Madeleine Albright wurde 1937 in Prag geboren. Ihre Familie emigrierte 1948 in die USA. Sie war von 1997 bis 2001 Außenministerin der USA. Von 1978 bis 1981 war das Mitglied der Demokratischen Partei Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats und ab 1993 US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Seither ist sie als Universitätsdozentin tätig und leitet eine Consulting-Firma in Washington.
"Ich habe nicht vor, mein Leben schlecht gelaunt zu beenden"
Vor einer neuen faschistischen Gefahr warnt die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright. In ihrem neuen Buch "Faschismus. Eine Warnung" schlägt sie einen historischen Bogen und ruft dazu auf, dass sich mehr Menschen für die Demokratie einsetzen.
Madeleine Albright musste schon als Kind vor totalitären Regimen flüchten. 1939 floh ihre Familie vor der deutschen Wehrmacht von Prag nach London und 1948 noch einmal in die USA, nachdem in der Tschechoslowakei die Kommunisten an die Macht kamen. Heute beobachtet die ehemalige US-Außenministerin vergleichbare Entwicklungen und setzt sich in ihrem neuen Buch "Faschismus. Eine Warnung" mit der Bedrohung der Demokratie auseinander. "Ich denke, Faschismus heute ist eine Art Methode, wie man eine Gesellschaft spaltet", sagte Albright im Deutschlandfunk Kultur. Es gebe einen Stammesfürsten und das Prinzip, wir gegen die Anderen.
Trump als Symptom
Albright betonte, dass sie den US-Präsidenten Donald Trump zu keinem Zeitpunkt als Faschisten bezeichnen wolle. "Er ist keiner, aber er ist der am wenigsten demokratische Präsident, den wir in der amerikanischen Geschichte hatten." Trump erkenne die Bedeutung der freien Presse nicht an und habe mehr dazu beigetragen, um die US-Gesellschaft zu entzweien als das Gemeinsame zu finden. "Seine propagandistische Art, Menschen zu motivieren, erscheint mir nicht sehr amerikanisch." Trump sei ein Symptom für das, was derzeit passiere.
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Sie sprechen in Ihrem Buch eine Warnung aus, Sie sprechen von einer neuen faschistischen Gefahr. Was ist Faschismus für Sie heute?
Madeleine Albright: Ich denke Faschismus heute ist eine Art Methode, wie man eine Gesellschaft spaltet. Dabei gibt es so etwas wie einen Stammesführer und der ist fest davon überzeugt, dass sein Stamm immer recht hat und die anderen – die kleineren - immer unrecht. Es funktioniert nach dem Prinzip: Wir gegen die anderen!
Und ich möchte an dieser Stelle klar machen, dass ich nie, zu keinem Zeitpunkt Donald Trump als einen Faschisten bezeichnet habe. Er ist keiner, aber er ist der am wenigsten demokratische Präsident, den wir in der amerikanischen Geschichte hatten. Er erkennt die Bedeutung der freien Presse nicht an und hat mehr dazu beigetragen, um die amerikanische Gesellschaft zu entzweien als das Gemeinsame zu finden. Und seine propagandistische Art, Menschen zu motivieren, erscheint mir nicht sehr amerikanisch.
Brink: Aber Sie würden schon sagen, dass so jemand wie Donald Trump antidemokratische, faschistoide Tendenzen in Amerika befeuert?
Albright: Ich glaube, Donald Trump ist ein Symptom für das, was gerade passiert. Viele Menschen denken ja, er ist nicht schlau. Aber er ist es. Er versteht es auf schlaue Art sich diese Unzufriedenheit zunutze zu machen. Er ist eine Figur des Reality TV und er weiß, wie man Aufmerksamkeit erringt.
Ich muss Ihnen sagen, ich hätte dieses Buch sowieso geschrieben, egal wer gewählt worden wäre in den Vereinigten Staaten, eben weil ich die sich entwickelnde Spaltung der Gesellschaft beobachte. Eine Spaltung zwischen denen, die eifersüchtig und wütend sind und jenen, die es nicht sind. Und ehrlich, ich wollte das Buch auch historisch anlegen und deshalb habe ich über Mussolini und Hitler geschrieben. Ich fand es interessant, dass beide im Rahmen der Verfassung an die Macht gekommen sind. In Italien war es König Emanuel, in Deutschland Reichspräsident von Hindenburg.
