Lyrisches Ich am Gängelband
Der Dichter Richard Pietraß, der vor wenigen Wochen seinen 60.Geburtstag feierte, hat sich, aber vor allem seine Leser, mit dem neuen Gedichtband "Freigang" reich beschenkt. Das lyrische Ich des stillen Beobachters und nimmermüden Wortschöpfers genießt die Freiheit einer Landschaft - weiß aber auch um das Gängelband, an das es gebunden ist. In der DDR gab Pietraß die Reihe "Poesiealbum" heraus.
"Worte ich bin müd", heißt es in einem 1982 entstandenen Gedicht von Richard Pietraß aus dem Band "Spielball". Und weiter: "Mein Mund so leer." Trotz der bereits vor mehr als zwanzig Jahren artikulierten Wortmüdigkeit hat Pietraß für seinen neuen Gedichtband "Freigang " genügend Worte gefunden. Schön, dass ihm auch die Fähigkeit nicht abhanden gekommen ist, diese Worte zu nachdenklich stimmenden Versen zu vereinen.
Die Skepsis, von der in der eingangs zitierten Zeile die Rede ist, findet sich auch in den neuen Gedichten wieder, denn der Dichter wird immer wieder an das Stundenglas erinnert – Lebenszeit verrinnt. Aber es hat den Anschein, als würde im Bewusstsein der vergehenden Zeit die verbliebene noch intensiver erlebt werden, als wäre Pietraß noch offener für die Schauspiele, die ihm Fauna und Flora eröffnen.
Stumm ereignet sich das Erblühen der Natur und von schweigsamer Gelassenheit sind die Tiere, wenn sie sich in den zoologischen Gärten zeigen. Diese stummen Zeugen nimmt Pietraß in den neuen Gedichten in Augenschein. Angesichts der Schauspiele, die der Dichter auf seinen Freigängen erlebt, erscheint das eigene dichterische Tun fragwürdig. Bedarf es noch der Worte, wo es doch der Natur so unnachahmlich gelingt, beredt im Wortlosen zu sein?
Der Freigang offenbart auch seine Doppelbedeutung. Zwar ist das lyrische Ich, das sich in die weite Landschaft begibt und Städte bereist, frei, aber es ist zugleich gefangen. Entwichen aus so mancher Zelle spürt es Zwänge und weiß um das Gängelband, an das es gebunden ist. Der ins Offene führende Freigang - Pietraß fordert indirekt auch dazu auf, ihn zurückzuverfolgen. Als Gefangener der eigenen Herkunft trägt der Freigänger seine Zelle mit sich herum, er wird sie nicht los, wo immer er auch weilt.
Die Gedichtbände von Pietraß haben programmatische Einworttitel: "Notausgang" (1980), "Freiheitsmuseum" (1982) "Spielball" (1987) und "Schattenwirtschaft" (2002). Sie korrespondieren miteinander und erklären sich gegenseitig. In dieses vom Autor geknüpfte Titelnetz fügt sich "Freigang" nahtlos ein.
Der langjährige Herausgeber des "Poesiealbums", der vor wenigen Wochen seinen 60. Geburtstag feierte, hat sich, aber vor allem seine Leser, mit dem neuen Gedichtband reich beschenkt. Pietraß ist ein stiller Beobachter und nimmermüder Wortschöpfer, dessen "Schalkschädel" immer gut ist für anregende Hintersinnigkeiten.
Richard Pietraß: Freigang. Gedichte.
Faber & Faber. Leipzig 2006.
87 Seiten. 16 Euro.
Die Skepsis, von der in der eingangs zitierten Zeile die Rede ist, findet sich auch in den neuen Gedichten wieder, denn der Dichter wird immer wieder an das Stundenglas erinnert – Lebenszeit verrinnt. Aber es hat den Anschein, als würde im Bewusstsein der vergehenden Zeit die verbliebene noch intensiver erlebt werden, als wäre Pietraß noch offener für die Schauspiele, die ihm Fauna und Flora eröffnen.
Stumm ereignet sich das Erblühen der Natur und von schweigsamer Gelassenheit sind die Tiere, wenn sie sich in den zoologischen Gärten zeigen. Diese stummen Zeugen nimmt Pietraß in den neuen Gedichten in Augenschein. Angesichts der Schauspiele, die der Dichter auf seinen Freigängen erlebt, erscheint das eigene dichterische Tun fragwürdig. Bedarf es noch der Worte, wo es doch der Natur so unnachahmlich gelingt, beredt im Wortlosen zu sein?
Der Freigang offenbart auch seine Doppelbedeutung. Zwar ist das lyrische Ich, das sich in die weite Landschaft begibt und Städte bereist, frei, aber es ist zugleich gefangen. Entwichen aus so mancher Zelle spürt es Zwänge und weiß um das Gängelband, an das es gebunden ist. Der ins Offene führende Freigang - Pietraß fordert indirekt auch dazu auf, ihn zurückzuverfolgen. Als Gefangener der eigenen Herkunft trägt der Freigänger seine Zelle mit sich herum, er wird sie nicht los, wo immer er auch weilt.
Die Gedichtbände von Pietraß haben programmatische Einworttitel: "Notausgang" (1980), "Freiheitsmuseum" (1982) "Spielball" (1987) und "Schattenwirtschaft" (2002). Sie korrespondieren miteinander und erklären sich gegenseitig. In dieses vom Autor geknüpfte Titelnetz fügt sich "Freigang" nahtlos ein.
Der langjährige Herausgeber des "Poesiealbums", der vor wenigen Wochen seinen 60. Geburtstag feierte, hat sich, aber vor allem seine Leser, mit dem neuen Gedichtband reich beschenkt. Pietraß ist ein stiller Beobachter und nimmermüder Wortschöpfer, dessen "Schalkschädel" immer gut ist für anregende Hintersinnigkeiten.
Richard Pietraß: Freigang. Gedichte.
Faber & Faber. Leipzig 2006.
87 Seiten. 16 Euro.