"Pseudomilitärische Verhältnisse"
Mit einem Coming-out bedroht ein schwuler Fußballer das "Kommando-Gehorsam-Verhaltenssystem" auf dem Fußballplatz, sagt der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit. Die Macht der Schiedsrichter, Trainer und Präsidenten müsste beschnitten werden.
Joachim Scholl: Der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit hat mit seinem zweibändigen Werk "Männerphantasien" einst Kulturgeschichte geschrieben, einer Arbeit, die uns viel gelehrt hat über Männer, wie sie im Rudel ticken. Dass Klaus Theweleit aber auch weiß, wie es in einer entsprechenden Fankurve eines Fußballstadions zugeht, hat er zudem mit einem Buch über Fußball unter Beweis gestellt, das 2004 erschienen ist. Und in seiner Jugend hat Klaus Theweleit selber begeistert gekickt! Guten Morgen, Herr Theweleit!
Klaus Theweleit: Schönen guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: Mit welchen Empfindungen haben Sie in den letzten Tagen diese Debatte um Thomas Hitzlsperger verfolgt, Herr Theweleit? Es war ja auffällig, dass alle Stimmen aus Profifußballkreisen sein Coming-out als Homosexueller brav begrüßten, sich aber streng hüteten, das zum Vorbild für aktive homosexuelle Spieler zu erheben. Hat Sie das gewundert?
Theweleit: Das hat mich nicht gewundert, weil, diese Debatte ist ja auch nicht ganz neu, das läuft ja seit einigen Jahren, von dem Selbstmord des englischen schwarzen Spielers abgesehen, der sich geoutet hat, war das ein untergründiges Thema immer: Darf einer, kann einer sich das leisten und kommt einer schon in den Verdacht, diese Männerbastion Fußball zu gefährden, wie meinetwegen Andi Möller, der als Weichei galt und entsprechend in Stadien verhöhnt wurde, ohne schwul zu sein oder sich etwa geoutet zu haben.
Aber das reichte schon, etwas weinerlich dort aufzutreten – angeblich –, dass ein gewisser Hass von der Tribüne her sich auf diese Verhaltensweisen richtete. Insofern: Keine Überraschung, auch "Bild“-Zeitung und die anderen, die ich gesehen habe am Kiosk hängen, machen alle auf mit dem Wort Respekt vor der Entscheidung Hitzlspergers, aber eben immer: Er ist nicht mehr aktiv, die Aktiven, heißt es weiter, sollen bitte doch die Finger davon lassen!
Scholl: Dass das Fußballstadion die letzte Bastion des beinharten Machotums ist, wo Rassismus und Homophobie ja noch straflos bleiben, das ist oft festgestellt worden. Welche männlich-atavistischen Mechanismen wirken hier eigentlich so schön ungehemmt?
Theweleit: Beim Rassismus bin ich mir nicht einmal so ganz sicher, da hat es, glaube ich, tatsächlich eine Art Wandel gegeben oder es gibt einen in vielen Stadien. Viele Vereine machen ja auch jetzt nicht nur heuchlerisch gegen Rassismus auf und die Spieler äußern sich entsprechend – auch Nationalspieler wie Lahm und die Boateng-Initiative wird vom DFB unterstützt –, da, glaube ich, tut sich tatsächlich etwas. Und das Stadion wird aufhören, da die letzte Bastion zu sein.
Scholl: Das könnte ja Mut machen für das andere Thema. Aber das ist, glaube ich, noch eine andere Geschichte.
Männerfußball wird als gesellschaftliche Verhaltensweisen verhandelt
Theweleit: Das glaube ich auch. Denn ich habe mich gefragt die letzten Tage, warum seit Martina Lavratilova ist das seit Frauen erlaubt, warum kann Steffi Jones eine Frau heiraten und es gibt kein großes Theater? Weibliche Nationalspielerinnen dürfen lesbisch sein. Und wo ist der Unterschied? Und ich komme darauf, dass das meinetwegen Frauentennis oder Frauenfußball doch Nischensportarten sind, während der Männerfußball zentral ist. Im Männerfußball werden immer als zentrale Sportart auch gesellschaftliche Verhaltensweisen verhandelt. Und ich komme, wenn ich mir das näher ansehe, darauf, dass das größte Hindernis gegen das Outen nicht im Verband liegt, nicht so sehr im Verband, inzwischen auch nicht mehr in der Presse, in den Medien, sondern ich glaube, in den Mannschaften selber auftreten, im Verhalten der Fußballer selber.
