Die nützlichen Idioten des Terrors
So wie der IS seine Gegner durch willkürlichen Terror von seinen Zielen ablenkt, täuscht er auch die eigenen Anhänger. Die Mörder fungieren als Werkzeuge einer Idee, die im Zweifel nicht ihre eigene ist, meint der Journalist Martin Tschechne.
Es war nicht der erste Appell, mit dem der so genannte "Islamische Staat" seine Kämpfer zu mobilisieren suchte. Es wird auch nicht der letzte gewesen sein. Aber es war einer, der einen sehr offenen Einblick in die Methoden des Terrors bot. So offen, dass auch die Strategie dahinter zu ahnen ist.
Gelobt wird, wer ein Blutbad anrichtet
Im September 2014 hatte der Sprecher des IS, Abu Mohammed al-Adnani, den Aufruf ins Netz gestellt, jeden beliebigen Europäer oder Amerikaner, Australier, Kanadier – einfach jeden zu töten, dessen Staat zur Koalition gegen das islamistische Projekt gehört. Und überall fanden sich Menschen, die dem Aufruf folgten. Manche sofort, andere ließen sich Zeit. Einer schoss, einer schlug mit der Axt zu, einer raste mit dem Auto in eine Gruppe von Passanten, eine verschleierte Frau erstach eine Amerikanerin im Einkaufszentrum auf der Damentoilette.
Manche dieser Aktionen schockierten eine breite Öffentlichkeit, manche gingen unter im Strom der Nachrichten zu Krisen und Katastrophen. Gelang es den Tätern, ein Blutbad anzurichten, feierte der IS sie hinterher als "Soldaten", weniger erfolgreiche Mörder bekamen immerhin noch das Prädikat "Unterstützer" – aber nichts in den nachgereichten Jubelbotschaften ließ erkennen, was auf Plan und Vorbereitung hätte schließen lassen. Als hätten ihre Verfasser einfach nur den jeweiligen Polizeibericht abgeschrieben.
Zum Morden ermächtigt
Erst mit dem Attentat auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" im vergangenen Januar wurde klar, dass sehr wohl eine Strategie hinter den Aktionen steckte. Allerdings eine, die mit den öffentlich bekundeten Zielen wenig zu tun hat. Es geht nicht um Verbreitung und Verteidigung eines vermeintlich wahren Glaubens, es geht um Macht, um wirtschaftlichen Einfluss, nebenbei um die Rache einer kleinen Clique ehemaliger Geheimdienstleute an denen, die das System des Diktators Saddam Hussein gestürzt und sie selbst damit ihrer Funktion beraubt haben.
Und wie der IS seine Gegner durch willkürlichen Terror von seinen Zielen ablenkt, täuscht er auch die eigenen Anhänger. Die Mörder – Kleinkriminelle, verkrachte Existenzen, Menschen ohne Perspektive – fungieren als Werkzeuge einer Idee, die im Zweifel nicht ihre eigene ist.
Genau das ist die Methode, auch bei den Pariser Attentaten im November, auch im kalifornischen San Bernardino. Al-Adnani hat keine Kämpfer mobilisiert, wie es die Propaganda des IS glauben machen will, die auf ihre Aufgabe vorbereitet sind und nur auf das verabredete Signal warten. Er hat einfach nur den Machtlosen und Zornigen einen Anlass serviert, einmal im Leben auf ihre Existenz hinzuweisen. Ihre Gewaltfantasien zu entfesseln, Rache zu üben an einem System, innerhalb dessen sie es nicht geschafft haben, ihr sehr menschliches Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen.
Die psychologische Dimension des Terrors
Adnani hat sie ermächtigt, sich in einem verzweifelten Ausbruch zu holen, was eine Gesellschaft ihnen vorenthält, in der sie fremd sind, sprachlos, ohne Zugang zu Bildung und ohne Erkenntnis, dass genau darin ihre Chance bestünde. Und viele von ihnen sind so ausgehungert, so fern von jeder Hoffnung auf Bedeutung, dass sie bereit sind, für einen einzigen Moment der Illusion ihr Leben wegzuwerfen.
Ermächtigung ist die psychologische Dimension des Terrors. Wer ermächtigt wurde, ist eine unberechenbare Waffe. Die Zornigen, die Zu-kurz-Gekommenen, die in ihrem Geltungsdrang Gekränkten sind im Bodensatz jeder Gesellschaft zu finden. Die professionelle, an den Bildern von Musikvideos, Kino und Computerspielen geschulte Propaganda findet ihren Weg bis in die Kinderzimmer; das Internet und die sozialen Medien verbreiten die toxische Botschaft bis in den letzten Winkel der Welt.
Dort sitzen sie, in den Ghettos der Vorstädte, und viele ahnen wohl noch nicht einmal, dass gerade ihre Schwäche, gerade die Aussichtslosigkeit ihrer Situation sie so empfänglich macht für den Lockruf einer Truppe, für die sie selber nichts sind als nützliche Idioten.
Martin Tschechne ist Journalist und lebt in Hamburg. Als promovierter Psychologe weiß er, wie leicht sich Statistik missbrauchen lässt, um Ursachen vorzutäuschen oder tatsächliche Zusammenhänge zu verwischen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPs zeichnete ihn kürzlich mit ihrem Preis für Wissenschaftspublizistik aus. Zuvor erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern (Verlag Ellert & Richter, 2010).
Martin Tschechne ist Journalist und lebt in Hamburg. Als promovierter Psychologe weiß er, wie leicht sich Statistik missbrauchen lässt, um Ursachen vorzutäuschen oder tatsächliche Zusammenhänge zu verwischen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPs zeichnete ihn kürzlich mit ihrem Preis für Wissenschaftspublizistik aus. Zuvor erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern (Verlag Ellert & Richter, 2010).