Sprecherin und Sprecher: Demet Fey und Tobias Teschner
Regie: Almut Schnerring und Sascha Verlan
Redaktion: Dorothea Westphal
Wilder Wörter-Wettkampf auf der Bühne
29:41 Minuten
Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es. Gilt diese Binsenweisheit auch für die Dichtkunst? Aber ja: Mit Poetry Slams und Rap-Battles kehrt die Wettbewerbsidee in die Lyrik zurück. Für den Wettstreit mit Wörtern gibt es viele historische Vorbilder.
Advanced Chemistry - Ich zerstöre meinen Feind:
"bum, bam, klatsch
ich hau dir auf die fratz mit den einzelnen worten oder mit 'nem ganzen satz
witsch, watsch, kladdaradatsch
meine reime sind ne überdimensionale fliegenklatsch
wumm - meine gedanken schlagen ein, wie ein dumdum
geschoss in deinem kopf, du kommst nicht drumrum
welch szenarium, welch spektakulum
ich rühr in deinem kopf, wie in quark herum."
In der altgriechischen Mythologie ist der Wettstreit zwischen Apollon und Marsyas überliefert. Aus dem Mittelalter ist der Sängerkrieg auf der Wartburg bekannt, aber auch die dichterische Fehde zwischen Neidhardt und Walther von der Vogelweide, später folgten die Meistersinger, die ihre Dichtung im öffentlichen Wettstreit präsentierten, vergleichbar den mittelalterlichen Ritterturnieren.
Manchmal war es eine Jury, oft war es aber auch das Publikum, das durch seinen Applaus über Sieg und Niederlage entschied. Die europäische Literaturgeschichte jedenfalls ist voll von lyrischen Wettkämpfen, die offen auf der Bühne ausgetragen wurden, von Angesicht zu Angesicht:
"Der Ehrensitz ist mein, ich lass ihn nicht;
Nicht er, ich bin der Meister der Tragödie!"
Eng verknüpft mit diesem lyrischen Wettkampfprinzip ist ein erstaunliches Höher, Schneller und Weiter in der Dichtkunst, eine Rekordjagd, die vor allem im Formalen ausgetragen wird, da sich Inhalte nur schwer vergleichen und bewerten lassen.
Stabreim als magisches Stilmittel
Die Alliteration beispielsweise, der Stabreim, ist eigentlich ein uraltes, magisches Stilmittel. Da sich sein Prinzip sofort erschließt, ist es im poetischen Wettstreit besonders beliebt:
blackalicious - Alphabet Aerobics:
"i be the big, bad body rockin bombay to boulevard bully back
better bring a bomb to the battlefield
bloody black beats bringing bottoms that boom
basically build barriers bewilder buffoons
listen now to words that begin with letter 'c'"
Jeder Regelverstoß ist sofort erkennbar, und auch die besondere Kunstfertigkeit wird schnell klar: Alliterationen mit X und Y spielen natürlich in einer ganz anderen Liga als Stabreime auf E und F.
Eine Disziplin im lyrischen Mehrkampf: Der Stabreim!
1999 veröffentlichte die US-amerikanische Rap-Band Blackalicious einen Song, in dem sie sich von A bis Z einmal durchs Alphabet rappt, teilweise gereimt und im Sprechtempo rasant zunehmend, "Alphabet Aerobics" eben:
blackalicious - Alphabet Aerobics:
"universal, unique untouched
unadulterated, the raw uncut
verb vice lord victorious valid
violate vibes that are vain make em vanished
well would a wise wordsmith just
weaving up words weeded up, i'm a workshift
xerox, my x-ray-diation holes extra large
x-height letters, and xylophone tones"
Von A bis Z erlogen
Jens Sparschuh, Schriftsteller aus Berlin, hat einen ganzen Roman in Alliterationen geschrieben: "Waldwärts - Ein Reiseroman, von A-Z erlogen". Jedes der 26 Kapitel ist einem Buchstaben des Alphabets gewidmet.
