Papusza
Vom Aufstieg einer Analphabetin zur gefeierten Dichterin.
DAS WASSER, DAS WANDERT
Längst entschwunden sind die Zeiten
der Zigeuner, die gewandert.
Ich aber seh sie, hurtig wie Wasser,
stark und durchscheinend.
Man kann es hören,
wie's wandert,
wie's Lust hat zu reden.
Aber das Arme – es kennt keine Sprache
außer dem Rauschen und Silbergeplätscher.
Nur das Pferd auf der Weide
hört und versteht sein Geraune.
Doch schaut's nach ihm sich nicht um,
flieht eilends, läuft weiter,
wo niemand es ausspäht,
das Wasser, das wandert.
Längst entschwunden sind die Zeiten
der Zigeuner, die gewandert.
Ich aber seh sie, hurtig wie Wasser,
stark und durchscheinend.
Man kann es hören,
wie's wandert,
wie's Lust hat zu reden.
Aber das Arme – es kennt keine Sprache
außer dem Rauschen und Silbergeplätscher.
Nur das Pferd auf der Weide
hört und versteht sein Geraune.
Doch schaut's nach ihm sich nicht um,
flieht eilends, läuft weiter,
wo niemand es ausspäht,
das Wasser, das wandert.
Papusza: "Als Kind war ich am Fluss Memel. Meine Mutter hat mir den Zigeuner-Namen Papusza gegeben, die Puppe. Als Kind war ich gesund, hatte wohlgeformte Arme und Brüste und eine Haarfülle. Ich war schlank, hatte gesunde Farbe im Gesicht, mochte tanzen, singen und heiter sein."
Papusza, die Puppe, wurde ihr Pseudonym, zum künstlerischen Markenzeichen. Um 1910, das genaue Jahr ist nicht verbürgt, wurde sie geboren. Mit bürgerlichem Namen hieß Papusza Bronislawa Wajs. Sie war nicht nur schön, auffallend war ihre literarische Begabung.
Die polnische Autorin Angelika Kuźniak hat Papuszas Zigeunerleben in einer penibel dokumentierten Biografie beschrieben. Nach mehreren Jahren umfangreicher Recherche ist 2013 ihr eher schmales Buch erschienen. Aber Kuźniaks biografische Prosa ist komprimiert wie Dichtung. Präzise und mit Empathie durchleuchtet sie Papuszas turbulentes Leben und ihre Gedanken- und Gefühlswelt. Für die Autorin ist es selbstverständlich, die Lyrikerin so zu nennen, wie sie es selber tat – Zigeunerin.
Angelika Kuźniak: "In meinem Buch und auch sonst verwende ich das Wort Zigeuner. Nur selten spreche ich von den Roma. Aber wenn ich Zigeuner beziehungsweise Roma treffe, frage ich direkt, wer sie sind und wie ich sie nennen soll. Es ist mir bewusst, dass es in Polen immer mehr Menschen gibt, Zigeuner und Roma, die zwischen den beiden Bezeichnungen unterscheiden und für sich eine von ihnen wählen. Wenn ich das Wort Zigeuner verwende, mache ich es auch im Sinne von Papusza. Sie selbst nannte sich immer Zigeunerin und sagte, sie sei keine ‚Roma'. Ich kenne eine Aufnahme mit ihr, wo sie mit herzlichem Lachen auf den Namen ‚Roma' reagiert. Politisch korrekt müsste man das Wort Roma verwenden. Doch ich möchte bewusst das Wort Zigeuner von Ihrem negativen Kontext ‚entlasten'."
Ihre Empfindsamkeit ließ Papusza über die Natur der Dinge staunen und sie bewundern. Mit eigenen Worten besang sie das unmittelbar Erlebte und Gesehene. 1949, nach einer schicksalhaften Begegnung mit dem Dichter Jerzy Ficowski, als sie schon etwa 40 Jahre alt war, sind aus ihren Gesängen Gedichte geworden. Zu ihren Lebzeiten war die Lyrikerin eine Ausnahmeerscheinung, denn das Volk der Zigeuner bediente sich bis dahin kaum der Schrift, und die Frauen waren allgemein Analphabetinnen ohne irgendeine schulische Bildung.
