Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin, Kolumnistin und Moderatorin in Berlin. Sie studierte Wirtschaftsgeschichte, Germanistik und Volkswirtschaft an den Universitäten Bonn und München und wurde in Bonn mit einer Arbeit über die Wirtschaftspolitik in der Ära Adenauer/Erhard promoviert.
"Angela Merkel ist die bessere Europäerin"
Macron würde am liebsten Tempo machen mit seinen Reform-Ideen für die EU. Angela Merkels Einschätzungen fallen demgegenüber pragmatischer und realistischer aus, sagt Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld: Dies verspreche eine gute Arbeitsteilung.
Der französische Präsident Emmanuel Macron ist zu Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er hat EU-Reformideen im Gepäck und deshalb viel Gesprächsbedarf. Geradezu symbolträchtig ist ein gemeinsamer Besuch der Baustelle des Humboldt Forums in Berlins Mitte, das hinter der rekonstruierten Fassade des alten Berliner Stadtschlosses entsteht: Denn auch Europa ist wie eine Baustelle. Aber haben Macron und Merkel die gleichen Vorstellungen vom "Bauvorhaben Europa", wollen sie das gleiche Bauwerk schaffen?
Ja, meint die Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld im Gespräch bei Deutschlandfunk Kultur. Aber: Merkel sei realistischer. "Sie ist ja auch viel länger im Amt und hat in Europa auch politisch viel mehr gesehen als Emmanuel Macron." Es gebe eine Art Arbeitsteilung: Macron komme mit neuen Ideen, habe mit seiner Partei En Marche große Pläne für sein Land und für Europa "und ein unglaublich dynamisches und nach vorne gerichtetes Weltbild und politisches Programm." Es sei nur folgerichtig, dass er mit Ideen vorpresche.
Angela Merkel nimmt man Dynamik nicht mehr ab
"Der Kanzlerin würde man das nicht mehr abnehmen. Die hat eben jetzt schon fast 13 Jahre hinter sich, auch in der Gestaltung Europas. Hat die großen Krisen Europas auch gesehen. Und deshalb ist es eine gute Arbeitsteilung. Ich glaube aber tatsächlich, dass Angela Merkel die bessere Europäerin ist, weil sie eben nicht nur diejenigen im Blick hat, die mit Europa ganz schnell ganz kosmopolitisch voran wollen, sondern auch die sieht, die auf der Bremse stehen – also Osteuropa und möglicherweise auch große Teile in Deutschland."
Weidenfeld vergleicht Merkels Politik mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Es gebe Schäden, die repariert werden müssten. Aber da kein Geld dafür vorhanden sei, würden die Reparaturen so lange vertagt, bis man sich entschließe, die Schäden notdürftig zu flicken. Das sei "unfassbar pragmatisch". Bezogen auf das Bild von der Baustelle: "Man kommt mit dem Merkelschen Weg nicht zu einem Neubau – nicht zu einem architektonisch interessanten neuen Modell. Und dafür steht ja das Stadtschloss und das Humboldt Forum: Man hat draußen die alte Fassade – und innen drin versucht man was ganz Neues." Und das sei in Europa derzeit wohl der realistischere Weg.
Skeptischer Blick auf Macrons Ideen
Mit Skepsis sieht Ursula Weidenfeld Macrons Vorstoß, die Länder der Euro-Zone mit einem eigenen Budget im dreistelligen Milliardenbereich und die EU mit einem eigenen Finanzminister auszustatten. Noch mehr Gremien und administrative Einheiten zu schaffen, werde eher dazu führen, dass die Euro-Länder und Europa noch weiter auseinander rückten.
Ohnehin sei es heute, anders als noch zu den Zeiten von Helmut Kohl und François Mitterand, nicht mehr möglich, seine Visionen am Wahlvolk vorbei in Reformen umzusetzen. Dafür seien die Anti-EU-Parteien wie Front National und AfD inzwischen zu stark geworden. Die EU als Elite-Projekt – das funktioniere nicht mehr. (mkn)
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