Macht-Spiele

Das Produkt Olympia

 Können IOC und FIFA ihre Großereignisse künftig nur noch an autoritäre Staaten vergeben?
Können IOC und FIFA ihre Großereignisse künftig nur noch an autoritäre Staaten vergeben? © picture alliance / dpa / Martial Trezzini
Von Günter Herkel |
Die Olympischen Winterspiele in Russland und die Fußball-WM in Brasilien belegten einmal mehr: Bei sportlichen Großereignissen mischen Politik und Wirtschaft kräftig mit. Doch durch zunehmende Proteste gerät der IOC nun unter Zugzwang.
Die Olympischen Winterspiele in Sotschi, die Eishockey-WM in Weißrussland, die Fußball-WM in Russland, schließlich die von Anfang an hochumstrittene Fußball-WM in Katar – der Trend bei der Vergabe von Sportgroßereignissen ist eindeutig. Immer häufiger kommen eher autoritär regierte Staaten mit mehr oder weniger problematischer Menschenrechtslage in den Genuss der prestigeträchtigen Events. Der Trend begann mit den Sommerspielen 2008 in Peking. Damals begründete der damalige IOC-Vizepräsident Thomas Bach die Vergabe nach China so:
"Eines ist erreicht mit dieser Wahl, dass sieben Jahre lang das Auge der Weltöffentlichkeit sich noch strikter auf China richtet, also das ohnehin schon der Fall ist. Und diese strenge Beobachtung kann natürlich auch wieder zum Wandel beitragen."
Erwartungen, die im Rückblick kaum gerechtfertigt erscheinen.
"So, wie der Sport jetzt agiert, kann ich das jedenfalls nicht feststellen."
Dagmar Freitag, SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Sportausschusses.
"Ich kann nicht erkennen, dass die Olympischen Spiele in Peking beispielsweise eine besondere Verbesserung für die Bevölkerung oder auch für die Wanderarbeiter, die es immer noch gibt, gebracht hätte."
Nach wie vor werden in China ethnische Minderheiten wie die Tibeter kulturell und politisch unterdrückt. Die totalitäre Kontrolle der Medien wurde keineswegs gelockert. Und nach wie vor führt das "Reich der Mitte" das traurige Ranking als Land mit den meisten Hinrichtungen pro Jahr an. Aber was bedeutet das? Eine nahe liegende Strategie wäre, Diktaturen oder repressive Gesellschaften grundsätzlich bei der Vergabe sportlicher Großereignisse auszuschließen. Oder, wenn das Kind schon einmal in den Brunnen gefallen ist, einen Boykott des Events zu organisieren. Letzteres ist aber selbst unter Menschenrechtsorganisationen umstritten. Wenn ein Ereignis erst einmal vergeben ist, sei keinem Menschen mit einem Boykott geholfen, meint etwa Human Rights Watch Deutschland-Chef Wenzel Michalski.
"Im Gegenteil: Man sollte dann versuchen, das Beste aus diesem Übel zu machen und dann immer laut und deutlich die Menschenrechtsverletzung in diesem einen Land anprangern. Das gilt für die Sportfunktionäre, das gilt für Gewerkschafter, internationale Gewerkschafter und das gilt natürlich auch für die Politiker, die dann in diese Länder reisen, um an diesen Sportveranstaltungen teilzunehmen, um ihre Länder zu repräsentieren."
Dagmar Freitag: "Ich denke immer, der Sport hat national und international so eine starke Stimme. Er sollte sie im Interesse der Gesellschaft eigentlich viel mehr nutzen. Das heißt, Missstände benennen. Das heißt nicht unbedingt, dass man Entscheidungen grundsätzlich zurücknehmen muss."
Ein Problem: Sportliche Großereignisse wie Olympische Spiele oder Fußball-Weltmeisterschaften werden in der Regel mit langem zeitlichen Vorlauf vergeben. Verbandsfunktionäre verweisen dann gern auf Entwicklungen, die man nicht habe voraussehen können.
"Erinnern Sie sich, dass Wladimir Putin im Deutschen Bundestag gesprochen hat und dort standing ovations bekommen hat, weil er als Hoffnungsträger galt?"
Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).
"Dass sich dieses Bild dann so verändert hat im Umfeld von Sotschi durch die Ukraine und die Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine – das kann niemand voraussehen."