Papusza: "Bis ins Alter von zwölf Jahren konnte ich weder schreiben noch lesen. Ich wollte so sehr schreiben und lesen lernen, doch meine Familie schenkte mir keine Beachtung. Mein Stiefvater war ein Trinker und Spieler, und meine Mutter wusste nicht, was es bedeutete, lesen, schreiben und rechnen zu können, oder was ein Kind lernen musste. Also wie lernte ich es? Ich bat die Kinder, die zur Schule gingen, mir zu zeigen, wie man die Buchstaben schreibt. Ich stahl immer irgendetwas und brachte es ihnen, damit sie mir etwas zeigten, und so lernte ich a, b, c, d und so weiter."
ZIGEUNERLIED AUS PAPUSZAS KOPF GEFERTIGT:
... Das Feuer lieb ich wie mein eignes Herz.
Winde, stark und sachte
wiegten das Zigeunerkind,
trieben's weithin in die Welt.
Regen wuschen mir die Tränen,
der Sonnenball – goldener Zigeunervater
wärmte mir den Leib
und versengt' mir schön das Herz ...
Winde, stark und sachte
wiegten das Zigeunerkind,
trieben's weithin in die Welt.
Regen wuschen mir die Tränen,
der Sonnenball – goldener Zigeunervater
wärmte mir den Leib
und versengt' mir schön das Herz ...
... Es wiehert das Zigeunerpferd,
weckt die fremden Leute,
fröhlich macht es das Zigeunerherz.
Eichhorn auf der Wagenplane
knackt und knabbert Nüsse ...
Oj, wie ist es schön zu leben,
alles das zu hören!
Oj, wie schön,
alles das zu sehen!
weckt die fremden Leute,
fröhlich macht es das Zigeunerherz.
Eichhorn auf der Wagenplane
knackt und knabbert Nüsse ...
Oj, wie ist es schön zu leben,
alles das zu hören!
Oj, wie schön,
alles das zu sehen!
Oj, wie ist es schön zu leben,
nachts zum Fluss zu gehen,
Fische, kalt wie kaltes Wasser,
einzufangen mit den Händen ...
Am Himmel Henne samt den Küken
und auch der Zigeunerwagen
deuten die Zigeunerzukunft.
Und das Silbermondgesichtchen,
Ahnenvater uns aus Indien,
schenkt uns Licht,
mustert still im Zelt die Kinder,
leuchtet der Zigeunerin,
dass sie wohl ihr Kindlein windle ...
nachts zum Fluss zu gehen,
Fische, kalt wie kaltes Wasser,
einzufangen mit den Händen ...
Am Himmel Henne samt den Küken
und auch der Zigeunerwagen
deuten die Zigeunerzukunft.
Und das Silbermondgesichtchen,
Ahnenvater uns aus Indien,
schenkt uns Licht,
mustert still im Zelt die Kinder,
leuchtet der Zigeunerin,
dass sie wohl ihr Kindlein windle ...
Angelika Kuźniak: "Wenn ich über Papuszas Leben nachdenke, das schwere Leben einer Frau in der patriarchalen Kultur der Roma, denke ich, dass sie in ihrem tragischen Leben auch glücklich war. Sie erzählte über die Wanderungen, während der sie den Himmel beobachtete, und über das Gefühl der Freiheit dabei. Sie verglich sich mit der Königin Bona, fühlte sich wie eine Frau, der alles gehört. Das Wandern löste bei ihr Glück aus. Und es gab eine Kehrseite dieses Lebens. Das Schreiben hat sie aus der verfestigten Struktur der Gruppe gerissen und in eine Welt versetzt, in die sie gar nicht hineingehörte. Ihr Bildungsdrang wurde in ihrer Umgebung nicht gefördert. Ihr Stiefvater schlug sie und spuckte sie an. Ihre Mutter erzählte ihr über die Dummheit, die aus den Büchern kommt. Dennoch lernte sie weiter."
In der Ehe mit dem Harfenspieler fand sie kein Glück
Bronislawa Wajs und Jerzy Ficowski begegneten sich zufällig. Der junge Dichter wurde 1949 in Warschau vom Staatssicherheitsdienst verhaftet und in langen Verhören immer wieder mit einer Waffe bedroht. Eine neue Welle des stalinistischen Terrors machte sich damals in Polen breit und Verhaftungen wie die seine waren an der Tagesordnung. Das damalige Regime sah in Ficowski, der während des Zweiten Weltkriegs im Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer gekämpft hatte, einen politischen Feind. Ehemalige Widerstandskämpfer und Partisanen wurden eingesperrt, eingeschüchtert und erpresst. Die Sicherheitsbeamten, die Ficowski bedrohten, wollten ihn unbedingt zur Mitarbeit als Spitzel zwingen. In der ausweglosen Situation unterschrieb er eine Einverständniserklärung und verließ Warschau, um unterzutauchen. Hilfe bekam er von einem Armee-Offizier, der zu seinen Freunden einen Zigeuner-Clan zählte. Dass diese "fahrenden Leute" trotz ihrer Abgeschlossenheit Ficowski aufgenommen haben, war außergewöhnlich. So durfte der Dichter mit ihnen durch Polen als Zigeuner ziehen. Damals lernte er Bronislawa Wajs kennen, in der er eine verwandte poetische Seele erkannte:
"Sie ist die Frau von dem Alten mit dem grauen Schnurrbart, wir rufen sie Papusza. Sie erfindet Zigeunerlieder."
Der Alte mit dem grauen Schnurrbart war der Harfenspieler Dionizy Wajs. In seiner Familie wurde seit Generationen der Musikerberuf vererbt. Bronislawa heiratete den erheblich älteren Mann mit 16. Im Eheleben fand sie kein Glück. Mit Dionizy kam in die Ehe seine Musik, Papusza mochte Musik, aber ihr Element war die Sprache. In den Jahren vor der Ehe wollte sie unbedingt eine Schule besuchen und durfte es nicht. Dass sie Lesen und Schreiben dennoch beherrschte, verdankte sie ihrer mühsamen autodidaktischen Arbeit – aus dem tiefen Bedürfnis heraus, keine Analphabetin sein zu wollen wie die Frauen in ihrem Volk:
"Ich kann gut lesen, aber meine Schrift ist schrecklich, weil ich viel lese, aber nie viel geschrieben habe. Das ist mein ganzes Leben lang so geblieben. Ich bin sehr stolz auf mein Wissen, auch wenn ich es nicht in der Schule gelernt habe."
WO IST MEIN ROCK AUS ALLEN BLUMEN DER WELT
Herr, wo ist mein Rock,
dieser rote und weiße
aus allen Blumen der Welt?
Wer hat ihn mir zerfetzt?
Wo ist er, o sagt mir!
Mein Gott, so fein war er,
wie soll ich ihn vergessen?
Herr, wo ist mein Rock,
dieser rote und weiße
aus allen Blumen der Welt?
Wer hat ihn mir zerfetzt?
Wo ist er, o sagt mir!
Mein Gott, so fein war er,
wie soll ich ihn vergessen?
Meine weißen, roten und grünen Wälder,
meine schwarzen Abende,
Mitternachtsstunden
erinnern nichts mehr
und wissen gar nicht,
wo eine Bauersfrau,
vielleicht Zigeunerin,
einherstolziert in meinem Rock
und lacht und singt!
meine schwarzen Abende,
Mitternachtsstunden
erinnern nichts mehr
und wissen gar nicht,
wo eine Bauersfrau,
vielleicht Zigeunerin,
einherstolziert in meinem Rock
und lacht und singt!
