Ilija Trojanow: Macht und Widerstand
S. Fischer, Frankfurt/Main 2015
480 Seiten, 24,99 EUR
Der Widerständler und sein Agent
Macht und Widerstand: Mit einem Gegensatzpaar schildert Ilija Trojanow die bulgarische Geschichte: Ex-Geheimdienstmann Metodi hat sich mit den neuen Verhältnissen bestens arrangiert, während der einstige Oppositionelle Konstantin zu sehr auf Vergangenes fixiert bleibt.
Metodi ist ein Vertreter des alten kommunistischen Regimes in Bulgarien. Als Geheimdienstmann hatte er dort jahrzehntelang treue Dienste geleistet. Seit der Wende verdient er gut als "Biznismann", die alten Kontakte bewähren sich weiterhin.
Auf der anderen Seite steht Konstantin, ein alter Anarchist, der nach einem Bombenanschlag auf eine Stalinstatue im Jahr 1953 Gefängnis und Lagerhaft erlitt und anschließend ein Leben als Observierter und Objekt der Staatssicherheit führte.
Aus dieser Doppelperspektive schreibt Ilija Trojanow die bulgarische Geschichte über ein halbes Jahrhundert nach. 1965 in Sofia geboren, flohen seine Eltern 1971 nach Deutschland und von dort weiter nach Kenia und Nairobi, wo der Vater als Ingenieur arbeitete. Erst Mitte der 1980er-Jahre kehrte Trojanow nach Deutschland zurück, doch Bulgarien hat er weiterhin im Reisegepäck.
Jahrelang hat er Material gesammelt für diesen Roman, in Archiven gestöbert und ein eigenes Privatarchiv angelegt, mit zahlreichen Menschen in Bulgarien gesprochen, Opfer des Regimes zumeist, die, wie er sagt, überquellen vor lauter Erzählbedarf. Auf der Seite der einstigen Machthaber hatte er es dagegen schwerer, Gesprächspartner zu finden.
Ein Rededrang, ausgelöst durch eine junge Frau
Metodi allerdings ist sehr mitteilsam, sein Rechtfertigungsbedürfnis ist groß. Ausgelöst wird dieser Rededrang durch eine junge Frau, die eines Tages in seiner Villa auftaucht und sich als seine Tochter ausgibt. Metodi kann oder will sich aber nicht an die Mutter erinnern, die Gefangene in einem Straflager war, in dem er zum Wachpersonal gehörte.
Und doch fasst er allmählich Vertrauen zu dieser Tochter, wie er überhaupt eine gar nicht so unsympathische Figur abgibt. Er ist zwar durch und durch verlogen, schafft es aber immer wieder, sich mit Überzeugungen auszustaffieren, und dass es einst, im Kampf gegen den Faschismus, durchaus Gründe gab, zum Kommunisten zu werden, ist ja nicht ganz falsch.
Sein Schillern, seine Verschlagenheit, seine mit Zutraulichkeit getarnte Brutalität, seine Berechnung, sind jedenfalls interessanter als die eindimensionale Oppositionshaltung Konstantins, der seiner eigenen Geschichte anhand von Stasi-Akten und Verhörprotokollen nachgeht.
Doch der Zugang zu den Archiven ist eingeschränkt. Anders als in Deutschland gab es in Bulgarien keine revolutionäre Inbesitznahme der Stasihinterlassenschaften, so dass die, die einst die Akten anlegten, sie heute noch verwalten. Vielleicht ist von daher auch Konstantins verbissener Glaube nachvollziehbar, in diesem schwer zugänglichen Material die Wahrheit zu finden.
Zu sehr auf die Geschichte fixiert
Das Problem des Widerständlers, der sein Leben ganz dem Widerstand weiht, liegt auf der Hand: Je mehr er sich auf seine Gegner fixiert und auch im Nachhinein auf diese Geschichte fixiert bleibt, umso mehr verliert er aus den Augen, worum es denn eigentlich gehen sollte im Leben. Was heißt es, Anarchist zu sein? Was wäre die Alternative gewesen? Davon ist nur wenig zu erfahren.
Dass Konstantin nicht loskommt von der Vergangenheit, ist Teil seiner Traumatisierung. Was ist das gute Leben? Vor dieser Frage kapitulieren beide, Metodi und Konstantin. Der eine sucht nur den Wohlstand und die Bequemlichkeit und richtet sich in der Lüge ein. Der andere sucht nach der Wahrheit in der Vergangenheit – und vergisst darüber zu leben.
Doch von dieser Tragik ist in "Macht und Widerstand" nur wenig zu spüren. Trojanow entkommt nicht der Versuchung, seinen Helden des Widerstands ein wenig zu glorifizieren. Das ist gut, um die historische Aufarbeitung in Bulgarien in Gang zu setzen. Das ist zu wenig für einen wirklich gelungenen Roman.