Jens Sparschuh - Waldwärts:
"damals, dieser dienstag
düstres, dumpfes dämmern
dreier dicker damen, die
dösend durch die daunen des devoten divans driften
dasein, delphisch."
Jens Sparschuh: "Immer kann man denken, okay, das sind irgendwelche Spinner, man kann doch ganz normal sprechen wie du und ich, kann man sagen, aber es ist so 'ne Art Grundlagenforschung, wie es in der Physik 'ne Grundlagenforschung gibt, was passiert, wenn man den Stoff durch 'nen anderen ersetzt oder sowas, genauso kann man in der Sprache doch Experimente machen und schauen, was passiert, wenn wir das jetzt so machen."
Jens Sparschuh - Waldwärts:
"dann drollig durch die daunen divern
du, du, dicker, du, du, dolly
dabei dreizehn dolle dinger drehn
dalli dolly, dalli, dapn du da deka
durch damast diverser dünner decken
dieses dunkle derby."
Ein Rap in Stabreimen? Ein Roman in Alliterationen? Alex Dreppec, Erfinder des Science Slam, Dichter und Spoken Word-Poet aus Darmstadt, war das zu einfach.
Alex Dreppec: "Ich hab in Stabreimen ge-SMS-t, weil ich auch entsprechende SMS-e bekam."
Dreppec packte noch ein paar Schwierigkeitsgrade drauf und verfasste Alliterationsgedichte nach Goethe'schem Vorbild in neuhochdeutschen Knittelversen, paargereimt und mit vier Betonungen pro Verszeile, dazwischen eine wechselnde Anzahl unbetonter Silben. Und wenn es sich gerade anbietet, baut Alex Dreppec gerne noch den einen oder anderen Binnenreim mit ein.
Alex Dreppec - Die Doppelmoral des devoten Despoten:
"diesen demokratisch delegierten despoten,
diesen dienstags dominanten, donnerstags devoten,
drückte damals derartig der drang der drüsen,
dass das delikate dekolleté, die drallen düsen
der durchtriebenen domina diesen drangsalierte,
dessen denken durchgängig determinierte."
"Die Doppelmoral des devoten Despoten. Stabreimgedichte von A-Z" heißt der Lyrikband, mit dem er auf den Poetry Slam-Bühnen in Deutschland große Erfolge feierte.
Alex Dreppec: "Manche sagen ja Akrobatik, das lehn' ich auch nicht ab, aber bei der Akrobatik ist das ja genau dasselbe, die Akrobatik muss ja auch noch ansprechend sein, also sie muss ja schön anzusehen sein und muss einem sonst noch irgendwas geben, allein, weil ein Kunststück besonders schwierig ist durchzuführen, würde sich das kein Mensch anschauen, sondern vielleicht im Gegensatz sagen, wieso nimmt er jetzt die Hälfte seines Fußes in den Mund oder sowas."
Mit dem Poetry Slam ist der Wettstreit zurück
Mit dem Poetry Slam und den oft improvisierten Rap-Battles im HipHop ist der Wettstreit auf die literarische Bühne zurückgekehrt. Und es ist gerade dieser sprachspielerische, auf mündlichen Vortrag und direkte Verständlichkeit abgestimmte Schreibansatz, der für Vorbehalte sorgte, nicht nur in der etablierten Literaturszene.
Nora Gomringer: "Die E-Literatur hat da so 'n bisschen eine blind site, die muss da 'n bisschen aufpassen auf sich, weil sie darf nicht diesen Anschluss verpassen. Und dieses ständige Belächeln der andern, die da eben wirtschaftlich sehr produktiv sind, da kann man drüber lächeln, wie man will, aber die Slammer sind Player in dem ganzen Gefüge."
Nora Gomringer ist Lyrikerin und lebt in Bamberg. Ihre ersten und entscheidenden Erfahrungen auf der literarischen Bühne allerdings hat Nora Gomringer in der Poetry Slam-Szene gemacht.