Herr, wie ich ihn genäht hab!
Wie ich ihn gelegt hab!
Weit in den Bergen, den Tälern mache ich halt,
hier und dort schau ich mich um:
wo ist mein Rock,
der rotweißschwarze,
aus allen Blumen der Welt?
Wie ich ihn gelegt hab!
Weit in den Bergen, den Tälern mache ich halt,
hier und dort schau ich mich um:
wo ist mein Rock,
der rotweißschwarze,
aus allen Blumen der Welt?
Und rufe aus: Was ist passiert?
Wollt ihr irgendwo mein Kleid verlieren?
Der Rock – es gibt ihn noch
obschon sehr alt.
Vor langer Zeit näht' ich ihn mir.
Bis er einmal meiner Hand entglitt,
als der Schlaf mich übermannte.
Doch ich bin erwacht und prophezei dir, Herr,
dass ich ihn noch finde.
Wollt ihr irgendwo mein Kleid verlieren?
Der Rock – es gibt ihn noch
obschon sehr alt.
Vor langer Zeit näht' ich ihn mir.
Bis er einmal meiner Hand entglitt,
als der Schlaf mich übermannte.
Doch ich bin erwacht und prophezei dir, Herr,
dass ich ihn noch finde.
Flucht vor dem Tod
Unterwegs mit dem Wander-Clan, hörte Jerzy Ficowski Papuszas Lieder und staunte. Was sie auf Romani singend improvisierte, war für ihn reine Poesie. Er überredete sie, ihre poetischen Improvisationen aufzuschreiben, lernte ihre Sprache kennen und übersetzte ihre Lyrik ins Polnische. Seine Übersetzungen schickte er an Julian Tuwim, den bekannten polnisch-jüdischen Dichter. Tuwim, geschätzt für sein Epos "Polnische Blumen", hatte sich mit dem damaligen Regime arrangiert und konnte bei der Veröffentlichung behilflich sein. Nach einer Intervention des polnischen Schriftstellerverbandes ließ der Staatssicherheitsdienst schließlich Jerzy Ficowski in Ruhe. Er durfte vom Wanderleben Abschied nehmen, zurückkehren in sein altes Leben. Aber er nahm keinen Abschied von dem Wander-Clan und erforschte weiter dessen Sprache und Kultur. Jerzy Ficowski notierte:
"Ich habe ihr Vertrauen gewonnen, als ich ihnen bei der Suche nach ärztlicher Betreuung geholfen habe. Sie konnten sich überzeugen, dass sie von mir nicht nur nichts Böses zu fürchten brauchen, sondern dass ich sogar für meine Hilfen kein Geld verlangte. Auf der Wanderschaft mit ihnen lernte ich ihre Sprache und Bräuche kennen. Sie haben die Geheimnisse ihrer Lebensweise vor Fremden gehütet. Ihre Abneigung der Außenwelt gegenüber resultierte aus einem Leben, das vom Gefühl des Leids, das ihnen Jahrhunderte lang zugefügt worden ist, geprägt war."
Die Verfolgung der Zigeuner während des Zweiten Weltkriegs verwandelte ihr Wanderleben in die Flucht vor dem Tod. Papuszas Clan versteckte sich vor deutschen Nazis und ukrainischen Faschisten in den Wäldern und Sümpfen in Wolhynien – in jenem Gebiet, das heute nicht mehr in Polen, sondern teilweise in Weißrussland, teilweise in der Ukraine liegt. Papuszas längstes Gedicht trägt den Titel:
BLUTIGE TRÄNEN. WAS WIR UNTER DEN DEUTSCHEN IN WOLHYNIEN IM 43. UND 44. JAHR ERDULDET
Im Wald ohne Wasser und Feuer – ein Hungern.
