Samira El Ouassil und Friedemann Karig: "Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien - wie Geschichten unser Leben bestimmen"
Ullstein, Berlin 2021
529 Seiten, 25 Euro
Eine Geschichte kann die Welt verändern
08:59 Minuten
Klimakatastrophe mit Happy End? Noch gibt es kein positives Narrativ dazu. Doch Geschichten haben viel Macht über uns, sagt Autor Friedemann Karig. So führe die neoliberale Erzählung vom Streben nach Selbstverwirklichung zu einem "brutalen Regime".
Ob in der Mythologie, im Roman, im Hollywood-Kino oder in der Politik: Menschen versuchen, alles in eine Geschichte zu packen. Das Muster dabei wiederhole sich, sagt der Journalist und Autor Friedemann Karig: "Jemand will etwas, etwas steht ihm im Weg, es gibt einen Konflikt, es gibt eine Lösung." Zusammen mit Samira El Ouassil hat er darüber das Buch "Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien. Wie Geschichten unser Leben bestimmen" geschrieben.
"Wir sind schon genetisch darauf programmiert, dass uns Geschichten zutiefst erreichen", erklärt Karig. Ihrer Macht könne man sich nicht entziehen. Es sei auch möglich, dass ein Narrativ die Welt verändern könne. Jeder Politiker, jede Politikerin erzählten "eine Geschichte vom Morgen" – mit dem Versprechen: "Wählt mich, wenn ihr dieses Morgen wollt."
Fridays for Future hat viel in kurzer Zeit erreicht
Der Bewegung Fridays for Future hält Karig zugute, dass sie es mit ihrem Narrativ in relativ kurzer Zeit geschafft habe, die Klimakrise weltweit auf die politische Agenda zu holen: "Wenn wir jetzt die Koalitionsgespräche anschauen für die neue deutsche Regierung, spielt die Klimakrise schon die allererste Rolle." Karig räumt allerdings ein, dass bis dato eine "Erzählung über eine wünschenswerte Zukunft" in diesem Zusammenhang fehle, nämlich über das, "was wir vielleicht auch gewinnen können durch Klimaschutz".
Kritisch sieht der Autor die in der westlichen Welt gepflegte Erzählung von der Selbstverwirklichung, der zufolge man nur hart genug arbeiten müsse, um es zu schaffen. "Vom Tellerwäscher zum Millionär" – gerade in der amerikanisch geprägten, neoliberalen Variante habe das negative Folgen:
"Das haben wir so tief verinnerlicht, diese Erzählung, dass wir oft gar nicht bemerken, was für ein brutales Regime uns das auferlegt, wie wenig Solidarität darin Platz hat und wie ungerecht das sein kann für Menschen, die in diesem Marathon, den das Leben damit bedeutet, einfach die schlechteren Startplätze bekommen haben."