Denn was passiert auf dem Feld, was wird da verhandelt: Von dem Punkt aus gesehen ist die zentrale Figur im Fußball tatsächlich der Schiedsrichter mit seiner monarchischen Allmacht auf dem Platz. Es geht dort ganz klar um Gehorsam. Selbst der größte Star darf dem nicht den Vogel zeigen, muss sich unterordnen, sonst fliegt er. Und die zweite Figur, die entsprechend auftritt, ist der Trainer. Wenn die Spieler sich nicht an die Vorgaben halten, sitzt der größte Star nach einer Weile auf der Bank. Wenn er Deckungsaufgaben nicht übernimmt und Ähnliches. Es gibt da ganz klare Kommando- und Gehorsamstrukturen.
Und innerhalb der Mannschaften, wenn ich sie mir jetzt nicht nur unter der Dusche vorstelle, sondern am Biertisch hinterher – das Bier ist ja nicht verboten bei Profis –, wenn es dort heißt, dieses schwule Weichei da in der Deckung hat uns wieder drei Punkte gekostet, gemeint ist der eigene Mannschaftskamerad, dann wird sich – und das bestätigen auch Fußballer, die sich, ohne sich namentlich zu outen, über die Mannschaften äußern –, dass sie davor am meisten Angst haben, vor den Konkurrenten. Denn es sind nicht elf Freunde auf dem Platz meistens, sondern 22 Konkurrenten in der Mannschaft, die um die Stammplätze kämpfen. Und da hätte der Schwule einen ungeheuren Nachteil, weil er dieses Kommando-Gehorsames-Verhaltenssystem bedroht. Da liegt, glaube ich, der Kern der Geschichte.
Scholl: Das heißt also, der Männerbund, um den es eigentlich geht, ist die Mannschaft. Wir haben uns überlegt, was ist denn jetzt mit dem Männerbund in der Fankurve? Denn das ist ja auch so auffallend, dass, wenn man in einem Stadion ist, wenn man einen Einzelnen fragen würde, dann ist das vielleicht ein ganz lieber, vernünftiger Mensch, in dem Moment, wo 20 Jungs zusammen stehen mit einem Bier, geht es los. Und wenn dann der gegnerische Spieler irgendwie foult oder so, dann gehen eben diese Sprüche, diese Rufe, praktisch diese Aggression dann da los. Wir haben uns irgendwie gesagt, das wirkt so ein bisschen, wenn man die Perspektive umdreht, wie im alten Rom! Römisches Reich, war hoch zivilisiert, trotzdem gab es die Arenen, wo diese Aggression ja auch gewollt war als Ventil. Könnte man sagen, dass das moderne Fußballstadion hier das Äquivalent dazu ist?
Theweleit: Nein, das glaube ich nicht. Erstens halte ich die alte römische Gesellschaft für nicht sehr hoch zivilisiert, sondern auch intern, nicht nur nach außen, für höchst brutal und von allem, was wir heute an demokratischen Verhaltensweisen uns wünschen, Wüsten weit entfernt. Es geht schon um demokratisches Verhalten hier, glaube ich. Und die Fans in den Stadien, die 300, die entsprechend gegen einen Spieler vorgehen würden, sei es der eigenen, sei es der anderen Mannschaft, wenn das Stadion voll ist und die anderen 60.000 dagegen ihre Stimme erheben, dann haben die auf längere Zeit keine Chance. Und die bedrohen auch den Spieler nicht tatsächlich.
Scholl: Aber gehört, Herr Theweleit, das Ressentiment, die Aggression, die Schmähung des Gegners im Fußballstadion nicht dazu wie die Bockwurst und das Bier, oder darf man so nicht denken?
Die Fans denken, das steht ihnen zu
Theweleit: Die gehört dazu, die gehört dazu. Aber die ist nicht so ernst zu nehmen. Und das wissen die Spieler auch. An den meisten prallt es ab, sie wissen, im anderen Stadion werden sie beschimpft, der Heimverein soll gewinnen, das Publikum, die Fans denken, das steht ihnen zu, sie haben den Anspruch. Das sind tatsächlich Verhaltensweisen, die sich nicht direkt umsetzen ins Verhalten außerhalb des Stadions, würde ich nicht so sehen, das sind tatsächlich andere Leute dann.
Und wenn sie untereinander reden, auch wenn man Fans nach dem Spiel in der Straßenbahn, verschiedene Vereine, die zum Bahnhof fahren, sieht, geht das in den meisten Fällen friedlich zu und sie gehen sich nicht ans Leder. Das ist ein kleiner Prozentsatz, der sowieso Krieg, Streit und Macht, Auseinandersetzung, Kampf sucht, die gibt es bis zu einem bestimmten Prozentsatz in der Gesellschaft, die kriegt man auch nicht weg oder kontrolliert, die muss man in einer bestimmten Weise beobachten, sie im Zaum halten, dass sie nicht nach dem Spiel zu brutal vorgehen. Aber finde ich kein so großes Problem.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Kulturtheoretiker Klaus Theweleit. Wir sind hier, ja, am Männerbund im Fußballstadion. Dann gehen wir noch mal zurück, Herr Theweleit, zu der Mannschaft.