Wo schlafen die Kinder? Es gibt keine Zelte.
Wir dürfen des Nachts uns kein Feuer entfachen,
bei Tag gäb der Rauch wohl den Deutschen ein Zeichen.
Wie leben mit Kindern in Winterskälte?
Alle sind barfuß ...
(...)
Tag und Tag gib's nichts zu essen, auch schlafen gehen alle hungrig.
Die Augen wollen sich nicht schließen,
schau'n in die Sterne ...
Gott, wie schön ist's zu leben,
Die Deutschen woll'n unser Leben.
Im Wald ohne Wasser und Feuer – ein Hungern.
Wo schlafen die Kinder? Es gibt keine Zelte.
Wir dürfen des Nachts uns kein Feuer entfachen,
bei Tag gäb der Rauch wohl den Deutschen ein Zeichen.
Wie leben mit Kindern in Winterskälte?
Alle sind barfuß ...
(...)
Tag und Tag gib's nichts zu essen, auch schlafen gehen alle hungrig.
Die Augen wollen sich nicht schließen,
schau'n in die Sterne ...
Gott, wie schön ist's zu leben,
Die Deutschen woll'n unser Leben.
Ach, du mein Sternchen!
Wie scheinst du so mächtig!
Blende die Deutschen!
Greif ihre krummen Wege!
Zeig keinen guten,
weis ihnen den falschen,
damit leben kann das Juden- und Zigeunerkind!
Wie scheinst du so mächtig!
Blende die Deutschen!
Greif ihre krummen Wege!
Zeig keinen guten,
weis ihnen den falschen,
damit leben kann das Juden- und Zigeunerkind!
Nach der Veröffentlichung einzelner Gedichte von Papusza in literarischen Zeitschriften kam 1956 eine zweisprachige Sammlung auf Romani und Polnisch heraus mit dem Titel "Pieśni Papuszy". Als Zeichen literarischer Anerkennung nahm sie 1962 der Verband Polnischer Schriftsteller auf. Die Poeten und Förderer Ficowski und Tuwim haben der Lyrik von Bronislawa Wajs den Weg in die Literatur geebnet, durch sie wurde Papusza zur ersten Dichterin ihres Volkes.
Papusza: "Ich habe nicht für die Leute, sondern für mich geschrieben, einfach so. Herr Jerzy Ficowski sagte einmal am Lagerfeuer zu meinem Mann, Ihre Frau ist eine Dichterin. Daraufhin fragte ich, was eine Dichterin ist? Ich wusste es wirklich nicht. Und bis heute weiß ich es nicht so richtig. Mein Mann meinte, ich sei es nicht. Ich sagte etwas und sang einfach weiter. Ficowski redete meinem Mann ein: Sie haben eine Dichterin als Frau, sie soll weiter schreiben und zum ganzen Menschen werden. Und mein Mann zu mir: Gut, dann schreib, schreib, schreib ... Und was ich geschrieben habe, wurde nach Warschau geschickt."
Papuszas Aufstieg als Dichterin brachte ihr Ruhm ein. Der jedoch schützte sie nicht vor dem Vorwurf, den Sippenkodex verletzt zu haben. Sie wurde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Papusza hat als Frau und Dichterin einen Lebensanspruch gewagt, der mit ihrer Rolle als Zigeuner-Frau im Konflikt stand. Dieser Anspruch hat ihr eine Außenseiterrolle in ihrem Volk beschert. Den unmittelbaren Grund zum Ausschluss gab aber das 1953 veröffentlichte Buch „Polnische Zigeuner" von Jerzy Ficowski. Dieses Buch wurde missverstanden, seine fundamentale Bedeutung verkannt. Wie gegen Papusza, richtete sich der Groll des Clans fortan auch gegen ihn.
