"Mach Puppen, die nicht so menschlich aussehen"

Von Peter Claus |
Kurt Weiler war einer der Avantgardisten des Animationsfilms, speziell des Puppenanimationsfilms. Über Jahre war er einer der wichtigsten Kreativen des renommierten DEFA-Studios für Trickfilme in Dresden. Eine DVD-Edition stellt sein Schaffen vor.
Animationsfilm. Seit den Anfängen des Kinos heißt das für die meisten: Kinderfreuden, Spaß, Leichtigkeit. Spätestens Walt Disneys erster abendfüllender gezeichnete Farbfilm, "Schneewittchen", 1937 ein Welterfolg, hat dazu geführt, dass die Assoziation Animationsfilm gleich Zeichentrick gleich Märchen zum Standard geworden ist:

[Song "High How, High How" aus "Snow White"]

Noch heute ist die Mehrzahl der – inzwischen fast ausschließlich am Computer produzierten Animationsfilme – für den Familien-Kino-Ausflug gedacht, aktuelles Beispiel: "Ice Age 4". Doch seit es Animationsfilme gibt, haben Künstler versucht, mehr zu bieten. Einer der Pioniere war der 1921 geborene Deutsche Kurt Weiler. Philosophische Exkurse über den Krieg, Ausbeutung und Macht – mal in ein Märchen verpackt, mal in eine Satire – machten ihn berühmt. Die Edition "Kurt Weiler. Die Kunst des Puppenanimationsfilms", zwei DVDs mit nahezu allen seinen Filmen und reichlichem Bonusmaterial, belegt seine Meisterschaft.

Begonnen hat für den Sohn aus jüdischem Hause alles im Exil, in London, wie Kurt Weiler selbst erzählt:

"Das geistige Leben in der Emigra, in den Internierungslagern, war enorm. Da, muss ich sagen, hab’ ich eine Solidarität kennen gelernt wie nie wieder. Jeder war für jeden da. Ich fand immer Gehör."

Weiler lernte rasch, dass die Kunst des Animationsfilms nicht – wie bis dahin und noch heute die Regel im Angebot – in der Nachahmung der Wirklichkeit besteht, sondern im Erschaffen eigener Welten, und das mit auch eigenwilligen Mitteln. Nach der Rückkehr nach Deutschland, zunächst nach West-Berlin, dann in die DDR, wollte er das in England Gelernte weiter entwickeln und umsetzen. Doch als jemand, der im Westen in der Emigration war, nicht in der Sowjetunion, wurde er im Osten Deutschlands nicht mit offenen Armen empfangen. Die schnelle Karriere blieb aus. Weiler aber gab nicht auf – und wusste sich auch anzupassen. Ein unter primitiven Bedingungen als Amateur realisierter Propagandafilm mit dem Titel "Oskar Kulicke und der Pazifist" ebnete ihm 1952 den Weg. Da tanzen die Puppen zweieinhalb Minuten im Takt des Kalten Krieges. Ein Ausschnitt aus seinem Debüt:

"’So, so’, sagt Kulicke. ‚Der Adenauer stellt ’ne Söldnerarmee uff und Petermann bläst in ’ne pazifistische Posaune, bis ihm die Backen platzen. Und wenn ’se alle so dusslich wären wie sie, dann könnten die Amis hier getrost einmarschiern. Aber, wenn Sie denken, det ’se denn ihre Ruhe ham werd’n, denn sind ’se schief jewickelt.’""

In der Rückschau ist es ein Leichtes, Weiler vorzuwerfen, sich bei den Bonzen angedient zu haben. Damals sah das anders aus: Im Westen Deutschlands gab es keine Möglichkeiten für Animationsfilmer, dort gab es keine professionell arbeitende Szene oder gar ein Animationsfilmstudio wie in der DDR. Und Weiler hatte sich mit seiner Gefälligkeit auch keineswegs einen Persilschein der Kulturwächter in der DDR erobert. Wie erfolgreich er auch international war – immer wieder wurde er dem Vorwurf ausgesetzt, zu avantgardistisch, zu westlich, zu unrealistisch zu sein. Noch einmal Kurt Weiler selbst:

"Ich hatte die ‚englische Krankheit’, alles, was aus dem Westen kam, hatte große Schwierigkeiten. Ich kam zur DEFA, ich war acht Tage da, ich ging vorne rein und hinten raus. Ging ganz schnell. Es hat Jahre gedauert, bis ich wieder reinkam."

Die 19 kürzeren und längeren Filme Kurt Weilers, die auf den zwei DVDs sind, zeigen die Vielfalt seiner Themen und Stile und lassen die Entwicklung von Weilers Puppentrickfilm-Kunst anschaulich nachvollziehen: Immer komplexer werden die Geschichten, die Formenvielfalt wird größer, die Leichtigkeit der Inszenierung reift. Die Puppen in seinen Filmen ahmen die Menschen nicht nach. Sie stehen für Typen, fern von allem Niedlichen, die menschliche Eigenschaften überhöht symbolisieren, karikieren, zur Diskussion stellen.

"’Wie die Individuen ihr Leben äußern, so sind sie!’, sagte Marx. – Hoho, ho ho… "

Weiler wählte erstaunliche Themen – hier nur ein paar Beispiele: Zukunft der Arbeitswelt, Herkunft des Geldes, Historie der Wissenschaft – und die Weltliteratur von Wilhelm Hauff bis Shakespeare. Etwa: "Ein Wintermärchen".

"Zwei Prinzen waren alle Zeit gute Freunde. Der eine, Leontes, wurde König von Sizilien, der andere, Perikles, wurde König von Böhmen. Und sie blieben gute Freunde. Und über das Meer, das ihre Reiche trennte, besuchten sie einander, so oft und so lange das Regieren es ihnen erlaubt."

Neben den Filmen wesentlich auf der DVD: Auszüge aus einem vor wenigen Jahren mit Kurt Weiler geführten Interview. Das wirft unprätentiös Schlaglichter auf Stationen seines Lebens, sein Selbstverständnis als Künstler.

"Wenn Du eine Puppe machst, die mit dem Menschen konkurrieren muss, dann zieht sie immer den kürzeren. Denn der Mensch kann alles besser. Also mach Puppen, die nicht so menschlich aussehen."

Die Doppel-DVD-Edition lässt staunen, wie originell der inzwischen über 90-jährige Bildende Kunst, Philosophie und Animationsfilm miteinander verwoben hat. Und schenkt Freude – Freude an der Lust des Sehens und des Entdeckens der Möglichkeiten des Trickfilms fern der im kommerziellen Kino üblichen Computer-Fantasien.

Kurt Weiler – Die Kunst des Puppenanimationsfilms
Zwei DVD in einer Box
Absolut Medien, 24,90 Euro