Die Eroberung der Macht
Brink: Wir wissen aus der Geschichte des Dritten Reiches in Deutschland, dass konservative Eliten, vor allem viele Industrielle, dachten, sie könnten so jemanden wie Adolf Hitler benutzen, sie könnten ihn steuern. Ein fataler Irrglaube, dass wird immer wieder vergessen. Warum hat man aus der Geschichte nicht gelernt?
Albright: Deshalb habe ich mich ja dafür entschieden, auf die Geschichte zurück zu blicken. Ich denke, die Menschen sind überrascht, wenn ich beschreibe, wie Hitler an die Macht gekommen ist! Und dass es die gab, die ihm vertraut haben, dass er die Macht auf legalem Wege erlangt hat. Sie dachten, dass sie ihn kontrollieren könnten, und in der Tat sie waren davon überzeugt, dass sie ihn unter Kontrolle behalten, stattdessen begann er, jeden zu kontrollieren!
Brink: Ein weiterer treibender Faktor für das Erstarken von faschistischen Strömungen ist ja eine schwache, oftmals sehr zerstrittene Opposition, die gar nicht in der Lage ist, zu handeln, das war in den 30er Jahren so, Sie sprechen davon in Ihrem Buch. Wie sieht das heute aus?
Albright: Das ist einer der Punkte, die mich beunruhigt haben, dass es zwar eine Opposition gibt gegenüber faschistischen Tendenzen, dass diese Opposition aber oft gespalten ist. Das haben wir in Ungarn gesehen und bei anderen Wahlen, wo die Opposition mit sich selbst beschäftigt war. Das ist auch zu einem Gutteil in Italien passiert. Dem gegenüber stehen eben jene Gruppierungen mit faschistischen Tendenzen, die geschlossen hinter ihrem diktatorischen Führer stehen. Und der bedient sich jeder Form von Propaganda, um Menschen dazu zu bringen, nicht nur ihn zu unterstützen, sondern auch die anderen zu hassen.
Interessant dabei ist, dass immer jemand anderem die Schuld gegeben wird, weil vielleicht die wirtschaftliche Situation nicht so gut ist oder jemand einem den Job weggenommen hat. Das Beste ist, die Opposition dafür verantwortlich zu machen oder wie heutzutage meistens Fremde, die zu uns kommen, Flüchtlinge, Migranten, die nicht mehr in den Ländern leben können, in denen sie geboren worden sind.
Sorge wegen Entwicklung in Deutschland
Brink: Uns interessiert natürlich besonders auch, ob Sie so eine Entwicklung, einen neuen Faschismus auch in Deutschland sehen?
Albright: Nein, das sehe ich momentan nicht, aber ich finde den Aufstieg einer sehr rechten Partei besorgniserregend, zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Und der Eindruck, den ich gewonnen habe, besorgt mich, dass es da so etwas wie Bewunderung in dieser Partei gibt für jene, denen ich faschistische Tendenzen unterstelle, wie Orban. Deshalb spreche ich von "Faschismus – eine Warnung!" und wenn Menschen zu mir sagen, Dein Buch ist alarmierend, sage ich: Ja, das soll es auch sein! Ich denke, wir müssen verstehen, wie Faschismus entsteht.
Brink: Sie schreiben, dass sich Amerika schon einmal von Europa verabschiedet hat, nach dem Ersten Weltkrieg, man sprach damals vom amerikanischen Isolationismus. Was hat Amerika falsch gemacht?
Albright: In bin 1937 in der Tschechoslowakei geboren und mit das Schlimmste, was passiert ist, war das Münchner Abkommen. Die Briten und Franzosen haben ein Abkommen mit den Deutschen und Italienern getroffen, über die Köpfe der Tschechoslowaken hinweg. Und die Vereinigten Staaten waren nicht dabei, weil sie durch diese isolationistische Phase gegangen sind, in der sie dachten: Amerika ist ein großes Land mit Ozeanen auf beiden Seiten und freundlichen Nachbarn, also warum sollte sich Amerika darum kümmern, was in Europa passiert?
Das ist vergleichbar mit heute, wo einige entschieden haben, sich nicht um irgendein anderes Land zu kümmern. Auf ziemlich krude Weise werden heute Slogans benutzt, die aus dem 30er Jahren stammen: America First. Ich finde das sehr gefährlich und ich weiß aus meinen eigenen Leben, wenn Amerika präsent ist – ich war am Ende des Krieges in England, als die Amerikaner kamen – dann passieren gute Sachen und wenn Amerika nicht präsent ist, dann gibt es Probleme und deshalb finde ich den amerikanischen Isolationismus gefährlich.
