Mac Barnett/Jon Klassen: "Der Wolf, die Ente und die Maus"
übersetzt von Thomas Bodmer
NordSüd, Zürich 2018
40 Seiten, 15 Euro
Ein kluges Kinderbuch über Freundschaft
"Der Wolf, die Ente und die Maus" erzählt die Fabel vom "bösen" Wolf erfrischend neu und aus ungewöhnlicher Perspektive. Es ist ein Kinderbilderbuch, das zum Philosophieren animiert und zeigt, dass Zusammenhalt stark macht.
Der Wolf frisst die Maus. Und das gleich auf Seite eins. O weh, nicht gut, könnte man denken. Stimmt aber nicht. Denn die Maus trifft im Bauch auf die Ente. Die hat es sich im Bauch des Wolfes bereits gemütlich gemacht. Mit Bett, Schallplattenspieler, gutem Essen - und ohne die tägliche Angst, gefressen zu werden. "Hier drin", so ihre lakonische Aussage, "gibt es solche Sorgen nicht". Das leuchtet auch der Maus ein und so schließt sie sich der Ente an. Die beiden haben eine gute Zeit, tanzen und essen. Dem Wolf bekommt das aber weniger: Er leidet, stöhnt und jault. Und zwar so laut, dass der Jäger ihn hört. Die ersten Schüsse gehen fehl. Und so beschließen Maus und Ente den Wolf zu retten: Immerhin geht es um ihr fantastisches Zuhause. Und das gilt es ja wohl zu verteidigen! Kurzentschlossen springen die beiden aus dem Maul des Wolfes und vertreiben so den erschrockenen Jäger. "Ihr habt mein Leben gerettet", staunt der Wolf anschließend, "obwohl ich eures nicht geschont habe". Als Dank erfüllt er den beiden einen Wunsch – und heult seitdem jede Nacht.
Die "Kleinen" sind die Starken
Großartig wie Mac Barnett und Jon Klassen hier die Fabel vom gefährlich gefräßigen Wolf aus ungewöhnlicher Perspektive und erfrischend neu erzählen. Anders als etwa bei "Rotkäppchen" oder "Den sieben Geißlein" muss hier der Wolf nicht sterben. Vielmehr lebt es sich in seinem Bauch recht wohlig. Er ist auch kein Ungeheuer, sondern ein einsichtiger Vierbeiner, der in der Lage ist, sein Verhalten zu überdenken und sogar zu seinem Wort zu stehen. Grandios werden so die eigenen Stereotype über Bord geworfen. Nicht alles, von dem man glaubt, es sicher zu wissen, ist richtig. Darüber hinaus sind hier die vermeintlichen Opfer die Gewinner. Sie sind es, die bestimmen und die den Wolf letztendlich das Fürchten lehren. Die Kleinen ganz stark, klug und erfolgreich! Spätestens das lässt Kinderherzen höher schlagen. Man denke nur an den Erfolg des Kinderbuches "Der Grüffelo" – wo die Klugheit der kleinen Maus das böse Monster in die Flucht schlägt.
Diskussionsspaß nach dem Lesen
Tatsächlich lädt "Der Wolf, die Ente und die Maus" trefflich zum Philosophieren über die Vor- und Nachteile von klaren, absehbaren Strukturen ein. Ist es tatsächlich besser im Bauch des Wolfes zu leben? Frei von Gefahr und Angst. Dafür gemütlich und geborgen. Oder bedeutet die Annehmlichkeit des Gefressenwerdens nicht vielmehr ein doch recht langweiliges Leben? Was erlebt man schon im Dunkeln? Verpasst man nicht vieles? Lebt es sich nicht besser frei und wild? Und was ist mit dem Wolf? Heult der tatsächlich den Mond an, weil er (wegen der schweren Kost) Bauchweh hat? Es gibt also vieles, worüber man im Anschluss an dieses wunderbare Bilderbuch reden kann. Chapeau.
Klare Sätze und prägnante Illustrationen
Erzählt in klaren kurzen Sätzen, die perfekt passen zu den großartigen prägnanten Illustrationen von Jon Klassen. Kein Strich, kein Detail ist hier zu viel. Gemalt wie immer in den gedeckten Farben: braun, schwarz, beige, hellgrün, rosa und ockerfarben. Mehr sind es nicht. Wie auch jedes der drei Tiere in wenigen, klaren Strichen gezeichnet ist. Der Wolf mit struppigem Fell und großen Augen, nie sieht man seine scharfen Zähne, sondern höchstens seine weiche Zunge. Die Ente hingegen ist ein langes Ding und die Maus ein süßes Etwas ohne scharfe Krallen. Alle drei herzzerreißend lustig und in grandiose Szenen gepackt: etwa, wenn die Maus durch die lange Speiseröhre des Wolfes rutscht oder wenn Ente und Maus zur Schallplattenmusik abrocken. Ein wirklich großer, kluger Kinderbuchspaß!