Männlicher Übermut und weibliche Scheu

Mehr Frauen an die Mikros!

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Die Autorin Carolin Emcke spricht am 08.05.2017 in Berlin bei der Eröffnung der Internetkonferenz re:publica.
Überall, wo man sich besonders exponiert und verletzbar macht, weichen Frauen zurück, meint Tanja Dückers, auch wenn es Ausnahmen gibt wie Carolin Emcke. © picture alliance / Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/ZB
Ein Kommentar von Tanja Dückers · 20.11.2019
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Männer dominieren den öffentlichen Diskurs. Nicht, weil sie klüger sind als Frauen. Sie halten sich einfach für schlauer und haben meist viel weniger Scheu, meint die Schriftstellerin Tanja Dückers. Frauen müssten ihre Zurückhaltung endlich aufgeben.
Die Zahlen sind eindeutig. Männer sind viel häufiger als Frauen in öffentlichen Debatten und Talkshows vertreten als Frauen. Zweidrittel bis Dreiviertel aller Fernsehauftritte werden von Männern bestritten, so das Ergebnis einer Studie vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock.
Ihre Artikel und Essays werden öfter in den großen Zeitungen abgedruckt, ihre Bücher werden häufiger rezensiert – nur ein Drittel aller im deutschsprachigen Raum veröffentlichten Rezensionen bezieht sich auf Bücher von Autorinnen.
Nach den Gründen befragt, warum auf einem Podium mal wieder vier Männer und nur eine Frau – die adrette Moderatorin – saßen, hört man von den Verantwortlichen oft die Antwort: "Wir wollten mehr Frauen einladen, aber die, die wir angesprochen haben, haben sich das Thema nicht zugetraut." Oder: "Die Frauen, die wir inhaltlich gut fanden, wollten nicht aufs Podium, nicht ins Fernsehen." Diese Antwort ist so weit verbreitet, dass man sie nicht als Rechtfertigung Einzelner abtun kann.

Männer halten sich für schlauer als gleich schlaue Frauen

Es gibt eine überwältigende Zahl an Studien, die belegt, dass Frauen sich deutlich weniger zutrauen und ihr Selbstwertgefühl geringer ist als das von Männern. Männer halten sich für schlauer als gleich schlaue Frauen. Das gilt ebenso für reife Frauen wie auch für Schülerinnen und Studentinnen.
Die "Wirtschaftswoche" konstatiert, dass 87 Prozent aller Firmen in Deutschland von Männern gegründet werden. Niemand hindert Frauen daran, eine Firma zu gründen. Aber nur 26 Prozent aller Frauen trauen sich zu, ein Unternehmen zu führen. Bei Männern sind es 38 Prozent.
Anders als bei Männern geht zudem eine höhere Bildung bei Frauen nicht mit einem höheren Selbstbewusstsein einher. Frauen bewerben sich viel häufiger auf Stellen, die unter ihrer beruflichen Qualifikation liegen und sie legen die Anforderungen in Stellenausschreibungen für sich viel strenger aus als Männer.
Medienpräsenz, öffentliche Auftritte, Unternehmensgründungen – überall, wo man sich besonders exponiert und verletzbar macht, weichen Frauen zurück. Natürlich, es gibt sie, die Carolin Emckes und Juli Zehs, die Karen Duves und Naika Foroutans. Aber es sind doch Ausnahmen. Viele bekannte Schriftstellerinnen und Journalistinnen ziehen es vor, im Verborgenen zu arbeiten und nur gelegentlich in Form von Buchstaben – ob auf Papier oder auf dem Bildschirm – in Erscheinung zu treten. Ein öffentliches Streitgespräch? Ein Pro und Contra in einer großen Zeitung? