind Figuren, von denen man lernen kann, die Katharsis zu erleben, die durch die Erkenntnis kommt, das Verstehen der Ursachen hinter dem Schein. Das ist übrigens für mich eine große Hilfe, um Sachverhalte zu kapieren, manchmal sogar vorauszusehen.
Britta Bürger: Sie haben sich in Berlin auch mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters getroffen. Welche Kooperationen zwischen unseren beiden Ländern könnten Sie sich auf kultureller Ebene vorstellen?
Lydía Koniórdou: Die sehr wichtige Diskussion und unsere Zusammenarbeit begann mit einem großen Moment für Griechenland, die documenta 14 und ihrem Motto "Lernen von Athen". Viele Institutionen, staatliche und nicht-staatliche, setzen auf eine Beteiligung an dieser großen Zusammenkunft – auf den Straßen, in den Parks, es ist wirklich etwas sehr wichtiges. Gerade weil unser Land diese Krise durchlebt sieht man auch in Athen, dass interessante Gegenentwürfe entstehen. Das drückt das Motto "Lernen von Athen" aus. Die Ausstellung bietet eine Bühne, um diese Probleme, diese Unruhe auszudrücken. Und es geht um künstlerische Aktionen, die überall im Land entstehen – praktisch ohne Mittel und das ist zutiefst berührend.
Es ging im Gespräch mit Monika Grütters auch um den Schutz des Kulturerbes, Sie wissen ja, Griechenland ist ein lebendiges Museum, wir haben ein Interesse daran, die archäologischen Stätten instand zu halten und zu restaurieren und den illegalen Handel mit antiker Kunst zu bekämpfen – die Zerstörung von antiken Stätten, wie wir sie in Kriegsregionen erleben. Nicht zuletzt ging es auch um die Buchpreisbindung, die uns ein großes Anliegen ist; sie wurde außer Kraft gesetzt und das hat schwerwiegende Probleme verursacht.
Britta Bürger: "Fazit" wird zur documenta nach Athen kommen und ich hoffe, dass wir uns dann wieder sehen und hören. Lydía Koniórdou griechische Kulturministerin, herzlichen Dank für Ihren Besuch.
Lydía Koniórdou: Ich bedanke mich auch sehr. Dankeschön.