Die gefühlten Emanzipationsverlierer
Täuscht es oder lassen Männer Verzweiflung und Trauer in der Literatur häufiger freien Lauf als früher? Tatsächlich hätten die Umwälzungen der letzten Jahre dazu beigetragen, dass Männer sich oft als die großen Verlierer der Emanzipation fühlten.
Sind Männer die neuen Heulsusen der Literatur? Provokante Frage, aber offenbar steigt die Zahl der Bücher, in denen die männlichen Helden viel weinen.
Generell seien die heutigen Männer mit dem Problem konfrontiert, dass sie "out" seien, Emanzipationsverlierer und somit keine klar definierte Aufgabe mehr hätten, sagt unser Kritiker Hans von Trotha, der sich eine Reihe von Büchern - Romane und Sachbücher - dazu angeschaut hat.
Tatsächlich müsse man sich nur einmal den Arbeitsmarkt anschauen, dessen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte viele neue Jobs hervorgebracht habe - Stichwort: Dienstleistungssektor - die von Frauen besetzt würden. Können Bücher diese Situation adäquat aufgreifen und abbilden?
"Um das, was sich verändert, zu verstehen, um es überhaupt erstmal als Bild vor die Augen zu bekommen, bedarf es tatsächlich Büchern. Und zwar Bücher von Wissenschaftlern, die das erforschen. (...) Und dann gibt es meistens junge, ehrgeizige, erfolgreiche Autorinnen und Autoren, die das in eine Form packen, die unglaublich populär wird. Und dann reden wir darüber. (...) Und dann bekommt es tatsächlich eine neue Dynamik."
Ob diese Bücher sinnstiftend wirkten, sei dahin gestellt. Zumindest aber würden sie etwas popularisieren, "was über 20 Jahre vorher Bücher gestiftet haben". Große Rollenbilder, wie sie im 19. Jahrhundert im Roman abgebildet worden seien, würden heute jedenfalls eher im Kino verhandelt. Und Helden wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn würden heute in der Schule vermutlich mit Ritalin ruhig gestellt.
Neue Bücher zum Thema
Georg M. Oswald: Alle, die du liebst
Lange Zeit war das Weltbild des wohlhabenden Anwalts Hartmut Wilke ungetrübt. Er war gewohnt zu bekommen, was er wollte. Doch in jüngster Zeit laufen die Dinge nicht mehr so gut für ihn. Nach einem erbitterten Scheidungskrieg und Querelen in seiner Kanzlei beschließt er, mit seiner neuen Freundin Ines auf einer Insel im Indischen Ozean Urlaub zu machen. Dort betreibt sein ältester Sohn Erik, der nie seinen Ansprüchen gerecht werden konnte, eine kleine Strandbar. Wilke möchte sich endlich mit Erik aussöhnen. Aber er hat die Lage der Dinge in jeglicher Hinsicht unterschätzt. Und so wird der Aufenthalt auf Kiani für ihn zu einem tragischen Wendepunkt.
Piper 2017, 208 Seiten, 18 Euro
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Christoph Schulte-Richtering: 32 Tage Juli
Zwei Männer wiederholen eine Reise, die sie vor dreißig Jahren schon einmal gemacht haben, damals, im heißen Abi-Sommer, in dem Jayjay und Tiggy zum ersten Mal allein losfuhren: Es war ein Aufbruch in die ganz, ganz großen Ferien und in das Chaos, das zum Erwachsenwerden dazugehört. An der gleißenden Küste Portugals tappten die beiden von einem Sonnenölnäpfchen ins nächste. Aber sie entdeckten auch die Freiheit und die Liebe samt ihren Gefahren. Nach einer überstürzten Abreise nahmen sie ein dunkles Geheimnis mit: Erst ging es nur um die schöne Luisa, doch dann ließen sie sich auf diese dumme Mutprobe ein ... Jetzt, viele Jahre später, spüren Jonas und Christian die kleinen Krisen, die Männer mit Ende vierzig so befallen. Mit neu erwachtem Abenteuergeist wollen sie sie bekämpfen – und endlich die offenen Fragen beantworten. Die Suche nach Luisa und einem Motorrad im blaugrünen Atlantik entführt die beiden auf eine Zeitreise, zurück in jenen verzauberten Sommer.
Mitreißend und charmant erzählt Schulte-Richtering von Aufbruch und Freundschaft, vom Ende der Unschuld – sowie von der Freiheit und den anderen Dingen des Lebens, die man erst richtig begreift, wenn sie vorüber sind.