Angelika Kuźniak: "Mit der Veröffentlichung von ‚Polnische Zigeuner' begann Papuszas Lebensdrama. In Ficowskis Buch, außer einigen Seiten über die Dichterin, ist auch ein kleines Wörterbuch mit etwa 700 Begriffen. Papusza soll damit die Zigeunersprache an einen Fremden verraten haben. Ihr Clan meinte, Ficowski hätte mit ihrer Hilfe den offiziellen Stellen, wie zum Beispiel der Volkspolizei, ein der Kontrolle der Zigeuner dienendes Instrument gegeben. Bis dahin konnten die Frauen zum Beispiel während einer Polizei-Razzia ihre Männer, die sich irgendwo versteckt hielten, über die Lage informieren, indem sie mit lautem Gesang mitteilten, ob die Polizei noch da oder sie schon weg ist. Das Wörterbuch bedeutete das Risiko, von der Polizei verstanden zu werden. Meiner Meinung nach ist Papusza zum Sündenbock gemacht worden. Von ihren Clangenossen bekam sie zuhause Besuch und hörte die Drohung, sie würden sie fesseln und hinter einem Pferdewagen herziehen. Soweit ist es nicht gekommen, aber die Folge war Papuszas psychische Erkrankung. So richtig hat sie sich davon bis an ihr Lebensende nicht erholt."
Papusza: "Ich bin krank geworden, etwas ist mit mir geschehen. Ich verbrachte acht Monate im Krankenhaus."
Das Ausgestoßensein und der Aufenthalt in der Psychiatrie veranlassten sie zu der bitteren Feststellung: "Ohne Lesen und Schreiben hätte ich glücklicher gelebt."
Jerzy Ficowski notierte: "Ich hatte das Glück, Papusza zu kennen und gelte als Entdecker ihres Talents. Sie aber hatte das Unglück, mich zu kennen. Denn gegen meine Absicht, doch infolge meines Tuns, geschah ihr großes Unrecht. Hätte ich keinen Unterschlupf bei ihrer Sippe gefunden, hätte ich nicht unter den Zigeunern gelebt, und wäre ich nicht mit ihnen gewandert, würde niemand die Poetin aus dem Wald kennen. Vielleicht wären ihre schönsten Gedichte nie entstanden beziehungsweise niedergeschrieben worden."
Nicht alle wollten sesshaft werden – Papusza schon
In den 50er-Jahren erlebte die polnische Gesellschaft eine tiefgreifende Veränderung – auch die Gruppe der polnischen Tiefland-Zigeuner, aus der Papusza stammte, die seit Jahrhunderten in den Gebieten von Polen und Litauen wanderten. Infolge der Ansiedlungspolitik der Regierung kamen allmählich ihre Wagenzüge zum Stehen. Aber nicht alle von ihnen wollten sesshaft werden. Die Regierung bediente sich ganz unterschiedlicher Methoden, bot finanzielle Hilfen und Wohnungen an, reagierte aber auch mit Zwangszuweisungen. Jerzy Ficowski, ein guter Kenner ihrer abgeschotteten Lebensweise, wurde Regierungsberater für "Zigeunerfragen". Er und auch Papusza unterstützten die Ansiedlungspolitik. Im sesshaften Leben sah Papusza die Chance auf einen regelmäßigen Schulbesuch und die Bildung ihres Volkes. Sie selbst ist schon 1950 sesshaft geworden. 30 Jahre lang hat sie in Gorzów Wielkopolski in Westpolen, dann bis zu ihrem Tod 1987 in Inowrocław gelebt. Nach ihrem Ausschluss aus dem Clan verstummte sie für viele Jahre. Erst wieder in den 70ern verfasste sie Gedichte.
WALDGESANG
Ach, meine Wälder!
Auf der ganzen weiten Erde
würd' ich euch für nichts eintauschen –
nicht für Gold,
und nicht für teure Steine,
teure Steine, die schön funkeln
und die Menschen zu sich locken.
Ach, meine Wälder!