Dies sei nur die halbe Wahrheit, meint dagegen Human Rights Watch Direktor Michalski.
"Natürlich konnte man damals noch nicht voraussehen, dass jetzt die Krise mit der Ukraine passiert. Aber es gab damals schon massive Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung von Journalisten, von Umweltaktivisten usw., die einem eigentlich schon hätte sagen müssen: Russland ist kein geeignetes Land, um eine Großveranstaltung wie die Olympischen Spiele oder die Fußball-Weltmeisterschaft austragen zu lassen …"
DOSB positioniert sich gegen Homophobie
Beim DOSB ist man davon überzeugt, in Sotschi aus der Not eine Tugend gemacht zu haben.
"Wir haben ja uns da klar positioniert, was die Gesetzgebung dort zur Homophobie angeht. Das lehnen wir ab, das ist mit den olympischen Idealen nicht zu vereinbaren. Und deswegen haben wir uns da nicht nur öffentlich in dieser Form positioniert, sondern wir haben auch Gespräche geführt mit Vertretern der russischen Lesben- und Schwulenbewegung, mit Vertretern der dortigen Menschenrechtsorganisationen und auch der Umweltorganisationen, weil wir das natürlich nicht ausblenden können und ausblenden wollen."
Wie politisch ist also der Sport?
"Der Sport hat schon große politische Relevanz. Aber er ist selber nicht politisch, sondern er ist selber politisch neutral, wir nehmen nicht für die eine oder andere Partei oder für die eine oder andere politische Position Stellung. Für uns gelten natürlich die Menschenrechte, gelten die Grundrechte, die Grundwerte unserer Verfassung. Aber wir sind jetzt nicht im politischen aktuellen Tagesgeschehen Partei."
Der Sport als politisch neutrale Instanz, der sein Wirken auf eine Rolle als völkerverbindendes Element reduziert – das klingt schön und idealistisch. Aber die Welt ist komplizierter, und der Sport kann sich nicht aus politischen Konflikten heraushalten. Im Gegenteil: Super-Organisationen wie das IOC oder der Weltfußballverband FIFA agieren mittlerweile selbst im Stil von politischen Weltmächten, meint der Sportsoziologe Gunter Gebauer. Mit ihrer Macht, Mega-Events wie Olympische Spiele oder Fußball-Weltmeisterschaften zu vergeben, verleihen sie den so Privilegierten symbolische Kraft. Eine symbolische Kraft, die sich aus der Aufmerksamkeit einer globalen Öffentlichkeit speise. Wenn auch nur für die Dauer von einigen Wochen und Monaten.
Gunter Gebauer: "Das ist einerseits ein propagandistischer Erfolg, nach außen und nach innen. Das zweite ist, dass das Land sich aufwertet im Konzert der Nationen. Also ein Land wie Russland, das mit Sotschi eine gewaltige Maschinerie in Gang setzt, um zu zeigen, was sie in der Lage sind, innerhalb kürzester Zeit aus den Bergen zu stampfen ..."
Aus russischer Sicht und allen Kräften, die mit Russland sympathisieren, sicher eine gute Sache. Für Menschenrechtsaktivisten und Umweltschützer, die Geldverschwendung, Umweltzerstörung und mangelnde Nachhaltigkeit im Umfeld der Spiele von Sotschi kritisieren, eher fragwürdige Leistungen. Und schon ist man mittendrin in einer Debatte über politische Seilschaften, über Korruption in den großen Weltsportverbänden, über Sinn und Unsinn von Olympia.
"Olympia ist einfach das Größte, das größte Sportereignis für einen Sportler. Das größte Ziel, ob man jetzt ne Medaille erreichen kann oder nicht. Auch schon das Dabeisein ist einfach n ganz großes Ziel, und das Schönste überhaupt, was ein Sportler erreichen kann."
Guido Kratschmer, ehemaliger Zehnkampfweltrekordler. Der 15. Mai 1980 war der schwärzeste Tag in seinem Sportlerleben. An diesem Tag entschied das Nationale Olympische Komitee der Bundesrepublik, nicht an den Moskauer Spielen teilzunehmen. Bereits drei Wochen zuvor hatte die Bundesregierung unter dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt den Boykott empfohlen – auf starken politischen Druck der USA. Kratschmer befand damals sich in der Form seines Lebens, galt als heißester Titelkandidat unter den "Königen der Athleten". Vier Jahre zuvor in Montreal hatte er Silber gewonnen. Die Spiele in Moskau sollten die Krönung seiner Karriere werden. Wie fühlte er sich, als ihn der Boykottbeschluss erreichte?