Nora Gomringer - Ursprungsalphabet:
"Ich bin Ariadne, die dem Faden, dem roten, dem wollenen folgt
Ich bin Briseis, die Achilles diente
bin Calypso und singe für Odysseus und hoffe, dass er mich nicht verlässt
Ich bin Diana mit dem Silberbogen, Silberpfeil, die Mondzicke
Ich bin ein guter Maler und heiße Hitler
I am Ferlinghetti crying over Allen, crying over Allen hoooowling over Allen."
Bas Böttcher: "Früher in der Schule hab' ich mich in den Aufzug mit meinem besten Kumpel eingeschlossen, einer hat gegen die Wand geboxt, das war der Rhythmus. Und dazu haben wir eigentlich um die Wette gedichtet, aber es war immer so 'n spielerischer Wettstreit."
Bas Böttcher hat die Poetry Slam-Szene in Deutschland mit aufgebaut und gehört bis heute zu ihren prägenden Stimmen. Für das Goethe-Institut ist er als Literaturbotschafter unterwegs und begeistert in seinen Workshops Jugendliche auf der ganzen Welt für Spoken Word und den Auftritt auf der literarischen Bühne.
Angefangen hat er in den frühen 1990er-Jahren als Rapper der Bremer HipHop-Gruppe Zentrifugal:
"ich spiel mit dem Satz und sieg!"
Bas Böttcher: "Erst später hab ich gesehen, dass es da auch eine kulturhistorische Grundlage dafür gibt und auch kulturhistorische Parallelen. Aber ich glaube, dieser Wettstreit ist eigentlich 'ne urmenschliche Angelegenheit. Und im besten Falle dient das halt auch als Motor des Fortschritts, dass man eben an seinen Fähigkeiten arbeitet."
Bas Böttcher - Die Macht der Sprache:
"Und lerne ich eine Sprache neu kennen,
dann lehrt mich die Sprache, mich neu zu kennen.
Das macht die Sprache - die Macht der Sprache.
Und denke ich, ich beherrsche meine Sprache,
beherrscht womöglich meine Sprache mich.
Das macht die Sprache - die Macht der Sprache.
Und denke ich, ich spiele mit meiner Sprache,
dann spielt noch viel mehr meine Sprache mit mir.
Das macht die Sprache - die Macht der Sprache.
Und erweitert der Mensch seine sprachlichen Möglichkeiten,
dann erweitert die Sprache die menschlichen Möglichkeiten."
Bas Böttcher: "Im lyrischen Wettstreit kann man vor allen Dingen für sich selber gewinnen, ja, die Motivation, die Motivation für die eigene Arbeit. Und auch wenn viele Akteure das vielleicht nicht zugeben würden, profitieren sie natürlich auch von den Tricks des Gegners, indem sie halt merken, okay, das könnt ich übernehmen, oder hier gibt es Techniken, die hat er mir voraus, da muss ich jetzt vielleicht noch 'n bisschen nacharbeiten."
In den frühen 1990er-Jahren gab es kaum Rap-Konzerte oder gar -Festivals in Deutschland. Stattdessen veranstaltete die HipHop-Szene ihre sogenannten Jams, selbst organisierte Partys in Jugendhäusern oder Kulturzentren. Und da konnten alle auf die Bühne, die sich trauten, und ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Da ging es darum, die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen und die anderen auf der Bühne zu beeindrucken. Sonst war man das Mikrofon ganz schnell wieder los.
Der ganz besondere Flow des Raps
Dieser Streit um das Mikrofon auf der Bühne zeigt sich bis heute in der Hand- und Armhaltung vieler Rapper und Rapperinnen: das Mikrofon ganz nah am Mund und den Ellbogen spitz ausgestellt - um zu vermeiden, dass sich jemand schnell Mikrofon und Aufmerksamkeit schnappt.
Die Fantastischen Vier - Hausmeister Thomas D:
"Wir sind die Fantastischen Vier
Und sind hier, mit jeder Menge Bier
Und viel Fraun, die sind nicht abgehaun
Die sind hier, um unsere Show anzuschaun
Ich könnt euch viel erzählen über Typen, die da denken
Sie wärn die allergrößten, doch ich glaub, ich kann 's mir schenken
Die fühlen sich so cool, dabei bin ich viel dreister
Ich bin Thomas D, und ich bin euer Hausmeister."
