Emily Dickinson: Sämtliche Gedichte
Zweisprachige Ausgabe
Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von von Gunhild Kübler
Carl Hanser Verlag, München 2015
1408 Seiten, 49,90 Euro
Ich bin niemand. Wer bist Du?
Gut 150 Jahre sind die Gedichte der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson alt - und gelten auch heute noch als kühn, modern und rätselhaft. Dafür sorgt der unkonventionelle Umgang mit der Sprache.
Emily Dickinson hatte zu Lebzeiten auf die Veröffentlichung ihrer Gedichte und damit auf möglichen Ruhm verzichtet. Nur zehn wurden anonym und ohne ihre Zustimmung in Zeitungen abgedruckt. Dickinson schrieb ihre Gedichte in Notizbücher, die sie in einer Kiste aufbewahrte.
Kaum jemand wusste also im 19. Jahrhundert von ihr. Doch inzwischen, knapp 130 Jahre nach ihrem Tod, ist Emily Dickinsons Bedeutung unbestritten. Sie gilt längst als eine der berühmtesten amerikanischen Dichterinnen - und ist für viele doch immer noch ein Geheimtipp geblieben. Das Verblüffende: Ihre meist knappen Gedichte muten völlig modern an. Denn die Dichterin, die 1886 im Alter von 55 Jahren starb, war ihrer Zeit literarisch weit voraus.
Geist, Witz und Experimentierfreude
Bei der Lektüre staunt man immer wieder, wie viel Geist, Witz und Experimentierfreude und welch ein Wissen von der Welt und der Vielschichtigkeit der Gefühle in diesen Gedichten stecken. Die ganze Bandbreite dieser Dichterin kann man jetzt entdecken. Erstmals gibt es jetzt eine Übertragung all ihrer Gedichte ins Deutsche: Eine zweisprachige Ausgabe, die im Hanser Verlag erschienen ist, samt Anmerkungen und einem Nachwort von der Übersetzerin und Herausgeberin Gunhild Kübler.
Mit Gunhild Kübler und dem emeritierten Amerikanistik-Professor Heinz Ickstadt spricht Dorothea Westphal über das ungewöhnliche Leben von Emily Dickinson, das Besondere ihrer Lyrik und dieses große Projekt der kompletten Übersetzung.
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Vor drei Jahren ließ Deutschlandradio Kultur erstmals einen ganzen Monat lang über den Tag verstreut Gedichte ausstrahlen und über sie sprechen. Heute ist Lyrik en vogue und aus der Mitleidsecke heraus. Das ist die Gelegenheit, sich endlich ohne Nebengedanken, ohne Artenschutzsentiment den Gedichten selbst zuwenden und sie so wahrzunehmen wie seit Jahrhunderten die Prosa: kritisch und enthusiastisch. Daher sendet Deutschlandradio Kultur im August jeden Tag ein Gedicht, widmet sich die Lesart der Lyrik in Gesprächen, erkunden die Zeitfragen am Freitag um 19.30 Uhr und die Literatur am Sonntagmorgen um 0:05 Uhr lyrische Gefilde. Kooperationspartner ist lyrikline.org.