"Allein gelassen. Einfach verlassen. Ich war vollkommen down und daneben. Viele Mitglieder im NOK waren ja ehemalige Sportler, und deswegen hab ich es mir nicht vorstellen können, dass sie sich für den Boykott entscheiden. Und das war dann schon ein herber Schlag für mich. Nicht nur für mich. Für alle, die nicht hinfahren durften."
Michael Vesper, Generaldirektor des DOSB:
"Der Boykott von 1980 ist sowas wie ein Trauma im deutschen Sport, aber auch im internationalen Sport. Weil in der Tat dieser Boykott von der Politik mehr oder weniger verordnet wurde. Das war auch gegen die Autonomie des Sports damals gerichtet."
Vor 34 Jahren war das Machtgefüge im Verhältnis von Sport und Politik noch ein anderes. Der Staat bestimmte, der Sport kuschte.
Die um die Früchte ihres Trainings gebrachten Athletinnen und Athleten mussten sogar zähneknirschend erleben, was Opportunismus in der Politik bedeutet. Der sportliche Boykott hinderte Bundeskanzler Schmidt nicht daran, mit der sowjetischen Führung noch wenige Wochen vor der Eröffnung der Spiele ein umfangreiches Wirtschaftsabkommen zu schließen. Die Geschäfte gingen weiter, den Schaden trugen die Athleten, die Olympische Sportbewegung insgesamt.
Die Gräben wurden weiter vertieft, es kam zu einem Gegenboykott 1984 in Los Angeles. Für den heutigen IOC-Chef Thomas Bach war die damalige Erfahrung prägend. Ein Boykott der Spiele sei nicht nur sinnlos, er tauge auch dazu, die Olympische Bewegung zu spalten, hielt er 2006 den Kritikern der Spiele in Peking entgegen. Diese Erkenntnis bestimmt seine Haltung zum Boykott bis heute.
"Ein Boykott ist ein völlig falsches Mittel. Es ist Aufgabe des Sports, Brücken zu bauen und nicht Mauern zu errichten. Der Sport kann zum Dialog beitragen, aber er taugt nicht zum Knüppel der Politik. Das hat auch die Vergangenheit gezeigt: der Olympiaboykott von Moskau war ein grandioser Misserfolg: er hat im damals von der Sowjetunion besetzten Afghanistan überhaupt nichts zum Positiven bewirkt, und so wäre es auch mit einem Boykott der Olympischen Spiele in Peking: wer glaubt, durch Isolation etwas verbessern zu können, der nimmt viel von der Weltöffentlichkeit, von China weg und erreicht genau das Gegenteil dessen, was er eigentlich erreichen will."
Deutscher Fußballverband hält nichts von Boykotts
Auch im Fußball ist die Boykottdebatte längst angekommen. Spätestens mit der Zuspitzung der Ukraine-Krise wurden erste Forderungen laut, die für 2018 geplante Weltmeisterschaft in Russland zu boykottieren oder aber das Turnier neu zu vergeben. Beim Deutschen Fußballbund hält man wenig von derlei Strafmaßnahmen.
"Wen triffst du mit einem Boykott, das ist ja die Frage?"
DFB-Sprecher Ralf Köttker.
"Änderst du was an den bestehenden Verhältnissen oder triffst du nicht in allererster Linie die Sportler, die Verbände, die ausrichtenden Vereine auch, die auch ihren Beitrag haben, die Fans, die sich auf ein solches Ereignis nicht nur im Ausland, sondern auch in dem jeweiligen Land freuen?"
Erst vor zweieinhalb Jahren, bei der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, war die Diskussion unter ganz anderen Vorzeichen geführt worden. Damals ging es um die Haftbedingungen der ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Aus Protest gegen die Behandlung der Oppositionspolitikerin blieben viele hochrangige Politiker, darunter auch Bundespräsident Joachim Gauck, der EM fern. Die damalige Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kam auf die umwerfende Idee, alle Spieler sollten als Zeichen der Solidarität orangefarbene Schals tragen - die Farbe jener Revolution, die Julija Timoschenko 2004 mit in Gang gebracht hatte.