Klangen die ersten Plattenveröffentlichungen von 1990 noch holprig nach dem Motto: "Reim dich oder ich fress dich", entwickelte sich innerhalb weniger Jahre dieser ganz besondere Flow im Rap und eine Reimkunst, die es in der deutschsprachigen Lyrik lange nicht mehr gegeben hatte:
Eine weitere Disziplin im lyrischen Mehrkampf: Der Reim!
RAG - Kreuzwortfeuer:
"ich geb dem lexikon das wissen, nehm dem nichts das sein.
red der stimme ins gewissen, geb dem ja das nein
beschütz die security, bring panik in die hysterie
und entzieh deinem album seine poesie.
durchschaue deine scheiben, geb der schönheit ihren reiz.
das vorbild für idole legt die arktis aufs eis.
führ die sonne hinters licht, überschatte die nacht,
geben dem sein das ich, haben die phantasie erdacht
beraub die blindheit des augenlichts, bewunder taten des taugenichts
sag den atheisten "ich glaub euch nichts!"
lehr der angst das fürchten, der wüste das dürsten
erteilen selbsternannten fürsten lizenzen zum dürfen
bis die einheit entzweit, mehr geleit als die einsamkeit
unfair zur gemeinheit ohne trittfeste beinarbeit.
feindbilder vereint, freiheit von ganz allein befreit,
ohne uniformen und normen, trotzdem eingereiht."
Die ersten Rap-Versuche in Deutschland hatten noch sehr auf den Endreim, auf dem vierten Schlag des musikalischen Taktes gezielt. Von diesem starren Schema hatte sich die Gruppe RAG, die Ruhrpott AG, Mitte der 1990er Jahre längst gelöst. In ihrem Song "Kreuzwortfeuer" finden sich Reime in wechselnder Frequenz und zu allen Taktzeiten, betont und unbetont.
Bas Böttcher hat in seiner "Liebeserklärung an eine Chinesin" die Frequenz und Komplexität der Reime noch einmal deutlich erhöht.
Bas Böttcher - Liebeserklärung an eine Chinesin:
"Ich wank an deiner Bungalowwand lang und sing 'ne Sting-Song
Klingel ding-dong an deinem Eingang
Wag ein Alleingang und senke die Klinke
Es ist zu - zu dumm! Ich denke: Bingo!
Denn krumme Langfingerdinger drehn, war eh noch nie mein Ding.
Ich schwing wie King Kong ausm Bungalowwindfang
Gefang von deim Lokk guck ich untern Vorhang
Ich schau voll verlang dein Teint und Tanga an
Ich belager dein Terrain mit 'nem Manga inner Hand und
Bring ausm Lamäng 'n paar Poeme."
Bislang unerreicht ist auf diesem Gebiet allerdings ein unbekannter Dichter aus dem Mittelalter, die Mediävistik nennt ihn Dürinc. Er hat ein Gedicht geschrieben, in dem sich jedes Wort auf ein anderes Wort im Text reimt, einen sogenannten Allreim.
Und weil ihm das noch nicht schwierig genug erschien, hat sich Dürinc noch ein kompliziertes Reimschema überlegt: das erste Wort der ersten Strophe reimt sich auf das letzte Wort der zweiten Strophe, das zweite Wort der ersten Strophe reimt sich auf das vorletzte Wort der zweiten Strophe und immer so weiter, bis mit dem letzten Wort der ersten Strophe und dem ersten Wort der zweiten Strophe an der Strophengrenze zwei Reimwörter direkt aufeinander stoßen:
Dürinc
"Spil minnin wundir volbrinin man gît
î wîvin, der drûwin deil prîsin ir êre
schône: ich spê dâ hô sterke,
dî mich hân virladin.
