Männerfreundschaften
Der Rechtsanwalt Joav Alimi nimmt in einem Tel Aviver Polizeirevier die letzten Habseligkeiten seines im Auto verunglückten Freundes Yuval in Empfang. In einer Plastiktüte entdeckt er ein Romanmanuskript und einen Begleitbrief, in dem Yuval Joav dazu bestimmt, das unfertige Buch zu lektorieren.
Eine delikate Aufgabe, denn Joav hat dem melancholischen Yuval die Lebenspartnerin ausgespannt. Das Lektorat wird zu einer schonungslosen Selbstbegegnung.
Eshkol Nevo hat einen psychologisch fein gesponnenen Roman über Männerfreundschaften geschrieben; Joav und Yuval, beide Ende 20, sind die Fixsterne eines Quartetts Gleichaltriger. Sie kennen sich seit der Schulzeit, teilen aber außer den Erinnerungen an "unschuldige Tage" nicht mehr viel. Ofir hat seine leitende Position in der Werbebranche gekündigt und in Indien seine Spiritualität entdeckt, während Amichai, der einzige Verheiratete, Männern, die "gesund wie Stiere" sind, Verträge über telefonische EKG-Analysen aufschwatzt – obwohl er viel lieber eine eigene Naturheilpraxis hätte. So sehr die Lebenswege der vier auch auseinanderstreben, an einer Verabredung halten sie fest: Gemeinsam verfolgen sie seit 14 Jahren die Fußballweltmeisterschaften im Fernsehen.
Nach einem Match drängt Joav die Freunde, drei Lebenswünsche zu notieren und diese erst beim nächsten Finale in vier Jahren preiszugeben. Mit diesem Einfall legt Eshkol Nevo den Finger auf eine Wunde, denn die Israelis, meint er, seien hilflos, wenn es darum geht, sich eine erfüllte Zukunft auszumalen, und trauten ihren eigenen Wünschen nicht über den Weg. Nevo zeigt, wie dieses Grundgefühl sowohl dem Egoismus Vorschub leisten kann als auch einer philanthropischen New-Age-Seligkeit. Er hat einen anrührenden, ganz unpathetischen Lobgesang auf das Wesen der Zeugenschaft, ohne die kein Mensch leben kann, geschrieben.
Nur einmal rückt er die israelische Wirklichkeit explizit in den Fokus, doch dieses eine Mal reicht, um das ganze Dilemma der andauernden Besatzung zu umreißen. Während der Fußballweltmeisterschaft 1990 musste Yuval mit anderen Soldaten ein Hausdach in Nablus zur besseren Beobachtung der Gegend besetzen. Als das Spiel England gegen Kamerun begann, ließ der Kommandant der Einheit das Haus räumen, um die Fernsehübertragung ungestört mit seinen Soldaten verfolgen zu können.
Dass die Truppe auch noch sämtliche Essensvorräte der kurzzeitig ausgeschlossenen Familie verzehrte, erfüllt den Erzähler Yuval nachhaltig mit Scham. Umso mehr, als er die Erinnerung an diesen schändlichen Vorfall in sich einkapselte. Schreibend tritt Yuval nun aus seiner Einsamkeit heraus. Er hat deutlicher und früher als seine alten Freunde entdeckt, dass die Erinnerung ein kostbarer "Klebstoff" ist, die jeden Einzelnen mit seinem früheren Ich verbindet.
Der hebräische Titel "Mishala echat yamina" – Ein Wunsch weiter nach rechts – bezieht sich auf Yuvals Entdeckung einer verborgenen Symmetrie. Ein jeder der vier Freunde realisiert einen geheim gehaltenen Wunsch des Nebenmannes.
Seine Figuren begreifen, dass sie gut daran tun, jene Jahre nicht zu verraten, in denen sie als junge Erwachsene naiv und ehrlich glaubten, sie verfügten tatsächlich noch über "das ganze Leben".
Besprochen von Sigrid Brinkmann
Eshkol Nevo: Wir haben noch das ganze Leben
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009
440 Seiten, 15,40 Euro
Eshkol Nevo hat einen psychologisch fein gesponnenen Roman über Männerfreundschaften geschrieben; Joav und Yuval, beide Ende 20, sind die Fixsterne eines Quartetts Gleichaltriger. Sie kennen sich seit der Schulzeit, teilen aber außer den Erinnerungen an "unschuldige Tage" nicht mehr viel. Ofir hat seine leitende Position in der Werbebranche gekündigt und in Indien seine Spiritualität entdeckt, während Amichai, der einzige Verheiratete, Männern, die "gesund wie Stiere" sind, Verträge über telefonische EKG-Analysen aufschwatzt – obwohl er viel lieber eine eigene Naturheilpraxis hätte. So sehr die Lebenswege der vier auch auseinanderstreben, an einer Verabredung halten sie fest: Gemeinsam verfolgen sie seit 14 Jahren die Fußballweltmeisterschaften im Fernsehen.
Nach einem Match drängt Joav die Freunde, drei Lebenswünsche zu notieren und diese erst beim nächsten Finale in vier Jahren preiszugeben. Mit diesem Einfall legt Eshkol Nevo den Finger auf eine Wunde, denn die Israelis, meint er, seien hilflos, wenn es darum geht, sich eine erfüllte Zukunft auszumalen, und trauten ihren eigenen Wünschen nicht über den Weg. Nevo zeigt, wie dieses Grundgefühl sowohl dem Egoismus Vorschub leisten kann als auch einer philanthropischen New-Age-Seligkeit. Er hat einen anrührenden, ganz unpathetischen Lobgesang auf das Wesen der Zeugenschaft, ohne die kein Mensch leben kann, geschrieben.
Nur einmal rückt er die israelische Wirklichkeit explizit in den Fokus, doch dieses eine Mal reicht, um das ganze Dilemma der andauernden Besatzung zu umreißen. Während der Fußballweltmeisterschaft 1990 musste Yuval mit anderen Soldaten ein Hausdach in Nablus zur besseren Beobachtung der Gegend besetzen. Als das Spiel England gegen Kamerun begann, ließ der Kommandant der Einheit das Haus räumen, um die Fernsehübertragung ungestört mit seinen Soldaten verfolgen zu können.
Dass die Truppe auch noch sämtliche Essensvorräte der kurzzeitig ausgeschlossenen Familie verzehrte, erfüllt den Erzähler Yuval nachhaltig mit Scham. Umso mehr, als er die Erinnerung an diesen schändlichen Vorfall in sich einkapselte. Schreibend tritt Yuval nun aus seiner Einsamkeit heraus. Er hat deutlicher und früher als seine alten Freunde entdeckt, dass die Erinnerung ein kostbarer "Klebstoff" ist, die jeden Einzelnen mit seinem früheren Ich verbindet.
Der hebräische Titel "Mishala echat yamina" – Ein Wunsch weiter nach rechts – bezieht sich auf Yuvals Entdeckung einer verborgenen Symmetrie. Ein jeder der vier Freunde realisiert einen geheim gehaltenen Wunsch des Nebenmannes.
Seine Figuren begreifen, dass sie gut daran tun, jene Jahre nicht zu verraten, in denen sie als junge Erwachsene naiv und ehrlich glaubten, sie verfügten tatsächlich noch über "das ganze Leben".
Besprochen von Sigrid Brinkmann
Eshkol Nevo: Wir haben noch das ganze Leben
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009
440 Seiten, 15,40 Euro