Männer verhexende Abenteurerin
Salman Rushdies Titelheldin ist nicht nur charmant. Als indische Prinzessin und erotische Trophäe mit Abgründen ist sie eine Männerfantasie. In der historischen Romanze handelt Rushdie ein weiteres Mal sein Lebensthema ab. Er entwirft ein Ideal der friedlichen und sich befruchtenden kulturellen Mischungen zwischen Orient und Okzident.
Der deutsche Titel verkleinert und verfälscht das Thema und den Anspruch von Salman Rushdies neuem Roman: "The Enchantress of Florence" handelt keineswegs von einer charmanten Florentinerin; vielmehr ist Rushdies Titelheldin eine in allerlei Zauberkünsten bewanderte, Männer verhexende, über alle Maßen schöne indische Prinzessin, eine Nachfahrin von Dschingis Khan und Vorfahrin des großen Mogul-Herrschers Akbar. Sie tritt erst unter dem Namen Qara Köz (Prinzessin Schwarzauge) auf; im Westen nennt sie sich dann Angelica, und sie ist eine Abenteurerin – weniger aus eigenem Antrieb, sondern indem sie sich jeweils dem erfolgreichsten Kriegsherrn verbindet, der sie zu erobern weiß.
Ihre Karriere als erotische Ikone und Trophäe führt sie von Indien über Persien und das Osmanische Reich eben auch ins Florenz der Renaissance. Dorthin ist sie einem florentinischen Glücksritter gefolgt. Und dort schlägt sie zeitweilig die ganze Stadt in ihren Zauberbann. Ihre Spur verliert sich schließlich in Amerika, der Neuen Welt.
Unschwer zu erkennen: Diese Heldin ist eine Fleisch gewordene Männerphantasie, wie man sie aus Rushdies Romanen gewöhnt ist. Rushdies neues Buch ist weniger ein historischer Roman als vielmehr eine historische Romanze, halbwegs zwischen Ariost und Bollywood, aufgeplustert mit bombastischer Rhetorik, beladen mit bizarren Ab- und Ausschweifungen und überdekoriert mit allerhand fabelhaftem, auch kitschigem Schnickschnack – eine Romanze, die Rushdies Lebensthema ein weiteres Mal aufgreift und abwandelt: sein hybrides Ideal der friedlichen und wechselseitig befruchtenden kulturellen Mischungen zwischen Orient und Okzident.
Diesmal versetzt Rushdie sein Thema ins 16. Jahrhundert und lässt das Florenz der Medici und das Indien der Großmoguln aufeinandertreffen, und zwar leibhaftig. Ein blonder junger Florentiner verschafft sich Zugang zum Hof des Großmoguls Akbar in dessen neuer Residenz-Stadt Fatehpur Sikri, mit der Behauptung, er sei der Sohn der verschollenen Prinzessin Schwarzauge – und daher mit dem Herrscher verwandt, nämlich dessen leibhaftiger Onkel.
Der junge Mann ist ein Gaukler, Zauberkünstler, Betrüger, Scharlatan, Märchenerzähler, kurz: ein Künstler, Fabulierer und Phantast, ein Genie der Sprache und der Erfindung (auch der Selbst-Erfindung); und es gelingt ihm sofort, Kaiser Akbar mit seinen abenteuerlichen Geschichten über Prinzessin Schwarzauge zu bezaubern und für sich einzunehmen – eine männliche Scheherazade.
Akbar seinerseits ist ein teils grausamer, teils menschenfreundlicher Despot, ein Philosoph auf dem Thron, ein Grübler und Skeptiker, der davon träumt, sein Reich harmonisch zu regieren, im friedlichen Nebeneinander aller Religionen und Ethnien. So ist Akbar, der Träumer, bestens disponiert, auch den fabelhaften Geschichten des Florentiners über seine Mogul-Großtante, die verschollene Prinzessin, zeitweise Glauben zu schenken (letztlich aber vielleicht doch nicht).
Salman Rushdie will wieder einmal der menschlichen Imagination, der Phantasie zu ihrem Recht verhelfen gegen die platte Wirklichkeit – mit seinen erprobten Erzählmitteln des magischen Realismus. Nicht ohne narzisstische Eitelkeit werden diese phantastischen Erzählmittel abermals vorgeführt und ostentativ ausgestellt, in Breitwand und Technicolor, wobei sich der Autor selbst zu seinem Einfallsreichtum und seinem Genius der Silberzunge, der Verzauberung durch Sprache, unentwegt beglückwünscht.
Florenz und Fatehpur Sikri sind als wechselseitige Spiegelungen arrangiert: Sie sollen nicht zeigen, wie fremd, sondern vielmehr veranschaulichen, wie ähnlich die beiden Kulturen einander sind. In beiden Städten herrschen künstlerischer und intellektueller, aber auch politischer Hochbetrieb und sinnliche Hochstimmung; in beiden Städten wird eine hoch gezüchtete Kurtisanen-Kultur gepflegt.