Schadin irgân ich hî merke.
sô lâ mê dich krône, hêre,
dir, wîsin, heil nûwin. wer lîvin î rît
an ringin wol sundir sinnin vil?"
Das Publikum fiebert mit
Die Reimstruktur dieses Gedichtes ist so komplex, dass sie nur schriftlich auf Papier nachvollziehbar ist. Und die Forschung ist sich hier nicht ganz einig, aber es ist wohl davon auszugehen, dass auch die Menschen im Mittelalter diesen Text nicht wirklich verstanden haben.
Das ist der Preis: Je komplizierter und kunstvoller die Form, desto größer sind die Einschnitte in der inhaltlichen Aussagekraft eines Textes, weil die Regeln zu viele Wörter ausschließen, die nun nicht mehr in die sprachliche Form passen.
Bas Böttcher: "Auch wenn man sich das vielleicht gar nicht so gerne eingesteht, steht jeder Künstler auch immer in Konkurrenz zu anderen Künstlern. Und ich glaube, das ist eben dieses ureigene Prinzip von Wettbewerb, dass das Publikum mitfiebert und dass es eben dadurch auch diese anziehende Wirkung hat."
Nora Gomringer wurde bereits vielfach mit Preisen ausgezeichnet, 2015 beispielsweise mit dem Klagenfurter Bachmann-Preis.
Nora Gomringer: "Ein Poetry Slam an einem Abend durchgeführt, ist 'ne sehr ehrliche Sache, absolut."
Auch wenn die etablierte Literaturszene mit ihren Instituten, Verlagen und Zeitschriften, auch wenn die Literaturkritik den Werken der Spoken Word-Poetry und dem offen ausgetragenen Wettkampfprinzip eher ablehnend gegenübersteht, zelebriert sie dennoch ihre eigenen Preisvergaben und Wettbewerbe, etwa den Klagenfurter Bachmann-Preis.
Nora Gomringer: "Die Ähnlichkeit zwischen dem Wettbewerb in Klagenfurt und so einem gängigen Slam ist ja, dass man weiß, wie lang man da hat für den Auftritt. Ich wusste genau, ein Text von 25 Minuten, das ist wichtig. Der Text durfte vorher noch nirgendwo erschienen sein, also musste alles ganz originär und originell und ganz neu und sparkling sein. Alles andere fühlte sich sehr anders an, war es auch von der Anlage des Wettbewerbs, an einem Tag lesen ja nur vier Leute nacheinander, und nach jeder Lesung gibt 's eine sehr ausführliche Jury-Besprechung, ich fühlte mich da nicht wie in einem Slam, wo ja die Stimmung und auch die Kritik quasi durch geistige Sofortübertragung und durch Publikumsapplaus erfolgt. Und so war das ein ganz anderes Gefühl und ja, ich glaube aber, dass ich das gut geschafft hab' auch dadurch, dass mich der Slam fit gemacht hat."
Der offen ausgetragene Wettkampf auf der literarischen Bühne, die Erfolge der Slam-Poetinnen und Spoken Word-Artisten mag von der zeitgenössischen Literaturszene argwöhnisch betrachtet werden, für Bertolt Brecht war dagegen ganz klar:
"Ein Gedicht ist der Feind des anderen."
Und Theodor W. Adorno hat den Wettkampf gar zum konstituierenden Merkmal der Literatur erklärt, die Voraussetzung überhaupt für wahrhaftige Kunst:
"In dem Moment, da Kunst noch mit Bezug auf Wahrheit gedacht wird, können nicht zwei Kunstwerke friedlich nebeneinander existieren, die jeweils anders zu ihrer Epoche stehen, einen ganz anderen Begriff von ihr enthalten beziehungsweise behaupten. […] Wenn literarische Stile, Intentionen, Werke noch ernsthaft etwas wollen, muss Krieg zwischen ihnen herrschen."