Rowohlt Berlin, 22. April 2017, 288 Seiten, 19,95 Euro
Mitreißend und charmant erzählt Schulte-Richtering von Aufbruch und Freundschaft, vom Ende der Unschuld – sowie von der Freiheit und den anderen Dingen des Lebens, die man erst richtig begreift, wenn sie vorüber sind.
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Doris Knecht: Alles über Beziehungen
Viktor ist ein Mann mit durchschnittlichen Problemen: Er wird demnächst fünfzig, er hat hohen Blutdruck, fünf Kinder, zwei Exfrauen und eine Lebensgefährtin, die nicht immer so glücklich wie er selbst damit ist, dass er gerade Festival-Intendant wurde. Und er hat eine heimliche Leidenschaft: noch mehr Frauen. Viktor fühlt sich interessant und wie scharf gestellt durch die Frauen, mit denen er Sex hat: Josi und Helen, Anja, Camille, Lisbeth und noch ein paar andere. Die Frauen wiederum haben ihre eigenen Geschichten und entsprechende Gründe, warum sie sich mit einem wie Viktor einlassen – oder auch nicht mehr. Magda, seine Lebenspartnerin, die endlich geheiratet werden will, ahnt davon nichts, und so schwebt über allem eine große Bedrohung: dass Viktor auffliegt und all seine schönen Rechtfertigungen und feinen Begrifflichkeiten von Treue, Komplizenschaft und Loyalität gleich mit. Denn: Was ist das, Treue? Ist jedes Fremdgehen auch ein Betrug? Und: Existiert etwas Derartiges wie eine perfekte, glückliche, ehrliche Beziehung überhaupt?
Rowohlt Berlin 2017, 288 Seiten, 22,95 €, Euro
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Ralf König: Herbst in der Hose.
Comic-Autor Ralf König kehrt pünktlich im30 Jahr nach der Erstveröffentlichung seines Bestsellers "Der bewegte Mann" (verfilmt mit Til Schweiger) mit einem Werk aus seiner Serie über das Kölner Schwulenpärchen Konrad und Paul zurück. Konrad und Paul sind in den Wechseljahren oder, wie es hier hübsch euphemistisch heißt, in der 'Andropause'. Auch Männer werden eben älter, sogar schwule. Ab seinem 48. Lebensjahr schlägt die Andropause gnadenlos zu, und auch seine Freunde jammern und greinen. Dass die Sehkraft nachlässt und die Haare grau werden, mag noch angehen, aber bei Störungen der Libido hört der Spaß auf! Und so sitzen die gedemütigten Mannsbilder auf rückenfreundlichen Sofapolstern und sprechen sich gegenseitig Trost zu, während der Testosteronpegel allmählich abnimmt.
Rowohlt, Juni 2017, 176 Seiten, 22,95 Euro
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Nick Wahlberg, Das Supergeschlecht!!!
Achtung, es wird ironisch: Männer machen die Welt zu einem lebenswerten Ort. Ohne Männer kein Turbokapitalismus, kein grenzenloses Wachstum, keine Höchstleistungen, keine Innovationen durch Militärtechnologie. Kurz: Ohne Mann keine Kultur. Bücher über Männer gibt es viele. Die handeln dann immer davon, dass Männer ihre Socken rumliegen lassen. Schwiegermuttis Geburtstag vergessen. Vom Einkaufen das falsche Shampoo mitbringen. Lauter Beziehungskrimskrams! Dabei wird immer wieder vergessen, was Männer eigentlich zur vorherrschenden Spezies auf diesem Planeten gemacht hat: ihr Durchsetzungswille! Solche und andere Behauptungen untersucht Nick Wahlberg auf unterhaltsame Weise.
Klett-Cotta, 2017, 158 Seiten, 9,95 Euro.
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Robert Kisch: Vaterkind
Ein Tatsachenroman über das neue Rollenverständnis alleinerziehender Väter von Robert Kisch, Autor des Romans "Möbelhaus". Er ist das Scheitern gewöhnt: Erst hat er seinen Job als Journalist verloren, trotz diverser Preise und Auszeichnungen. Dann seine Anstellung im Möbelhaus, und dazu noch seine Frau. Seinen Sohn aber, den will er nicht verlieren, auf keinen Fall! Wie das gehen soll, wenn Mann das eigenen Kind nur alle 14 Tage sehen darf und um jedes bisschen Teilhabe am kindlichen Leben kämpfen muss, weil bei Arzt, Kindergärtnerin und Co. ohnehin die Mutter als natürlicher Ansprechpartner gilt, darüber schreibt Kisch mit entlarvendem Blick auf eine Gesellschaft, die den Kindern fast unbedarft eine Hälfte des Glücks verwehrt: ihre Väter.
Droemer, 2017, 288 Seiten, 14,99 Euro
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