Zur Beglaubigung seiner höchst unwahrscheinlichen Plot-Einfälle bittet Rushdie historische Gestalten in sein Roman-Imaginarium herein: Niccoló Machiavelli und Amerigo Vespucci sowie den einen oder anderen Medici-Herrscher, einschließlich des Medici-Papstes Leo X. Der Märchenhaftigkeit der ganzen Erzähl-Anlage tut dies naturgemäß einigen Abbruch: historischer Roman und historische Romanze lassen sich eben nur schwer amalgamieren.
Rezensiert von Sigrid Löffler
Salman Rushdie: Die bezaubernde Florentinerin
Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Rowohlt Verlag, Reinbek 2009
448 Seiten, € 19,90
Ihre Karriere als erotische Ikone und Trophäe führt sie von Indien über Persien und das Osmanische Reich eben auch ins Florenz der Renaissance. Dorthin ist sie einem florentinischen Glücksritter gefolgt. Und dort schlägt sie zeitweilig die ganze Stadt in ihren Zauberbann. Ihre Spur verliert sich schließlich in Amerika, der Neuen Welt.
Unschwer zu erkennen: Diese Heldin ist eine Fleisch gewordene Männerphantasie, wie man sie aus Rushdies Romanen gewöhnt ist. Rushdies neues Buch ist weniger ein historischer Roman als vielmehr eine historische Romanze, halbwegs zwischen Ariost und Bollywood, aufgeplustert mit bombastischer Rhetorik, beladen mit bizarren Ab- und Ausschweifungen und überdekoriert mit allerhand fabelhaftem, auch kitschigem Schnickschnack – eine Romanze, die Rushdies Lebensthema ein weiteres Mal aufgreift und abwandelt: sein hybrides Ideal der friedlichen und wechselseitig befruchtenden kulturellen Mischungen zwischen Orient und Okzident.
Diesmal versetzt Rushdie sein Thema ins 16. Jahrhundert und lässt das Florenz der Medici und das Indien der Großmoguln aufeinandertreffen, und zwar leibhaftig. Ein blonder junger Florentiner verschafft sich Zugang zum Hof des Großmoguls Akbar in dessen neuer Residenz-Stadt Fatehpur Sikri, mit der Behauptung, er sei der Sohn der verschollenen Prinzessin Schwarzauge – und daher mit dem Herrscher verwandt, nämlich dessen leibhaftiger Onkel.
Der junge Mann ist ein Gaukler, Zauberkünstler, Betrüger, Scharlatan, Märchenerzähler, kurz: ein Künstler, Fabulierer und Phantast, ein Genie der Sprache und der Erfindung (auch der Selbst-Erfindung); und es gelingt ihm sofort, Kaiser Akbar mit seinen abenteuerlichen Geschichten über Prinzessin Schwarzauge zu bezaubern und für sich einzunehmen – eine männliche Scheherazade.
Akbar seinerseits ist ein teils grausamer, teils menschenfreundlicher Despot, ein Philosoph auf dem Thron, ein Grübler und Skeptiker, der davon träumt, sein Reich harmonisch zu regieren, im friedlichen Nebeneinander aller Religionen und Ethnien. So ist Akbar, der Träumer, bestens disponiert, auch den fabelhaften Geschichten des Florentiners über seine Mogul-Großtante, die verschollene Prinzessin, zeitweise Glauben zu schenken (letztlich aber vielleicht doch nicht).
Salman Rushdie will wieder einmal der menschlichen Imagination, der Phantasie zu ihrem Recht verhelfen gegen die platte Wirklichkeit – mit seinen erprobten Erzählmitteln des magischen Realismus. Nicht ohne narzisstische Eitelkeit werden diese phantastischen Erzählmittel abermals vorgeführt und ostentativ ausgestellt, in Breitwand und Technicolor, wobei sich der Autor selbst zu seinem Einfallsreichtum und seinem Genius der Silberzunge, der Verzauberung durch Sprache, unentwegt beglückwünscht.
Florenz und Fatehpur Sikri sind als wechselseitige Spiegelungen arrangiert: Sie sollen nicht zeigen, wie fremd, sondern vielmehr veranschaulichen, wie ähnlich die beiden Kulturen einander sind. In beiden Städten herrschen künstlerischer und intellektueller, aber auch politischer Hochbetrieb und sinnliche Hochstimmung; in beiden Städten wird eine hoch gezüchtete Kurtisanen-Kultur gepflegt.
Zur Beglaubigung seiner höchst unwahrscheinlichen Plot-Einfälle bittet Rushdie historische Gestalten in sein Roman-Imaginarium herein: Niccoló Machiavelli und Amerigo Vespucci sowie den einen oder anderen Medici-Herrscher, einschließlich des Medici-Papstes Leo X. Der Märchenhaftigkeit der ganzen Erzähl-Anlage tut dies naturgemäß einigen Abbruch: historischer Roman und historische Romanze lassen sich eben nur schwer amalgamieren.
Rezensiert von Sigrid Löffler
Salman Rushdie: Die bezaubernde Florentinerin
Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Rowohlt Verlag, Reinbek 2009
448 Seiten, € 19,90