Macht ist relativ

Von Maria Riederer |
Mit Wolf Erlbruch und Heinz Janisch treffen zwei Künstler aufeinander, die dem Kinderbuchmarkt in den deutschsprachigen Ländern zu einigen ihrer besten Titel verholfen haben. Jetzt haben die beiden zusammen ein Buch gemacht: "Der König und das Meer". Ein Bilderbuch, ein Kinderbuch - aber längst nicht nur etwas für Kleine.
"Ich bin der König", sagte der König
Das Meer rauschte eine Antwort.
"Ich weiß.", sagte der König.
Er wurde still und nachdenklich.
"Ich weiß", murmelte er.
Dann hörte er lange dem Rauschen zu.


"Ich bin der König", sagte der König zur Trompete.
"Spiel für mich!"
Die Trompete gab keinen Laut von sich.
"Ich befehle es dir!", sagte der König.
Die Trompete blieb stumm.
Da nahm der König die Trompete in die Hand und blies vorsichtig hinein.
Die Trompete gab einen leisen Laut von sich.
"Na also", sagte der König.


21 Kürzestgeschichten – so ist der Untertitel zu dem Buch "Der König und das Meer". Kürzestgeschichten und Bilder stehen sich gegenüber – auf jeder Seite neu. Immer spricht der kleine pummelige König ein Machtwort. Und immer bekommt er die Antwort, die er verdient.

Das sind eigentlich ganz viele einzelne Geschichten, aber trotzdem gehört es irgendwie zusammen, weil es jedes Mal irgendwie doch um das gleiche geht. Der König, der wollte über alle immer bestimmen und dass alles sofort klappt, und das wollten die anderen aber nicht. Weil der König hat immer so getan, als wäre er der allergrößte und könnte alles bestimmen, aber die anderen können auch was bestimmen.

"Weg da!", sagte der König und versuchte, eine Biene von einer Blume zu verscheuchen.
"Ich bin hier der König", rief der König.
"Ich auch", sagte die Biene und stach zu.


Die Frechheit der Biene gefällt den Kindern. Obwohl sie klein ist, besiegt sie den König und lässt ihn mit einer dicken roten Nase zurück.

"Sie ist halt auch stark. Also, sie kann auch gegen den König was tun."

"Ich fand die Geschichte mit dem Hund ganz witzig, weil der ja die ganze Zeit mit dem geredet hat und wollte, dass der dem gehorcht, aber der Hund hat halt gar nichts gemacht, was der wollte, also die fand ich witzig."

"Sitz! Platz! Komm!", rief der König,
"Ich bin dein König!"
"Hierher! Halt! An die Leine!, rief der König
Dann rannte er dem Hund nach.


Der König, der seine Hände meistens hinter dem Rücken oder in den Taschen seines krumpligen Mantels verbirgt, ist in seinem Reich übrigens der einzige Mensch. Seine vermeintlichen Untertanen sind das Meer, der Himmel, Bäume, Vögel und andere Tiere, Instrumente, ein Bleistift, der Schatten oder – die Müdigkeit.

"Glaub ja nicht, dass du hier das sagen hast." sagte der König zur Müdigkeit.
"Ich bin der König und ich entscheide, wann ich müde werde."
Er musste gähnen.
"Deine ganzen Tricks werden dir nicht helfen. Ein König lässt sich nicht von anderen sagen, was er zu tun hat."
Der König redete noch eine ganze Weile auf die Müdigkeit ein, aber sein Kopf wurde immer schwerer. Plötzlich rutschte ihm die Krone vom Kopf. "Hoppla", dachte er noch, als er sie auffing. Dann fielen ihm die Augen zu.


"Die Müdigkeit, die ist stärker als man selber, weil der König ist zwar mächtig, aber gegen die Müdigkeit kann er nichts machen."

Der schlafende König lächelt. Er lächelt immer dann, wenn er begriffen hat, wie sinnlos sein Autoritätsgebaren ist. Wenn er sich besiegen lässt von der Schönheit der Natur, dann ist auch der König schön.

"Ich fand das schön, was der Baum auch gesagt hat: Ich lass die Vögel in meiner Krone halt sitzen und den Wind in meinen Blättern rauschen ..."

"Was machst du mit deiner Krone?" fragte der König den Baum.
"Ich lasse die Vögel darin wohnen. Und den Wind. Und die Kinder haben ihr Versteck hier.
"Verstehe.", sagte der König und hörte lange dem Rauschen des Windes in den Blättern zu.


Hier besticht nicht nur der Text, sondern auch das Bild. Die Baumkrone aus Blättern und bunten Vögeln ziert eine ganze Seite, während der König selbst beim Lauschen klein und ohne Krone bleibt.

"Er hat jetzt verstanden, dass er nicht so mächtig ist und die anderen Tiere und Sachen auch mächtig sind, weil sie auch ihre Stärken haben."

"Der König und das Meer" ist ein Buch voller tiefer Gedanken. Sparsam in Wort und Bild vermittelt das Buch eine wichtige Botschaft: Macht ist ein relativer Begriff. Denn nichts ist mächtiger als die Natur. Und der Mensch tut gut daran, sich von ihr belehren zu lassen.

"Wenn größere das lesen, denkt man vielleicht: öh, das ist ein Babybuch, aber wenn man es dann länger liest, denkt man schon, das ist doch was für größere auch.
Das was der König macht, das weiß man ja, ist nicht immer so richtig, Deswegen lernt man auch was aus dem Buch."

Der König und die Könige
"Das Meer ist da – der Himmel, die Sonne – und ich! Lauter Könige!" sagte der König stolz.
Da erhob sich ein schwarzes Gebirge aus dem Wasser,
ein gewaltiger Schatten teilte die Wellen.
"Ein Wal", rief der König erstaunt.
In der nächsten Sekunde krabbelte ein kleiner Krebs über seine nackte Zehe.
Und ein weißer Schmetterling streifte seine Nasenspitze.
"Schon gut!", sagte der König. "Schon gut! Ich habe verstanden!"
Er nahm seine Krone vom Kopf und legte sie in den Sand.
Dann sprang er mit einem lauten Lachen ins Blau.


Der König und das Meer – 21 Kürzestgeschichten
Heinz Janisch (Text)
Wolf Erlbruch (Bilder)
Sansoucci, 48 Seiten, 10 Euro