"Macbeth" spätsozialistisch

Von Uwe Friedrich |
In einer düsteren Betonbunkerarchitektur hausen die Herrscher eines spätsozialistischen Staates. Das Blut früherer Gräueltaten klebt noch an den Wänden, die wie von Geisterhand bewegt zur Seite gleiten. Das Volk klagt zwar, dass das Land einer Räuberhöhle gleicht, steht aber verlässlich mit Fähnchen und Herrscherporträt zum Jubeln bereit, sobald sich der Machthaber zeigt.
Kein Wunder, dass Macbeth nach den Prophezeiungen seiner Untergebenen empfänglich ist für die Einflüsterungen seiner überambitionierten Gattin. So meuchelt er auf offener Bühne den Parteivorsitzenden und lässt seinen Konkurrenten Banco in der Geheimdienstzentrale erschießen.

Die düstere Atmosphäre eines zerfallenden Gewaltregimes trifft der kanadische Regisseur Robert Carsen in der Ausstattung von Miruna und Radu Boruzescu bedrückend genau. Die Anklänge an die Spätzeit des rumänischen Ceausescu-Regimes sind selbstverständlich beabsichtigt, bis zum Ende, in dem ein neues Regime aus den alten Eliten rekrutiert wird.

Zuvor hatte der Leibarzt nach der Wahnsinnsszene der Lady Macbeth noch ganz lässig den Schalldämpfer auf die Waffe geschraubt, bevor er sie mit einem Gnadenschuss beseitigte. An solchen Randszenen zeigt sich die Meisterschaft Carsens, der auch den Blutrausch des Ehepaares Macbeth in sexueller Ekstase gipfeln lässt oder das Staatsbankett in eine gespenstische Atmosphäre taucht, wie sie beim 40. Geburtstag der DDR im Palast der Republik geherrscht haben mag.

Für die letzte Premiere ihrer Amtszeit ist die glücklose Intendantin Kirsten Harms noch einmal auf Einkaufstour gegangen und hat sich bei einer Kölner Erfolgsinszenierung aus dem Jahr 1998 bedient, die für Berlin aufgefrischt wurde. Das ist zunächst nicht ehrenrührig, wenn auch in Deutschland noch immer ungewöhnlich. Wie ihre Gesamtbilanz fällt auch die der "Macbeth"-Premiere zwiespältig aus. Im Prinzip funktioniert die Inszenierung, doch es gibt auch einiges an uninspiriertem Stehrumtheater zu sehen.

Nicht immer wird der exzellente Chor überzeugend geführt, Macbeth und seine Lady flüchten sich immer wieder in abgegriffene Operngesten. Da Thomas Johannes Mayer die Titelrolle auch vokal nur gerade eben beherrscht, klafft in der Mitte der Oper ein Loch, das Anna Smirnova als blutrünstige Lady mit geradezu beängstigender Dämonie zu füllen versteht, vor allem wenn Dirigent Roberto Rizzi Brignoli die Orchesterklänge hochpeitscht. Bester Sänger des Abends ist jedoch ohne Zweifel der Tenor Pavol Breslik in der relativ kleinen Rolle des Macduff. Das ist sehr erfreulich, aber wer geht schon wegen einer kurzen Tenorarie im letzten Akt in die Oper?

Damals, als noch Giuseppe Sinopoli mit Renato Bruson ... und schon verfällt man angesichts der mittelmäßigen Berliner Gegenwart in die Beschwörung einer vermeintlich grandiosen Vergangenheit. Die angekündigte kommende Spielzeit an der Deutschen Oper ist übrigens eine Frechheit, derer man sich in Mannheim oder Stuttgart schämen würde. 2012 übernimmt dann der neue Intendant Dietmar Schwarz. Den beneidet auch niemand um seine Aufgabe.

Links bei dradio.de:
Kalenderblatt: Scottish play - Vor 400 Jahren fand in London die erste belegte Aufführung von "Macbeth" statt

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Deutsche Oper Berlin: "Macbeth"
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