Lyriker Cees Nooteboom

Melancholische Verse eines heiteren Autors

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Der niederländische Schriftsteller Cees Noteboom sitzt bei der lit.Cologne 2016 hinter einem Tisch und liest aus einem Buch.
Über den Tod könne man doch nur schreiben, solange man noch lebt, sagt Cees Noteboom lakonisch. © imago-images / Thilo Schmülgen
Von Tobias Wenzel |
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Nach dem Erscheinen seines neuen Lyrikbands habe ihn eine Freundin angerufen, sagt der niederländische Schriftsteller Cees Noteboom. Die Melancholie darin habe ihr Sorgen bereitet. Doch der Autor präsentiert sich bei einem Besuch in bester Laune.
Zwei Möwen streiten sich im Flug um ein Stück Brot und fallen auf das Eis einer zugefrorenen Gracht in Amsterdam. Nur 50 Meter davon entfernt, wenige Minuten später, sitzt Cees Nooteboom in einem hellbraunen Ohrensessel in seinem Wohnzimmer und erzählt, dass schon vor Sonnenaufgang Amsterdamer auf den Grachten Schlittschuh gelaufen sind.
"Das Schlittschuhlaufen ist eine Nationalleidenschaft. In zehn Jahren ist es nicht passiert, dass die Grachten zugefroren sind!" Der niederländische Autor klingt so euphorisch, als wollte er sofort selbst Schlittschuh fahren. "Jetzt nicht mehr, mit 87 werde ich mein Leben nicht mehr wagen", sagt Noteboom und lacht.
Dass Cees Nooteboom derart heiter ist, überrascht, wenn man seinen neuen Gedichtband "Abschied" gelesen hat. Denn der ist voll von Melancholie. Ein Nachdenken über die Vergänglichkeit und den Tod in 33 Gedichten:
"Blind lauf ich weiter, ein fahler Hund
in der Kälte. Hier muss es sein,
hier nehme ich Abschied von mir selbst
und werde dann langsam
niemand."

Der Einfluss des Lockdowns auf das Dichten

Als das Buch schon auf Niederländisch erschienen war, rief eine Amsterdamer Freundin Nooteboom an und fragte ihn besorgt: "'Du stirbst doch nicht wirklich, oder?' Und da habe ich gesagt: 'Nein, nein. Aber wie kann man über den Tod oder den eigenen Tod schreiben, wenn man tot ist? Dann geht es nicht mehr. Also muss man das machen, wenn man noch lebt.'"
"Gedicht aus der Zeit des Virus" lautet der Untertitel des neuen Bandes. Darin kommt die Pandemie nicht wörtlich zur Sprache, sie gibt aber den Ton vor. Im Frühjahr 2020 wurde Nooteboom in einem Münchner Krankenhaus operiert. Als er entlassen wurde, waren zum ersten Mal strenge Maßnahmen gegen die Pandemie beschlossen worden:
"Da war München aber leer! Und da war etwas ganz Eigenartiges, ein Poster von irgendetwas, darauf stand: 'Ist das hier das Jenseits?' Dann sah ich die Trams vorbeikommen und die Busse, darin saß fast niemand. Dann hat man doch eine bestimmte Stimmung, nehme ich an. Ich denke, dass das Gedicht davon natürlich auch beeinflusst ist."

Erinnerungen an Krieg, Verlust und Leid

"Vor dem Ende kommt / alles noch einmal vorbei" heißt es in zwei Versen. So erinnert sich der Mann in den Gedichten, das lyrische Ich, das viel mit dem Autor gemein hat, immer wieder an den Krieg:
"Erstens ist mein Vater im Krieg im Bombardement gestorben. Es gab in Den Haag den Hungerwinter, wo viele Menschen gestorben sind. Das habe ich natürlich als Elfjähriger alles miterlebt. Dann gab es nachts große Luftflotten, um Deutschland zu bombardieren."
Stark beeinflusst hat die neuen Gedichte auch die Kunst von Max Neumann. Seine rätselhaften, sich aus der Andeutung speisenden Zeichnungen von Menschenköpfen, die nun in "Abschied" abgedruckt sind, lassen Noteboom mit seinem lyrischen Ich auch über das Verschwinden geliebter Menschen nachdenken:
"Ich sah sie gehen, die Gefährten
meines Lebens, sie entfernten sich langsam aus meinem
und ihrem eigenen Dasein. Ich behielt sie, solange
ich sie noch sah, hörte von ferne die Stimmen,
Töne aus Luft."

Vorfreude auf die Zeit nach der Pandemie

Verlust und Leid, ein ernüchterter Blick auf das Leben, der Rückzug vom Trubel der Welt in den privaten Garten, die Selbstbeschreibung als "einsamer Reiher", all das gegossen in wunderschöne melancholische Verse. Und dann sitzt einem der Autor dieser Verse gelassen und gut gelaunt gegenüber. "Abschied von der Literatur habe ich sowieso nicht genommen. Aber ob man noch einen ganzen Roman schreibt?"
Dann vielleicht doch lieber Schlittschuh laufen auf den zugefrorenen Amsterdamer Grachten? "Ja, nur ist da der Körper. Im ersten Fall ist es der Geist, der sagt: Muss man das noch machen? Nein: Schlittschuh fahren. Reisen, ja, das würde noch gehen."
Wenn die Pandemie vorbei ist, werde er nach Menorca reisen, wo er ein Haus hat und wo die ersten Gedichte des neuen Buchs entstanden sind. Beim Verabschieden warnt mich Nootebooms Ehefrau: Jetzt bei der Glätte rauszugehen, komme einem Selbstmord gleich. Dann sterbe ich halt, antworte ich. Und Cees Nooteboom ruft: "Nein! Wer veröffentlicht denn dann unser Interview?!"
Jemand, der sich solch einen frechen Humor bewahrt hat, denke ich, hat noch lange keinen Abschied vom Leben genommen. Oder wie es der Autor selbst ausdrückt: "Ich habe nicht das Gefühl, dass ich hier wie eine große Tragödie sitze."

Cees Noteboom: "Abschied"
Suhrkamp, Berlin 2021
100 Seiten, 22 Euro

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