"Es gab diese Boykottdiskussion im Fall Timoschenko damals – wie verhält man sich da? Muss man nicht klare Zeichen setzen, muss man nicht möglicherweise sogar ein solches Turnier boykottieren? Für uns war das keine Option, zu keinem Zeitpunkt, weil wir der festen Ansicht sind, dass ein Boykott in der Regel nicht das richtige Mittel ist."
Am Ende befreiten nicht westliche Proteste Timoschenko aus der Haft, sondern jene Kräfte, die infolge der Proteste auf dem Maidan in Kiew die Regierung Janukowitsch stürzten. In Deutschland, so hat es den Anschein, schlägt der Pegel öffentlicher Erregung vielfach besonders intensiv aus. Dazu bedarf es nicht unbedingt schwerer Menschenrechtsverletzungen.
"Schauen Sie sich 2010 an, Südafrika, da gab’s im Vorfeld eine mediale Diskussion zum Thema Sicherheit. Kann man guten Gewissens überhaupt zu diesem Turnier fahren?"
Ralf Köttker, Sprecher des DFB.
"Wir hatten 2006 in Deutschland eine sehr hitzige mediale Diskussion, ausgelöst von der Stiftung Warentest, sind die Stadien überhaupt sicher genug oder muss man da Sorge haben, wenn man ein deutsches Stadion betritt? Das ist alles sehr, sehr hoch gekocht, und das erleben wir vor jedem Turnier. Und sobald der Ball rollt, sind diese Themen plötzlich weg, alles kuckt auf den Sport, die Dinge laufen, und am Ende des Tages liegen sich alle in den Armen und sagen: Das war aber jetzt das schönste Turnier, was wir jemals erlebt haben."
Klar, wenn erstmal der Anpfiff zur WM erfolgt, der Startschuss zum Olympischen 100-Meter-Sprint gefallen ist, bleibt für politische Nebengeräusche in der Regel wenig Aufmerksamkeit. Unter der Wucht der Live-Berichterstattung gehen auch manche Reportagen, die sich am Rande des Programms mit den Schattenseiten des Sports, mit den politischen und sozialen Verhältnissen in den Gastgeberländern beschäftigen, hoffnungslos unter. Sportsoziologe Gunter Gebauer über die Folgen der diesjährigen Fußball-WM:
"Brasilien hat keines seiner Probleme gelöst durch die WM. Im Gegenteil: Sie haben alles verschärft – die Auseinandersetzung zwischen Arm und Reich, die mangelnde Infrastruktur, das Geld ist verpulvert worden, die Universitäten verkommen, die Polizei ist gestärkt worden. Die Fußball-WM hat in Brasilien überhaupt nichts gelöst, im Gegenteil die Probleme sogar noch verschärft."
"Das haben wir im Übrigen nicht nur in Brasilien gesehen, das haben wir auch bei der Fußball-WM in Südafrika gesehen, wo zum Beispiel Kleinunternehmer aus dem Dunstkreis der Stadien vertrieben wurden, weil die Sponsorenverträge andere waren. Das heißt, da sind viele Klein- und Kleinstunternehmer um ihre Existenz gebracht worden, die sich eigentlich das Geschäft des Jahres von dem jeweiligen Ereignis erhofft hatten."
Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag.
"Wenn man dann noch bedenkt, dass diese Sportstätten ja wirklich zum großen Teil hinterher ungenutzt in den jeweiligen Ländern stehen – ob es das Oympiastadion in Peking ist, wo jetzt im kommenden Jahr mal wieder ne Leichtathletik-WM ausgetragen wird, ob es die Olympiaruinen im bankrotten Griechenland sind oder auch ungenutzte Stadien in Südafrika."
Menschenrechtsverletzungen in Katar
Katar, das Gastgeberland der Fußball-WM 2022, steht spätestens seit 2013 wegen der unmenschlichen Behandlung von Arbeitsmigranten im Fokus der internationalen Kritik. Human Rights Watch und andere Menschenrechtsorganisationen kritisierten heftig das Zwangsarbeitssystem und die hohe Sterberate unter den Arbeitsmigranten aus Nepal und anderen asiatischen Staaten. Missstände, deren Vorhandensein der DFB-Sprecher nicht leugnet.
