Michael Ende, Wieland Freund: "Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe"
Mit Bildern von Regina Kehn
Thienemann Verlag, Stuttgart 2019
202 Seiten, 17 Euro, ab 6 Jahren
Gelungene Vollendung eines Michael-Ende-Romans
Naiver Junge trifft lügenden Raubritter: Die ersten Kapitel von "Rodrigo Raubein" stammen von Erfolgsautor Michael Ende. Mit viel Witz hat Wieland Freund den Roman vervollständigt – und ein pfiffiger Papagei erzählt fleißig mit.
Was für eine Chance. Was für ein Risiko. Ein weltberühmter Autor hinterlässt ein Fragment und ein mit ihm befreundeter Schriftsteller macht daraus einen Kinderroman. Und Wieland Freund hat es gewagt und gewonnen: "Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe" ist eine Geschichte, die Michael Ende bestimmt sehr gefallen hätte. Wo er selbst unzufrieden abbrach, schrieb Freund weiter - ein Bruch zwischen den beiden Teilen ist nicht zu spüren. Ende gut, alles gut!
Michael Endes gab das Grundsätzliche vor
Grundsätzliches hatte Michael Ende ja mit seinen drei ersten Kapiteln vorgegeben: das "mittelalterlich"-pralle Setting, die komische Ausgangssituation, den augenzwinkernden Ton und das skurrile Personal. Der naive kleine Knirps langweilt sich schrecklich mit seinen Eltern, die als schlechte Puppenspieler in einem Wohnwagen durch die Lande ziehen.
Knirps reißt aus, um Knappe des berüchtigt-grausamen Raubritters Rodrigo Raubein zu werden. Doch schnell wird klar: Dessen Taten sind allesamt erstunken und erlogen. Rodrigo ist ein Angsthase, der seine Ruhe haben und Knirps so schnell wie möglich loswerden will. Knirps soll darum als "Prüfung" eine ganz besonders böse Untat begehen. Und damit endet das dritte Kapitel.
Ideenreiche Weiterentwicklung von Wieland Freund
Wieland Freund entwickelt aus diesem bunten Handlungsfaden eine spannende, witzige und immer wieder überraschende Abenteuergeschichte mit kecker Prinzessin, machthungrigem Zauberer, melancholischem König und bösem Drachen. Dabei bürstet er zahlreiche Klischee gekonnt gegen den Strich.
Knirps' Puppenspieler-Eltern sind lieb, aber spießig und langweilig. Der böse Räuber ist ein sensibler Kakteenzüchter und Knirps selbst, der kleine Protagonist, ist gar nicht mutig, sondern nur zu dumm, um Angst zu haben. Ein Mini-Don Quichote ist er. Einer, der im Lauf der Geschichte etwas Bedeutsames lernt: Dass Angst wichtig ist, auch weil sie ein Zeichen von Zuneigung und Sorge um andere sein kann.
Ein pfiffiger Papagei erzählt mit
Wie in Michael Endes Kinderromanen üblich wird auch in "Rodrigo Raubein" das Erzählen selbst reflektiert. Sokrates, der pfiffige Papagei der Puppenspielerfamilie, versucht mithilfe eines alten Geschichtenbuches herauszufinden, wie die Geschichte um den verschwundenen Knirps weitergehen wird. Und Rodrigo Raubein ist selbst ein fantasievoller Geschichtenerzähler, der sich eine tapfere Vergangenheit zusammenlügt.
So überlagern sich die verschiedenen Geschichten-Ebenen spielerisch, wobei auch klar wird: "Wer lügt, sagt mit Absicht die Unwahrheit ... Wer eine Geschichte erzählt, sagt hingegen die Wahrheit."
Wieland Freund hat Michael Endes Fragment mit viel Witz und verschmitzter Logik, sprachlich bunt und ausdrucksstark weiter und zu Ende erzählt. Sein Erzähler spricht die kleinen Leserinnen und Leser immer wieder direkt an, zieht sie ins Vertrauen, macht sie zu seinen Komplizen und lockt sie damit mitten hinein ins Geschehen. Besser und schwungvoller können Kinder nicht unterhalten werden! Großes Lob. Einzig: Die Illustrationen von Regina Kehn hätten ruhig ein bisschen witziger, skurriler und weniger brav sein können.