Der Hölty-Preis ist mit 20.000 Euro die höchstdotierte Auszeichnung für Lyrik. Er wird seit 2008 im Zwei-Jahres-Rhythmus verliehen. Er wird am 13. September 2018 im Sprengel Museum Hannover überreicht.
Verse finden im Stolpern durch die Welt
Norbert Hummelt erhält den Hölty-Preis, die höchstdotierte Auszeichnung für Lyrik. Er ist ein leiser, hochsensibler Poet, der zum Dichten am liebsten rausgeht: "Was ich eigentlich wirklich brauche, das ist halt Gehen."
Norbert Hummelt sitzt an einem Massivholztisch und liest eines seiner Gedichte. Seine schwarze Katze Muzi springt auf den Tisch und beugt sich so neugierig über das aufgeschlagene Buch, dass sie dem Dichter die Sicht versperrt:
"Ich glaube, das müssen wir jetzt irgendwie noch mal neu… Das ist zu lustig, dass du jetzt hier mitmachen willst!"
Ohnehin liegt für Hummelt der Ursprung seiner Dichtung nicht in seiner Wohnung, sondern draußen:
"Mal sehen, dass wir hinter diesem Bus bleiben. Wir müssen gleich abbiegen."
Wir fahren in Norbert Hummelts Auto zum Volkspark Prenzlauer Berg. Fortbewegung ist wesentlich für seine Lyrik, erzählt er beim Warten an einer Ampel:
"Was ich eigentlich wirklich brauche, das ist halt Gehen. Und ohne Gehen, auch ohne Fahren, ob das jetzt Autofahren oder Zugfahren ist, kann ich mir eigentlich kaum vorstellen, dass etwas in Gang kommt."
Zuhause fällt ihm nichts ein
Zu Hause fällt dem 55 Jahre alten Lyriker, der auch als Übersetzer und Kulturjournalist arbeitet, einfach kein Gedicht ein. Einmal hatte er zwei Monate lang eine Schreibblockade, bis sie sich durch eine Erinnerung beim Fahrradfahren löste. Ein Gedicht lässt sich nicht erzwingen, ist sich Norbert Hummelt schon lange sicher. Er finde Verse vielmehr durch das absichtslose Stolpern durch die Welt.
Volkspark Prenzlauer Berg: Ein kleiner Wald bedeckt einen hohen, aus Trümmern entstandenen Hügel.
"Man kann sich hier eben wirklich noch verlaufen. Und wenn man einfach so ein bisschen drauflos läuft oben, geht man doch immer wieder ein bisschen andere Wege, obwohl ich schon sehr oft hier gewesen bin. Und das gefällt mir einfach gut."
Unser Ziel ist der mit knapp 91 Metern höchste Punkt, der Hummelt, auch wegen der Aussicht auf Windkraftanlagen und Hochhäuser, zu einem Gedicht inspiriert hat.
Schon als Kind, in Neuss am Rhein, liebte Norbert Hummelt das Spazierengehen:
"Also gerade die Spaziergänge, die ich mit meinem Vater zusammen unternommen habe, der früh gestorben ist, als ich 16 war. Mit dem habe ich in dieser doch eigentlich kurzen Zeit, die wir zusammen erlebt haben, in meiner Erinnerung wahrscheinlich noch mehr Gänge unternommen, als es wirklich der Fall war."
Feines Gespür für Erhebungen und Täler
Viele seiner melancholischen Gedichte kennzeichnet das Sich-Bewegen in der Landschaft, das feine Gespür für Erhebungen und Täler. Wer aus dem flachen Niederrhein kommt, sagt Hummelt, nimmt auch die kleinsten Anhöhen wahr.
Der Dichter thematisiert in seinen neoromantisch anmutenden Gedichten mal die Angst um das eigene Kind oder die, wie durch eine Glasscheibe abgeschnitten von der Welt zu sein. Dann wieder Kindheitserinnerungen. Und besonders das Thema des Vaters, von dem er viel zu wenig weiß und dem er gerne seine Gedichte gezeigt hätte.
"Wenn wir halt an irgendwelchen Kuhweiden vorbeikamen, das Vieh also gerade auf der Weide stand, dann sagte er gerne: Guten Tag, ihr Kühe, gebt euch keine Mühe!"
Vielleicht wegen dieser väterlichen Lust am Reim, vermutet Hummelt, reimt er, im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen, heute selbst. In seinen frühen experimentellen Gedichten misstraute er noch dem Reim. Aber was verpönt war, reizte ihn dann schließlich geradezu:
"So habe ich gemerkt, dass der Reim, wenn ich ihn in die Hand bekomme und nicht er mich, mir durchaus helfen kann, im Schreiben eigentlich zu mir selbst zu gelangen.
Jetzt muss ich mal sehen, wo wir hier sind… Es ist ziemlich ganz oben, trotzdem eigentlich nicht die Stelle, an die ich wollte, aber was ja vielleicht ganz schön ist."
Allein in einer merkwürdigen Welt
Norbert Hummelt hat den falschen der Zwillingsgipfel erwischt. Aber genau solche Überraschungen liebt er. Mit Unbehagen beobachtet er dagegen, wie sich das Bewusstsein der Menschen mit der fortschreitenden Digitalisierung der Welt verändert. Wie entwurzelt fühlt sich da Norbert Hummelt. Und so will er, erzählt er, wieder angekommen am Fuße des Trümmerbergs, etwas mit seinen Gedichten entgegensetzen:
"Vielleicht um zu exemplifizieren, was es bedeutet, im alten Sinne ein Mensch zu sein und ein Leben zu haben, das im Dunkel beginnt und irgendwann auch wieder aufs Dunkel zuläuft, aber auch hellere Strecken kennt. Und dann versucht man, sich zu erinnern, und versucht, aus dem Weitergehen und Zurückblicken etwas zu schöpfen, woran man sich halten kann, um sich in dieser Welt, die schon immer merkwürdig war und jetzt noch merkwürdiger wird, nicht so vollkommen alleine zu fühlen."