Macht, Geld und die Kraft des Wortes
Er ist der größte Minnesänger des Mittelalters, doch außer einer kleinen Notiz in einer zeitgenössischen Chronik ist über Walther von der Vogelweide nichts bekannt. Diese biografische Lücke füllt Tanja Kinkel zum ersten Mal mit ihrem historischen Roman "Das Spiel der Nachtigall", worin sie zwanzig Jahre aus dem Leben des Meisters der Liebeslyrik in einem prallen Bilderbogen nachzeichnet.
An dessen hundert überlieferten Gedichten entlang erzählt sie vom Werdegang Walthers am Wiener Hof bis zum Zenit seiner beruflichen Erfolge unter dem Stauferkaiser Friedrich II., als der seinen Lieblingsdichter um 1210 mit einem Lehen belohnt. Sie erzählt von einem begabten jungen Mann aus einfachsten Verhältnissen, der sich eine Lehrstelle beim ungekrönten König der Versdichtung, Reinmar von Hagenau, am Hof Philipps von Schwaben erkämpft und gegen seinen Lehrer und dessen Ideal von der unerfüllbaren Minne ein neues Liebesideal kreiert.
Seiner Zeit weit voraus, besingt Walther die erwiderte, die körperliche Liebe, aber er spitzt seine Worte auch zur politischen Waffe; er mischt sich ein in die gefährlichen Scharmützel zwischen Kaiser und Papst und begibt sich mit seinen antiklerikalen Sprüchen mehrmals in Lebensgefahr.
Zugleich wird er als "Berufsdichter ohne festen Wohnsitz" gezeigt, der von Nordfrankreich ins Friaul wandert, von einer Anstellung zur nächsten, stets um Existenzsicherung bemüht in einer Epoche, in der das Faustrecht gilt und ein sozial Höhergestellter einen Schwächeren aus einer Laune heraus um sein Leben bringen kann. Auf der Wartburg, wo er zeitweilig Unterschlupf gefunden hat, legt er sich mit seinem Kollegen Wolfram von Eschenbach an: Der Autor des Parzival hatte sich über gewisse "frouwen" erregt, die am gleichen Tisch wie Männer sitzen.
Walther zur Seite stellt die Autorin eine erfundene Figur, Judith, eine gebildete junge Jüdin aus Köln, die allen Widerständen zum Trotz ihren eigenen Weg geht. In Salerno, dem einzigen Ort in Europa, an dem Frauen damals zu Ärztinnen ausgebildet werden, studiert sie Medizin, um danach als "Magistra" an verschiedenen Höfen Europas, aber auch unter einfachen Leuten ihre heilende Kunst anzuwenden. Zwischen ihr und Walther entfaltet sich eine rasante, stets von Missverständnissen, aber auch von politischen Hindernissen begleitete Liebesgeschichte.
Tanja Kinkel erzählt verschiedenen Perspektiven, auch Nebenfiguren kommen ausführlich zu Wort, was mitunter zu dramaturgischen Schwächen führt. Da verliert man schon mal den roten Faden. Eine Stärke des Romans aber sind seine psychologisch glaubwürdigen Charaktere. Selbst die beiden Helden sind nicht durchweg sympathisch. So ist Walther zwar ein selbstbewusster, forscher Zeitgenosse, der sich von niemandem den Mund verbieten lässt, aber er ist ebenso eitel, selbstgefällig und feige: als in einem Wirtshaus Pogromstimmung ausbricht, der viele jüdische Familien zum Opfer fallen. Auch aus solchen Widersprüchen bezieht der ungemein farbenfrohe Roman um Macht, Geld und die Kraft des Wortes seine Spannung.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Tanja Kinkel: Das Spiel der Nachtigall
Droemer Knaur Verlag, München 2011
928 Seiten, 24,99 Euro
Seiner Zeit weit voraus, besingt Walther die erwiderte, die körperliche Liebe, aber er spitzt seine Worte auch zur politischen Waffe; er mischt sich ein in die gefährlichen Scharmützel zwischen Kaiser und Papst und begibt sich mit seinen antiklerikalen Sprüchen mehrmals in Lebensgefahr.
Zugleich wird er als "Berufsdichter ohne festen Wohnsitz" gezeigt, der von Nordfrankreich ins Friaul wandert, von einer Anstellung zur nächsten, stets um Existenzsicherung bemüht in einer Epoche, in der das Faustrecht gilt und ein sozial Höhergestellter einen Schwächeren aus einer Laune heraus um sein Leben bringen kann. Auf der Wartburg, wo er zeitweilig Unterschlupf gefunden hat, legt er sich mit seinem Kollegen Wolfram von Eschenbach an: Der Autor des Parzival hatte sich über gewisse "frouwen" erregt, die am gleichen Tisch wie Männer sitzen.
Walther zur Seite stellt die Autorin eine erfundene Figur, Judith, eine gebildete junge Jüdin aus Köln, die allen Widerständen zum Trotz ihren eigenen Weg geht. In Salerno, dem einzigen Ort in Europa, an dem Frauen damals zu Ärztinnen ausgebildet werden, studiert sie Medizin, um danach als "Magistra" an verschiedenen Höfen Europas, aber auch unter einfachen Leuten ihre heilende Kunst anzuwenden. Zwischen ihr und Walther entfaltet sich eine rasante, stets von Missverständnissen, aber auch von politischen Hindernissen begleitete Liebesgeschichte.
Tanja Kinkel erzählt verschiedenen Perspektiven, auch Nebenfiguren kommen ausführlich zu Wort, was mitunter zu dramaturgischen Schwächen führt. Da verliert man schon mal den roten Faden. Eine Stärke des Romans aber sind seine psychologisch glaubwürdigen Charaktere. Selbst die beiden Helden sind nicht durchweg sympathisch. So ist Walther zwar ein selbstbewusster, forscher Zeitgenosse, der sich von niemandem den Mund verbieten lässt, aber er ist ebenso eitel, selbstgefällig und feige: als in einem Wirtshaus Pogromstimmung ausbricht, der viele jüdische Familien zum Opfer fallen. Auch aus solchen Widersprüchen bezieht der ungemein farbenfrohe Roman um Macht, Geld und die Kraft des Wortes seine Spannung.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Tanja Kinkel: Das Spiel der Nachtigall
Droemer Knaur Verlag, München 2011
928 Seiten, 24,99 Euro