Eine stille Revolution der jungen Väter
Unbemerkt von der Genderdebatte habe eine Revolution unter jungen Männern stattgefunden, beobachtet die Therapeutin Astrid von Friesen. Sie würden Bart tragen und sich auf Kinder freuen, also das Männliche mit dem Weiblichen verbinden – ganz anders als ihre Großväter.
Frauenbewegung seit dem 19. Jahrhundert, gar neuer Feminismus und auch 190 Professuren zur Genderfrage bis hin zur Unzufriedenheit wegen der Ampelmännchen: all das macht viel Lärm! Nicht zu leugnen ist, dass in den meisten Machtzentren Männer vorherrschen. Aber 99 Prozent der Geschlechtsgenossen gelangen ebenfalls dort nicht hinauf!
Lassen sie uns deswegen auf den ganz normalen Mann schauen! Hat eigentlich schon jemand bemerkt, dass es eine nahezu lautlose Revolution gab, nämlich eine kolossale, fantastische Veränderung?
Wir haben vergessen, dass Männer noch bis in die 1960er Jahre zu "Kriegern" erzogen wurden – wie seit Jahrtausenden zuvor! Nicht nur im Faschismus wurden besonders die kleinen Jungen seelisch verkrüppelt und erfuhren von ihren Müttern und Vätern Bindungs-, Empfindungs- und Emotionslosigkeit, um sie jederzeit als willenloses Kanonenfutter an die Front werfen zu können.
Junge Männer, die sich auf Kinder freuen
Und heute? Junge Männer verabschieden sich von diesem Image, setzen sich vielmehr vehement für eine friedliche Welt ein. Sie werden emotional weicher, auch wenn der Bart als Mode zurückkehrt und das Männliche betont.
Typisch erscheint mir, was ich jüngst einen jungen Manager auf einer Hochzeit sagen hörte. Seinem besten Freund gab er öffentlich vor 150 Gästen geradezu eine Liebeserklärung mit auf den Weg: Am liebsten würde er nun gleichzeitig mit ihm schwanger werden, auch wenn sie dazu vorher noch ihre Chefinnen konsultieren müssten.
Und anschließend beim Sektempfang plauderten junge Väter über Geburtsschwierigkeiten, nächtliches Durchschlafen von Babys und andere Selbstverständlichkeiten aus der Elternwelt. Diese so warmherzigen, fröhlichen und kraftvollen Männer wickeln und windeln, obwohl sich ihre Großväter früher weder für Babys interessierten noch sie je anfassten.
Erfahrenen Müttern mag immer schon das eine wie das andere auf die Nerven gegangen sein: wie zum Beispiel betontes Desinteresse am Haushalt. Und man muss keine erklärte Feministin sein, um sich neben den Freuden der Härten bewusst zu werden, die ein Leben mit Familie und Beruf mit sich bringen - für beide Partner.
Eine Generation, die das Männliche wie das Weibliche lebt
Aber man darf sich eben auch freuen, wenn sich etwas, was häufig beklagt wurde, zum Positiven ändert. Anscheinend haben Eltern da vieles richtig gemacht. Also: warum bejubeln wir diese stille, jedoch riesige, evolutionär wichtige Veränderung unter der Hälfte unserer Bevölkerung nicht lauter und heftiger?
Warum bleiben wir ideologisch kleben an dem Faktum, dass manche Menschen partout keinerlei Ambitionen entwickeln können, als Mann einen Frauenberuf oder als Frau einen Männerjob anzunehmen, um Hebammen oder Bergleute, Erzieher oder Kfz-Mechanikerinnen, Sprechstundenhilfen oder Müllarbeiter zu werden?
Vielleicht ist ja die Generation der 30jährigen auf einem guten, historisch erstmaligen Weg, die beiden schon immer vorhandenen Seiten des Menschenseins zu leben, das Männliche und das Weibliche, Ying und Yang, Anima und Animus.
Und das alles ohne Gezicke und Gejammere, in großer Selbstverantwortung, mit viel Hingabe an die Familie und – wie ich finde - mit großem Strahlen und männlicher Kraft.
Astrid von Friesen, Jahrgang 1953, ist Journalistin, Erziehungswissenschaftlerin, sowie Gestalt- und Trauma-Therapeutin in Dresden. Sie unterrichtet an der Universität in Freiberg, macht Lehrerfortbildung und Supervision. Außerdem schreibt sie Bücher, zuletzt: "Ein Erziehungsalphabet: Von A bis Z – 80 pädagogische Begriffe" (2013, auch als ebook).