Theweleit: Genau.
Scholl: Also, wenn das Männerbündische hier so funktioniert, so autoritär, fast schon militärisch, Sie haben damals in Ihrem Buch so dieses Prinzip vom Körperpanzer entwickelt. Das passt, glaube ich, hier auch ganz gut. Was heißt das dann aber auch jetzt für die Zukunft? Dann ist ja sozusagen ein mögliches Coming-out eines Spielers ja von intern schon eigentlich unmöglich, oder?
Theweleit: Es müsste sich tatsächlich sehr viel ändern. Wenn man sich fragt, warum ist es Politikern erlaubt wie Wowereit oder Westerwelle, kann man sagen, okay, die haben eine Art Ausgleich, eine Moderatorenfunktion als Bürgermeister oder Minister in der Gesellschaft, die müssen Meinungen ausgleichen, damit umgehen. Der Fußballspieler ist tatsächlich in dem Sinne nicht meinungsberechtigt. Es gibt nach wie vor Vereinspräsidenten, Trainer, die den Spielern Interviews verbieten, mit denen sie gerade in der Auseinandersetzung liegen oder die ein bisschen wackeln, was das Konzept angeht, andere Ideen haben, die kriegen einen Maulkorb.
Es sind tatsächlich pseudomilitärische Verhältnisse in diesem inneren Männerbund Mannschaft da. Und die anzugehen, das würde heißen, man müsste die Rechte der Spieler erheblich stärken, die der Trainer und Präsidenten beschneiden, die sind weit davon entfernt, das auch nur anzudenken. Man müsste auch die absolute Macht des Schiedsrichters auf dem Platz, der die Weltstars herumkommandieren kann wie Schulbuben, absolut beschneiden. Der Schiedsrichter in seiner Machtfülle ist für mich ein Anachronismus und das Undemokratischste, was wir überhaupt in der Gesellschaft haben.
Scholl: Aber Herr Theweleit, vorhin sagten Sie, mit dem Rassismus hätte es auch geklappt, dass man ihn sozusagen verbannt. Mit den Respect-Kampagnen, dass sich die Spieler sozusagen hier auch formieren zu einer Einheit gegen den Rassismus. Aber das, Herr Theweleit, ist ja auch sozusagen verbandsmäßig, hierarchisch verordnet worden. Ich meine, jeder sagt natürlich von sich aus, natürlich wollen wir das so haben, aber wenn man im Bild bleibt oder nach Ihrer These zufolge, könnte man das doch dann eigentlich auch einfach verordnen, sagen, schwul sein geht, Männer, alles klar!
Der Klopper-Typ ist auf dem Rückzug
Theweleit: Das kann man nicht einfach verordnen. Denn ich glaube, wenn Sie den Körperpanzer ansprechen, viele der Fußballer, obwohl der Klopper-Typ ja auf dem Rückzug ist, sind ja gedrillt, körperlich gedrillt auf diese Funktion. Es ist eine hoch anspruchsvolle körperliche Superarbeit, die sie da verrichten müssen auf dem Platz, dass sie ohne diese Fantasie des harten, männlichen Durchsetzungskörpers noch nicht auskommen. Dazu ist viel mehr nötig als – es gibt ja sehr viele afrikanische Spieler –, als den Antirassismus durchzusetzen, einfach weil man so viel in der Mannschaft zusammen ist und das oft die Stars sind, auch die Fans das akzeptieren, angefangen von dem, schon Jahrzehnte her, Fanclub Zeugen Yeboahs, Fanclub in Frankfurt bei der Eintracht, das war der erste Schwarze in Deutschland, der in der Weise geehrt wurde.
Das ist, glaube ich, bei den meisten Fans durch, einfach weil das gute Fußballer sind und weil das den Rest der Fußballregeln nicht ankratzt. Aber Homosexualität würde viel mehr ändern, da ist dann … Wenn die Spieler Angst haben, wie homosexuelle Spieler sagen, zu hören dann von denen, hast du uns unter der Dusche immer angeglotzt, das heißt, sie würden in eine unterlegene Position finden. Sie sagen damit, wir werden von einem schwulen Spieler so angeguckt, wie wir sonst Frauen angucken, nämlich als Sexobjekte. Wir sind die Gefickten. Und das wollen sie nicht haben, das können sie nicht aushalten. Dazu muss sich sehr viel mehr ändern als eine ideologische Haltung wie Antirassismus.
Scholl: Männer im Stadion. Das war Klaus Theweleit, der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker, Autor der „Männerphantasien“. Besten Dank, Herr Theweleit, für das Gespräch!
Theweleit: Okay, danke auch, schönen Tag!
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