Macht der Bilder

Von Eberhard Spreng |
Am 8. Mai 1925 erschoss die mazedonische Rumänin Melpomena Karničeva einen mazedonischen Revolutionär. Der Mord fand im Wiener Burgtheater statt, während das Theater gerade "Peer Gynt" spielte, die Szene des Schiffsunterganges zu Beginn des fünften Aktes. In freien bildhaften Assoziationen verknüpft Ivan Stanev dieses Ereignis mit anderen Katastrophen.
Die Treppe von Odessa aus Eisensteins berühmtem "Panzerkreuzer Potemkin", Bilder vom Schiffsuntergang der Titanic werden auf eine Wand projiziert. Ein Eisbär rutscht eine Schräge herunter, eine Dame im Gewand der 20er-Jahre singt "Wien, Wien, nur du allein" - Alma Mahler wird sie im Programmheft genannt – ein Pianist begleitet das Geschehen wie eine Musiker im Kino der Stummfilmzeit. Videobilder von tschetschenischen Rebellen im Moskauer Dubrowka-Theater, das Klischee von Balkanrevolutionär mit Rauschebart, Wams und Jagdflinte, Reflexionen einer "Meta-Figur" über das Verhältnis von Realität und Abbild, all das geht eine wilde Mischung ein.

Um die Macht der Bilder ist es Stanev zu tun, Bilder, mit denen sich Gefühle fest verknüpft haben und die sich vor unsere Wahrnehmung schieben, wie das Attentat vor den Genuss des Theaterabends. Es ist nicht leicht, dem Fluss der Assoziationen und sorgsam collagierten Bilder zu folgen; der Regisseur sucht offenkundig nach einer neuen Grammatik der Bilder, nach einer Sprache abseits der Konventionen, einem Theater jenseits von Dramaturgie und Psychologie.

Mord im Burgtheater
Volksbühne im Prater Berlin
Regie Ivan Stanev