"Es gibt diese Arbeitsbedingungen, die unerträglich sind. Ich glaube, der öffentliche Fokus, die öffentliche Diskussion über diese Arbeitsbedingungen, die hätte es ja in der Form niemals gegeben, wenn wir nicht diese Turniervergabe nach Katar gehabt hätten."
Und wenn nicht ein prominenter ehrenamtlicher DFB-Funktionär seine recht eigenwillige Sicht auf die Zustände in Katar preisgegeben hätte.
"Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen, also die laufen alle frei rum, weder in Ketten gefesselt und auch mit irgendwelcher Büßerkappe am Kopf, also das habe ich noch nicht gesehen."
Solche saloppen Äußerungen des "Kaisers" Franz Beckenbauer stellen nach Auffassung von Menschenrechtsorganisationen eine Verhöhnung der Opfer dar. Die englische Tageszeitung "The Guardian" berichtete bereits vor einem Jahr, dass allein zwischen dem 4. Juni und dem 8. August 2013 insgesamt 44 nepalesische Gastarbeiter auf den WM-Baustellen wegen Herzversagens oder Arbeitsunfällen gestorben seien. Der umstrittene FIFA-Chef Josef Blatter stellte fest, die Verantwortung für die Situation und die Rechte der Arbeiter liege bei den beteiligten Unternehmen.
Seither rissen Forderungen nach einem Boykott dieser Fußball-WM bzw. nach einer Neuvergabe des Events nicht mehr ab. Dem stehen jedoch gültige Verträge der FIFA mit Katar entgegen. Human-Rights-Watch-Direktor Wenzel Michalski plädiert für mehr prophylaktische Sorgfalt im Vergabeverfahren.
"Die Sportveranstalter müssen schon von Anfang an darauf achten, dass dadurch Menschenrechte nicht verletzt werden oder dass einfach die Großveranstaltung dazu missbraucht wird, um die Reputation eines Landes aufzupolieren. Dadurch nämlich wird der Sport politisiert, instrumentalisiert, und das ist etwas, was der Sport ja auch immer wieder beklagt."
Ein frommer Wunsch, bedenkt man, welche mächtigen Wirtschaftsinteressen hinter den Kulissen der FIFA agieren. Mit Sport, so monieren Kritiker des Weltfußballverbandes, habe die Doppelvergabe an Russland und Katar wenig zu tun. Beide Länder gelten als neue Absatzmärkte, in denen sich hohe Gewinne einfahren lassen. Im Fall der WM in Katar häufen sich die Vorwürfe: Korruption und Intransparenz beim Abstimmungsverfahren, unzumutbare klimatische Bedingungen zum Zeitpunkt des Turniers, diktatorische innenpolitische Verhältnisse.
Der gebetsmühlenartige Ruf nach Einhaltung der Menschenrechte greife zu kurz oder gar nicht, meint daher Sportsoziologe Gebauer. Kaum ein Staat garantiere heutzutage diese Rechte in umfassender Weise. Selbst IOC-Präsident Bach pflege en passant auf die Existenz der Todesstrafe in den USA hinzuweisen. Auch aktuelle Nachrichten über die langjährige Folterpraxis der CIA gegenüber mutmaßlichen islamistischen Terroristen stellen der westlichen Führungsmacht in Sachen Menschenrechte kein gutes Zeugnis aus. Gebauer plädiert für einen anderen Ansatz.
"Statt auf die Menschenrechte zu zielen, würde ich eher sagen: Es kommt auf die Regierungsform an, auf die Art und Weise, wie ein Land geführt wird, auf die Good Governance, wie man heute in der Politikwissenschaft sagt, dass Länder den Sport und die Sportler die Einzelperson, die Athleten, die dort sind, respektieren und ihre Würde nicht antasten."
Internationale Sportverbände wie IOC und FIFA könnten die jeweiligen Gastgeberländer auf bestimmte demokratische, arbeitsrechtliche oder ökologische Mindeststandards verpflichten.
"Sie werden nicht die Politik des Landes verändern können, das glaube ich überhaupt nicht. Sie werden eher in Gefahr sein, ein Spielball dieser Politik zu werden. Aber sie hätten vor der Weltöffentlichkeit die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass das Land sich verpflichtet hat, die und die Standards einzuhalten. Sie hätten dann aber auch die Möglichkeit, unter Umständen einem Land die Spiele wieder zu entziehen."
