Der Bacchus von Kesten stürmt die Frauenbastion
Im 350-Einwohner-Ort Kesten an der Mosel gab es keine junge Frau, die Weinkönigin werden wollte. Die neue Hoheit ist ein Mann: Sven Finke will mit Toga, Bauch und Köpfchen die Klischees über Weinköniginnen aushebeln.
"Hier haben wir jetzt einen 2015er Bacchus aus Kesten. Geringe Säure, diese leichte Muskatnote – die gefällt mir einfach."
Der Neue trinkt gern süß – und ob man ihn "Bacchus" oder "Weinkönigin" nennt, nimmt der 25-Jährige nicht so genau. Fest steht: es zu sein,
"ist ein gutes Gefühl. Wir haben dann die Figur des Bacchus kreiert und haben gesagt, ‚gut, wir haben römische Wurzeln, Kesten kommt von Castanidum, dem Kastanienhain‘. Es kommen aber auch viele Leute aus dem Ausland oder auch aus einer Nicht-Weinregion, die dann fragen, ‘Bacchus, wat is jetzt‘n Bacchus, und da sag‘ ich: Ja, stell dir vor – 'ne männliche Weinkönigin."
Der Jura-Student hatte schon die Internetseite für Kesten gebaut und sich gemeinsam mit seinem Lebensgefährten ehrenamtlich für den DSL-Ausbau im Dorf eingesetzt.
Der Paragrafenreiter kann auch Bacchus
Mit Erfolg: Kesten bekam Glasfaserkabel und schnelles Internet. Im Gemeinderat stimmten alle für den neuen Weingott. Kann der Nerd und Paragrafenreiter auch den Bacchus?
"Ich hab viele Facetten, ich bin ja auch der Achterbahnfahrer. Ich liebe Achterbahn – wir fahren nicht in den Urlaub, wir fahren in Freizeitparks. Ich vereine alles in mir. Der Achterbahn fahrende Bacchus, der vorm Mac sitzt und Paragrafen liest."
Kesten erwartet einiges von Finke, weiß Winzer und Bürgermeister Michael Beer:
"Dass er auf den Hoffesten hier im Dorf präsent ist, aber das war er vorher auch schon, das wird ihm nicht so schwer fallen. Und natürlich auch unseren Wein nach außen hin zu vertreten, und dann eben auch bei den Weinfesten der Nachbardörfer, wo dann immer die Weinköniginnen eingeladen werden – da wird er auch dabei sein."
Sein neuer Job: allein unter Frauen
Allein unter Frauen, das hat Sven Finke schon geübt beim Weinköniginnen-Seminar:
"Also, Beauty-Tipps gab's da jetzt keine. Der erste Teil war eher so Heimatkunde, Sachkunde. Die Moselregion ist ja nicht nur die Mosel, sondern auch die Nebenflüsse Ruwer und die rheinland-pfälzische Saar, und da gibt’s ganz spezielle Böden und ganz spezielle Weinsorten, das haben wir alles gelernt. Sensorik – ein bisschen Feingefühl bekommen für Geschmacknoten. Und der zweite Teil war dann: wie tritt man in der Öffentlichkeit als Weinhoheit auf."
Mit Lorbeerkranz und Riesen-Kelch aus golden getöntem Glas, gewandet in eine weiße Leinen-Toga mit roter Samt-Stola, geschneidert von Tante Edith, Anverwandte des Lebensgefährten:
"Die ist Schneidermeisterin – und ja - passt – inklusive Geheimfachtasche fürs I-Phone."
Genauso pragmatisch, wie er das römische Gewand trägt, will Finke das neu erworbene Wein-Wissen und -Vokabular anwenden:
"Gar nicht so viel auswendig lernen – man trinkt mit dem Bauch und nicht mit dem Kopf."
Mit Toga, Bauch und Köpfchen nach Höherem zu streben, schließt Finke nicht aus.
Finke kann (noch) nicht Deutsche Weinkönigin werden
Kandidiert er als Gebietsweinkönig der Mosel, fiele damit eine Frauenbastion. Sarah Hulten, Weinkönigin vom Mittelrhein, feiert in Kesten mit dem neuen Bacchus und nimmt's gelassen.
"Die Deutsche Weinkönigin oder die Gebietsweinkönigin, wie ich es ja bin, sind mittlerweile nicht mehr die hübschen Mädchen, die einfach nur winken und lächeln und gut Walzer tanzen können. Das sind mittlerweile absolute Business-Frauen. Die Frauen haben sich da einen guten Standpunkt erkämpft und haben das Amt sehr modern gemacht."
Allerdings nicht so modern, dass ein Mann als Deutscher Weinkönig in Frage kommt, das lassen die Richtlinien derzeit nicht zu.
Sven Finke rückt den Lorbeerkranz auf dem Haupt gerade und setzt sich ins Auto eines Fernsehteams für einen Dreh im Weinberg. Huldvoll winkt der Bacchus den Winzern und ihren Gästen in der Nachbarschaft. Ein schwuler Weinkönig in Kesten – Rolf Lange, den langjährigen Besucher aus Wuppertal, überrascht die Offenheit der Moselaner nicht:
"Wir haben's als sehr tolerant erlebt. Selbst wenn wir uns mal vielleicht daneben benommen haben nach einem guten Schluck – aber nie etwas Böses danach gekommen."