Stolz auf junge Leute in den USA
Brink: Sie haben ja auch gesagt, Donald Trump ist so etwas, na sagen wir mal, wie der Schatten, der in diesem Buch immer wieder vorkommt. Ist nicht diese Form von Isolationismus, die er ja auch predigt, eine Gefahr für die Welt?
Albright: Erst einmal möchte ich als ehemalige Diplomatin sagen: Ich fühle mich nicht sehr wohl, mein Land zu kritisieren, wenn ich im Ausland bin. Aber ich muss auch die Dinge beim Namen nennen. Ich glaube an ein westliches System der Allianzen, an ein gemeinsames Vorgehen. Es würde mir leid tun, wenn Amerika am Ende international keine Rolle mehr spielen würde.
Brink: Weil Sie von Donald Trump als TV–Größe auch gesprochen haben, da fällt mir das Interview ein, dass er letzthin geführt hat mit Fox News, nach seinem Treffen mit dem nordkoreanischen Diktator, da hat er gesagt, Zitat: "Er spricht und seine Leute sitzen stramm und hören ihm aufmerksam zu". Ich will, dass meine Leute das auch machen. Wie soll man als demokratische Gesellschaft mit so einem Spruch, mit so etwas umgehen?
Albright: Ich war entsetzt, als ich das hörte, wirklich – und als er dann sagte, hey das war sarkastisch gemeint. Deshalb denke ich, dass diejenigen von uns, die etwas zu sagen haben, klar machen müssen: Das ist nicht normal! Auf meiner "To Do Liste" steht: Wir müssen mehr Leute dazu bewegen, sich für Ämter zu bewerben und die, die das nicht können, sollten sie unterstützen ... Ich bin eine dankbare Amerikanerin als ehemaliger Flüchtling und ich möchte deshalb verstehen, was passiert und warum es passiert.
Ich bin auch sehr stolz auf die jungen Leute in den Vereinigten Staaten – ich weiß nicht, ob Sie das verfolgt haben, aber nach der Schießerei in Parkland sind die Kids auf die Straße gegangen, sie haben Demonstrationen organisiert, Townhall Meetings, und ich denke, wir sollten von ihnen lernen und sie unterstützen. Ich bin eine Optimistin. Aber wir müssen verstehen, was passiert und es nicht einfach laufen lassen, wenn ein Präsident meint, seine Leute müssten vor ihm salutieren.
Demokratie ist widerstandsfähig
Brink: Sie waren die erste amerikanische Außenministerin, Ihnen folgten noch zwei, Condoleezza Rice und Hillary Clinton. Wird diese gefährliche Zuspitzung in der Politik, die wir gerade sehen, nicht auch wesentlich, ich sag’s mal salopp, von männlichen Ego-Shootern wie Trump, Orban, Erdogan, Kim Jong-un befeuert?
Albright: Es gibt diesen sexistischen Ansatz, aber ich denke andere Länder haben es auch geschafft, Frauen in Führungspositionen zu bringen, so wie in Deutschland. Dabei fällt mir ein, meine jüngste Enkeltochter – da war sie sieben Jahre alt – meinte: Warum wundern sich alle über Oma Maddie als Außenministerin, nur Mädchen sind Außenminister! Es gibt also eine ganze Generation von jungen Mädchen, die Frauen in wichtigen Positionen sehen. Ich glaube überdies, dass die Welt besser dran ist, wenn Männer und Frauen in der Politik zusammenarbeiten.
Brink: Das, was wir jetzt gerade besprochen haben, stimmt mich zumindest nicht ganz hoffnungsvoll, worin besteht Ihre Hoffnung?
Albright: Ich habe Hoffnung – nebenbei gesagt - ich bin immer hoffnungsvoll, aber ich denke, dass wir über das, was passiert oder nicht passiert, sprechen müssen. Demokratie ist wiederstandfähig, aber auch fragil, und sie braucht die Unterstützung von Menschen, die Bescheid wissen, die Repräsentanten haben wollen, die die Demokratie achten und nicht Gruppen gegeneinander ausspielen. Ich bin 81 Jahre alt und habe nicht vor, mein Leben schlecht gelaunt zu beenden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Madeleine Albright, Faschismus. Eine Warnung, Dumont Verlag 2018, 288 Seiten, 24 Euro