Der Stern der Olympischen Idee sinkt
Solche Reformen erscheinen überfällig. Denn der Stern der Olympischen Idee sinkt. Von ehemals neun interessierten Bewerbern für die Olympischen Winterspiele 2022 sind nur noch zwei übrig geblieben: Peking und das kasachische Almaty. Also nicht gerade ein Umfeld, in dem die Menschen- und sozialen Rechte hoch gehalten werden. Alle anderen zogen ihre Kandidatur wegen Widerständen in der Bevölkerung oder aus Geldmangel zurück. Auf der Strecke blieben neben München auch Graubünden, Krakau und Oslo.
"Das sind ja alles klassische Wintersportnationen, wo aber auch die Bevölkerung gesagt hat: Nein, solche Olympischen Spiele wollen wir nicht. Ich glaube nicht, dass sich die Menschen von der Olympischen Idee abwenden. Aber die wenden sich von dem ab, was Olympische Spiele heute sind."
Vermutet Sportpolitikerin Dagmar Freitag. Unter dem Eindruck zunehmender Proteste im Umfeld Olympischer Spiele gerät das IOC unter Zugzwang. Wenn die Spiele künftig mangels Interesse demokratischer Staaten nur noch an autoritäre Regime vergeben werden können, gerät das gesamte Olympische Projekt in Gefahr. DOSB-Mann Michael Vesper räumt ein:
"Das wäre in der Tat sehr, sehr traurig, wenn Olympische Spiele in Ländern wie Deutschland oder unseren Nachbarstaaten nicht mehr möglich wären, weil sich die Menschen dort dagegen wenden. Deswegen brauchen wir ne Olympische Offensive. Deswegen müssen wir deutlich machen, was die Werte Olympias bedeuten und was diese Spiele auch für die Menschen in den jeweiligen Ländern bringen können."
"Die Exekutivmitglieder haben inzwischen begriffen, dass es so nicht weiter gehen kann. Dass sie sich da wahrscheinlich mit einem Kreis von Militärdiktatoren und Emiren in Zukunft beschäftigen können und alle Länder, die auf der Welt wirklich ernsthaft geachtet werden, würden den Olympischen Ideen und Spielen den Rücken zukehren. Das ist ja die Gefahr, die sie sehen mussten. Und dann wäre auch die olympische Bewegung im Grunde genommen zu irgendeiner Gelddruckmaschine oder einem spektakulären Jahrmarktsereignis verkommen."
Meint Sportsoziologe Gebauer. Immerhin: Auf der jüngsten IOC-Mitgliederversammlung Anfang Dezember in Monaco wurden erste Konsequenzen gezogen. Mit überraschender Einmütigkeit stimmten die Mitglieder für die so genannte "Agenda 2020", für die sich der seit einem Jahr amtierende deutsche IOC-Präsident Thomas Bach stark gemacht hatte. Die Agenda umfasst Maßnahmen gegen Diskriminierung, Standards für Arbeitsbedingungen und Vorschläge für mehr Transparenz bei den Spielen. So sollen die IOC-Verträge mit den Ausrichterstädten künftig offengelegt werden. Um Kostenexplosionen zu vermeiden, dürfen einzelne Disziplinen oder ganze Sportarten auch außerhalb der Ausrichterstadt organisiert werden.
Doch Papier ist bekanntlich geduldig. Wenzel Michalski von Human Rights Watch sichert den Reformern jedenfalls Unterstützung zu.
"Da muss sich das IOC durchsetzen, und das wird ein harter Kampf, und wir sind gern bereit, wir und andere Menschenrechtsorganisationen, aber auch Gewerkschaften und Umweltverbände, diesen Prozess kritisch zu begleiten und im Sinne der Agenda 2020 voranzutreiben."
Auch Dagmar Freitag gibt sich vorsichtig optimistisch. Jetzt, so die Sportausschussvorsitzende des Deutschen Bundestags, komme es darauf an, die Olympische Bewegung geschlossen auf die Reform einzuschwören,
"… und dann, ob es wirklich dazu führt, in demokratisch organisierten Staaten wieder Begeisterung für die Olympische Idee wecken zu können. Olympia und den Athleten wäre es zu wünschen."
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