Nora Gomringer: "Die inhaltlichen Kriege führen die, die im wirtschaftlichen Spiel des ganzen Literaturwesens nicht so viel zu sagen haben, das macht sie zu sehr ehrlichen Kämpfern und sehr bemühten Leuten, aber sie sind denen, die mitspielen, die beim großen Spiel mittun, nahezu lästig. Und das kriegt man so 'n bisschen mit, diese Art der Stimmungsverschiebungen, sehr bedauerlich, aber ich glaube, das ist, solange der Kapitalismus herrscht, eine natürliche Beobachtung, so isses."
Eine lyrische Improvisation auf der Bühne ist dann besonders eindrucksvoll, wenn sie die Geschehnisse im Raum aufgreift und das Publikum mit einbezieht, wie es die Rapperin Fiva MC aus München in ihren Freestyle-Raps zelebriert.
Echtes Streitgespräch statt vorgefertigte Texte
Und auch ein lyrischer Wettstreit auf der Bühne wirkt dann am besten, wenn die Kontrahenten und Gegnerinnen aufeinander eingehen wie in einer Diskussion, wenn sich ein wirkliches Streitgespräch entwickelt und nicht vorgefertigte Texte reproduziert werden.
Im Zuge der inhaltlichen und sprachlichen Verhärtung der Rap-Szene in Deutschland seit Beginn der 2000er Jahre hat sich auch das Klima der lyrischen Wettkämpfe im HipHop verschärft.
Rainer Buland: "Das Thema Wettstreit wird in unserer Gesellschaft sehr einseitig verstanden als Konkurrenz. Wettstreit im Spiel ist ja aufgebaut darauf, dass wir einen Spielpartner haben, also nicht auf Vernichtung des Partners, nicht auf völliges Zunichtemachen des Partners, sondern als Spielpartner, mit dem ich gemeinsam ein interessantes Spiel entwickle. Und das wird in unserer Gesellschaft völlig falsch verstanden."
Rainer Buland leitet das Institut für Spielforschung in Salzburg, das einzige Forschungsinstitut seiner Art. Außerdem ist er Mitglied von "Spielquadrat", einer Gruppe, die sich interdisziplinär mit dem Spielgedanken beschäftigt.
Rainer Buland: "Was wir derzeit in dem großen Spiel der Finanzmärkte haben, im große Spiel der globalen Wirtschaft, das ist ein Wettstreit, der darauf beruht, dass man die Konkurrenz zunichte macht. Vernichtet. Im Spiel ist ein Wettstreit aufgebaut auf Fairness, auf Beachtung des Partners, dass man ihn auch künftig als Mitspieler hat, ja, wenn ich meinen Schachspiel-Partner dermaßen vernichten würde, wie die Global Players ihre Konkurrenz auf den Weltmärkten, die dann nicht mehr existiert, dann könnt ich mit dem nicht mehr Schach spielen. Also Wettstreit und Wettstreit ist etwas sehr verschiedenes."
Ging es in den Battles der 1990er Jahre noch darum, durch Wortwitz, ausgefallene Reime und verzwickte Metaphern das Publikum, die Gegner und Kontrahentinnen zu beeindrucken, geht es heute oft nur noch um die inhaltlich krasseste Beleidigung und persönliche Herabwürdigung der anderen.
Verbaler Streit statt tätliche Gewalt
Waren die Battle in den Anfangsjahren von HipHop noch eine wirkungsvolle Möglichkeit, Streitigkeiten verbal und nicht mit Faust und Waffe auszutragen, also letztlich friedenstiftend, reihen sie sich heute nahtlos ein in ein gesellschaftliches Klima von Internet-Mobbing und Hate Speech.
Rainer Buland: "Im 20. Jahrhundert in unserer westlichen Gesellschaft denken wir immer, wenn wir an Wettkampf denken und so weiter, dass ein guter, exzellenter Spieler der wäre, der am schnellsten gewinnt. Da sind wir völlig einseitig in unserer Gesellschaft verblendet. Ein guter, exzellenter Spieler ist der, der gemeinsam mit jemandem anderen eine gute Unterhaltung machen kann. Das war im 18. Jahrhundert sehr, sehr ausgeprägt. Da war war wichtig, dass man Konversation betreibt, dass man gemeinsam ein Spiel macht, an dem man sich unterhalten kann, dass man gut verlieren kann, dass man gut gewinnen kann. Dass man interessante Strategien verfolgen kann, dass man kreativ ist in Neuerungen in diesem Spiel. Und das ist viel, viel interessanter als die einseitige Ausrichtung auf Gewinn, wo wir ja gar nix gewinnen können."