Auf der ganzen weiten Erde
würd' ich euch für nichts eintauschen –
nicht für Gold,
und nicht für teure Steine,
teure Steine, die schön funkeln
und die Menschen zu sich locken.
Und meine felsigen Berge,
meine Steine am Wasser,
teurer sind sie als Kleinodien
lichterglitzernd.
meine Steine am Wasser,
teurer sind sie als Kleinodien
lichterglitzernd.
Und in meinem Walde nächtens
noch zum Mond auf
Feuerflammen brennen,
strahlen Glanz aus wie die teuren Steine,
mit denen Menschen sich die Finger schmücken.
noch zum Mond auf
Feuerflammen brennen,
strahlen Glanz aus wie die teuren Steine,
mit denen Menschen sich die Finger schmücken.
Ach meine Wälder, geliebte,
duftend nach Wohlsein!
Aufgezogen habt ihr das Zigeunerkind
wie die eignen Bäumchen!
duftend nach Wohlsein!
Aufgezogen habt ihr das Zigeunerkind
wie die eignen Bäumchen!
Wie ein Blatt bewegt der Wind das Herz,
und es gibt da nichts zu fürchten.
Die Kinder singen,
ob durstig ob hungrig,
hüpfen und tanzen sie,
weil sie's der Wald so gelehrt.
und es gibt da nichts zu fürchten.
Die Kinder singen,
ob durstig ob hungrig,
hüpfen und tanzen sie,
weil sie's der Wald so gelehrt.
Eine allgemeine Bildung, die sich Papusza für ihr Volk gewünscht hatte, ist in Polen längst Realität geworden. Mit dem Generationswechsel hat sich auch die Einstellung zu Papusza unter den Zigeunern verändert.
Angelika Kuźniak: "Im Verband der polnischen Roma in Warschau hält man für wichtig, dass überhaupt begonnen wurde, über sie zu reden. Bis vor kurzem noch war sie in ihrer Kultur abwesend. Und immer noch passiert es, dass ältere Zigeunerfrauen ausspucken, wenn sie den Namen Papusza hören. Kaum jemand weiß heute, worum es damals wirklich ging und warum sie ausgeschlossen wurde. Ihr Schicksal hat sich einst in eine Legende verwandelt, die weiterhin ihre Wirkung zeigt. Andererseits gibt es junge Zigeuner, die ihre Gedichte auswendig können und sie rezitieren. Man kann sagen, dass sie Papusza wiederentdeckt haben."
LIED
Nach vielen Jahren,
vielleicht auch schon bald, früher,
werden deine Hände mein Gedicht auffinden.
Woher es kam?
Bei Tag, im Traum?
Und du erinnerst dich und denkst an mich –
ob das ein Märchen war,
oder die Wahrheit?
Und meine Lieder
und alles
wirst du vergessen.
Nach vielen Jahren,
vielleicht auch schon bald, früher,
werden deine Hände mein Gedicht auffinden.
Woher es kam?
Bei Tag, im Traum?
Und du erinnerst dich und denkst an mich –
ob das ein Märchen war,
oder die Wahrheit?
Und meine Lieder
und alles
wirst du vergessen.
Bronislawa Wajs ist nicht vergessen. Eine Tafel an ihrem Wohnhaus in Gorzów Wielkopolski, ein Denkmal aus Bronze in einem Park, Radio- und Fernsehprogramme, die ihr 1994 gewidmete Komposition "Papuszas Harfen" von Jan Kanty Pawluśkiewicz, der deutsch-polnische Gedichtband "Papuszas gesprochene Lieder" – übersetzt von Karin Wolf und vom Kleist-Museum in Frankfurt an der Oder 2011 herausgegeben – erinnern an sie. Und 2013 kamen zwei weitere, künstlerisch ambitionierte Arbeiten hinzu. Beide haben den Titel "Papusza": Das Buch von Angelika Kuźniak und ein jenseits jeglicher Lagerfeuerromantik in schwarz-weiß gedrehter bewegender Spielfilm. Die Musik, das Buch, der Spielfilm würdigen die Poetin. Wie ihre Dichtung sind sie aufrichtig und authentisch.
