Vermögen und Macht

Unsere völlig falsche Vorstellung vom Teilen

Illustration: Menschen kooperieren, um einen Pfeil aus Trümmern zu bauen.
Die Früchte gemeinsamer Arbeit zu ernten, schafft Mehrwert und verhindert, dass Mitarbeitende übervorteilt werden. © imago images/Ikon Images
Ein Kommentar von Franca Parianen |
Manche Reiche spenden, um der Gesellschaft "etwas zurückzugeben". Das ist eine ungerechte und merkwürdige Vorstellung vom "Teilen", findet Neurowissenschaftlerin Franca Parianen. Denn evolutionsgeschichtlich bedeute Teilen etwas ganz anderes.
Teilen heißt für uns meist „abgeben“. Wir brechen Brot oder Schokolade und spenden großzügig für das Straßenmagazin oder die Ärzte ohne Grenzen. So oder so ähnlich untersucht auch die Wissenschaft gerne das Teilen: Wir geben Versuchspersonen zehn Euro und gucken, ob Leute für andere auf einen Teil davon verzichten. Das tun sie! Nicht ganz fair, aber auf durchschnittlich drei Euro. Fast niemand gibt nix. Das stimmt doch optimistisch! Und vielleicht könnte es jemand Elon Musk erzählen?
Großzügigkeit ist leider wackelig. Unverzichtbar für geliebte Menschen, kleine Gefälligkeiten und große Katastrophen, aber im Alltag auch anfällig für Hindernisse, Vorurteile und einfachste Ausreden. Je öfter wir gefragt werden, desto weniger geben wir. Der zweite Straßenmagazinverkäufer in der U-Bahn wird das bestätigen. Eine verteilungsgerechte Welt lässt sich nur auf Freigiebigkeit nicht aufbauen. Aber vielleicht haben wir das mit dem Teilen auch einfach nur falsch verstanden? Denn rein menschheitsgeschichtlich geht es dabei weniger ums Verzichten als darum, Mehrwert zu schaffen.

Teilen heißt auch – gegenseitige Abhängigkeit verstehen

Zum Verständnis bitte man einfach zwei Schimpansen, an einem Strang zu ziehen, um einen Obstkorb zu angeln. Rein kognitiv verstehen beide sofort, was gemeint ist. Rein praktisch schnappt sich der eine danach den Korb und der andere schmollt beleidigt in der Ecke. Das war’s beim nächsten Mal mit Zusammenarbeit. Teilen heißt auch: Gegenseitige Abhängigkeit verstehen. Und kaum eine Spezies versteht Abhängigkeit so gut wie wir.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Menschen jagen in Gruppen, brauchen Bauanleitungen und bekommen Nachwuchs, der anfangs nicht mal seinen Kopf halten kann. Also mussten wir lernen zu teilen. Um gemeinsam vor einem gegrillten Mammut zu sitzen, statt einsam vor einer Wurzelknolle. Heute wäre es vielleicht ein Mitbringbuffet mit Kartoffelsalat. Aber das Prinzip ist das gleiche: Wer teilt, hat mehr, weil die Gruppe mehr schafft als die Summe ihrer Teile. Weil sie Ressourcen effizienter nutzt und Risiken auffängt. Und weil Wissen immer mehr wird, wenn man es teilt.

Schon Kleinkinder teilen

Seit Millionen Jahren teilen wir also Arbeit und ihre Früchte, während wir Besitz erst seit ein paar Jahrtausenden anhäufen. Darum verstehen wir Kooperation intuitiver als Großzügigkeit. Kleinkinder wissen, dass man die Räuberleiterbeute teilt, lange bevor sie lernen, ihren privaten Keksvorrat zu verteilen.
Auch Erwachsene lassen sich nach Zusammenarbeit weitaus schwerer verführen, ihre Mitstreiter mit Peanuts abzuspeisen. Hier sind die Regeln der Zusammenarbeit glasklar und stabil.

Umso merkwürdiger, dass wir sie in der Wirtschaft offenbar vergessen haben. Gewinn einfahren und Mindestlohn auszahlen, das ist, als würde man Mammuts jagen und dem Team Wurzelknollen austeilen. Dass diese unfaire Zusammenarbeit nicht kollabiert, liegt daran, dass Besitz heute Machtgefälle mit sich bringt.

Warum ist diese Ungerechtigkeit sozial akzeptiert?

Die Angestellten von Amazon bis Aldi brauchen ihren Gehaltscheck weitaus dringender als ihre Geschäftsführer. Dass solche Ungerechtigkeit allerdings so sozial akzeptiert ist, liegt auch daran, dass wir über das, was dabei rumkommt, selten als „Gemeinschaftsgewinn“ reden, sondern eher als Jeff Bezos‘ Vermögen. Und ihn dann auch noch Selfmade-Man nennen, als hätte niemand daran mitgewirkt. Dass man von seinem eigenen Vermögen ungern die Hälfte abgibt, das kennen wir ja von uns selbst.

Wir vergessen eben oft, wie viel Gewinn erst möglich wird, weil wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Eine ganze Zivilisation, aufgebaut auf dem Teilen von Lebensmittel- und Kinderversorgung, Wissen, Gesundheit und Pflege. Solange wir das alles nur als Kostenfaktor sehen, fällt es leicht denen, die daran mitziehen, nur Peanuts abzugeben. Zeit besser übers Teilen zu reden. Jenseits von Großzügigkeit.

Dr. Franca Parianen, Jahrgang 1989, ist Neurowissenschaftlerin, Autorin und bringt als Science-Slammerin Wissenschaftsthemen auf die Bühnen von Theatern, Kneipen und Kongressen. Ihre Forschung, unter anderem am Max-Planck-Institut, dreht sich um das menschliche Zusammenleben auf der Ebene von Hirn und Hormonen.

Zuletzt erschienen von ihr im Rowohlt-Verlag "Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt" (2020) und "Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage" (2017). In ihrem aktuellen Buch "Teilen und Haben" geht es um Fairness und Verteilungsgerechtigkeit in der Krise.

Die Autorin und Neurowissenschaftlerin Franca Parianen.
© Anke Illing
Mehr zum Thema