Ein funktionierender, ein wirklicher lyrischer Wettstreit ist mehr ein Gesellschaftsspiel als offen ausgelebte Konkurrenz mit dem unbedingten Ziel, zu gewinnen. Nicht Ausgrenzung ist das Ziel, es geht um die Gemeinsamkeit, um die Veranstaltung, den Abend, den man zusammen gestaltet.
Nora Gomringer: "Mir geht 's ehrlich gesagt beim Slam, wenn ich da noch auftrete, oft darum, dass ich mich bemühe, das Gefühl für die Situation zu bekommen, was war vor mir, wer kommt eventuell noch nach mir, kenn' ich die, was bringen die, und dann sehr authentisch zu sagen, ne, ich entscheide mich jetzt dezidiert dafür, einen bestimmten Text zu bringen, um die Richtung vielleicht heute Abend noch mal anders zu beeinflussen."
Noch eine Disziplin im lyrischen Mehrkampf: Das Palindrom
Günter Nehm:
"Das PALINDROM sprach ganz verzagt:
Ich bin nicht, was mein Name sagt
Solange mich nicht jedermann
Problemlos rückwärts lesen kann
Doch da geschah ein MORD am NIL
Ein lang gehegtes APO-Ziel
Durch ein Stilett aus blankem Chrom
Das MORD-NIL-APO-PALINDROM
Da kam das Palindrom in Form
Sein Selbstbewusstsein stieg enorm"
Gewinner und wenige Siegerinnen
Bei der Rekordjagd der Palindromdichter geht es schlicht um die Anzahl der Buchstaben und Wörter. Lange Zeit galt der französische Schriftsteller und experimentelle Autor Georges Perec als der Meister des Palindroms. Über 1.000 Wörter umfasst sein Text, der von vorne wie von hinten gelesen werden kann. Diesen und spätere Palindrom-Rekorde hat Titus Meyer 2013 mit seinem Palindrom-Roman 'Andere DNA' pulverisiert, ein Text aus über 15.000 Wörtern, 68.000 Buchstaben. Wie beim Allreim von Dürinc gilt auch hier: Die formale Regel ist so streng, dass die inhaltliche Aussagekraft leiden muss:
"DNA-Beginn: ist Saft Sermon? Ego-Siesta? Och, er dressiert im Reden dies seidne, gesetzte Lettern-Unheil. DNA hege, Redner. Ei, Ton sagt's; er sei leider Aa hier. Der Plot stolpre. Denn er brütet. Lau zeidelt Türen er. O Kreuz-Rede der Eso-Lego-Lettern! Nistet 's nun? O treuen Niemand erdnahe Gier belege. Reist aasend Roman, narre sein Ton. Red nie nie mies & erhaben, Geselle, von diesem!"
Der lyrische Wettstreit bringt offen auf die Bühne, was ohnehin vorherrscht im literarischen Betrieb, eine bedingungslose Konkurrenz. Er motiviert und bindet das Publikum mit ein ins literarische Geschehen, sehr viel stärker als das im üblichen Literaturbetrieb der Fall ist.
Im Idealfall stärkt der Wettstreit die Gemeinschaft.
Oder aber er schwächt sie, dann nämlich, wenn der Siegeswille absolut wird und die Beiträge aller anderen für wertlos erachtet werden, so wie die vielen Texte der Antike, die im Wettstreit nicht gewannen und deshalb nur selten überliefert wurden. Auch die Literaturgeschichte insgesamt ist eine Geschichte der Gewinner und wenigen Siegerinnen.