Angelika Kuźniak: "Als ich Aufnahmen mit Aussagen von Papusza gehört habe, fiel mir ein Satz auf, der mich erschütterte. Es ist ein Satz, in dem sie ihr ganzes Leben eingeschlossen hat. Sie sagte: Ich stammte aus einem Wandertross, jetzt stamme ich von nirgendwo."
MEINE ERDE, ICH BIN DEINE TOCHTER
Meine Erde, mein Wald,
ich bin deine Tochter.
Die Wälder singen, die Erde singt.
Der Fluss und ich fügen diesen Sang
zu einem Zigeunerlied.
Ich geh in die Berge,
die hohen Berge,
leg einen Rock an, einen prächtigen, schönen,
aus Blumen gefertigt
und rufe laut, wie mir Kraft zu Gebote:
Polnische Erde, weiße und rote!
(...)
Meine Erde, du schwammst in Tränen,
warst schmerzdurchbohrt,
Erde, du hast im Schlaf geweint
wie ein Zigeunerkleines
im Moos verborgen.
Verzeih mir, Erde,
meine schlechten Lieder,
die Zigeunerzeichen.
Und bette deinen, meinen Leib zusammen,
nach allem, wenn ich sterbe, nimm du mich auf!
(...)
Erde schwarzer Wälder,
dir bin ich entsprossen,
in deinem Moos erblickte ich die Welt.
Und was es gab an kleinen Lebewesen –
alle bissen sie und stachen
meinen jungen Leib.
Erde, mit Tränen und Liedern
hast du mich schlafen gelegt.
Erde, in Böses und Gutes hast du mich verschlagen.
Erde, an dich glaub ich fest,
für dich kann ich sterben.
Keiner nimmt dich mir fort,
keinem geb ich dich wieder.
Meine Erde, mein Wald,
ich bin deine Tochter.
Die Wälder singen, die Erde singt.
Der Fluss und ich fügen diesen Sang
zu einem Zigeunerlied.
Ich geh in die Berge,
die hohen Berge,
leg einen Rock an, einen prächtigen, schönen,
aus Blumen gefertigt
und rufe laut, wie mir Kraft zu Gebote:
Polnische Erde, weiße und rote!
(...)
Meine Erde, du schwammst in Tränen,
warst schmerzdurchbohrt,
Erde, du hast im Schlaf geweint
wie ein Zigeunerkleines
im Moos verborgen.
Verzeih mir, Erde,
meine schlechten Lieder,
die Zigeunerzeichen.
Und bette deinen, meinen Leib zusammen,
nach allem, wenn ich sterbe, nimm du mich auf!
(...)
Erde schwarzer Wälder,
dir bin ich entsprossen,
in deinem Moos erblickte ich die Welt.
Und was es gab an kleinen Lebewesen –
alle bissen sie und stachen
meinen jungen Leib.
Erde, mit Tränen und Liedern
hast du mich schlafen gelegt.
Erde, in Böses und Gutes hast du mich verschlagen.
Erde, an dich glaub ich fest,
für dich kann ich sterben.
Keiner nimmt dich mir fort,
keinem geb ich dich wieder.
Quellenangaben
Der deutsch-polnische Gedichtband "Papuszas gesprochene Lieder" wurde von Karin Wolff übersetzt und vom Kleist-Museum in Frankfurt an der Oder 2011 herausgegeben.
Aus diesem Band wurden zitiert: Das Wasser, das wandert, Zigeunerlied aus Papuszas Kopf gefertigt, Wo ist mein Rock aus allen Blumen der Welt, Blutige Tränen, Waldgesang, Lied, Meine Erde, ich bin deine Tochter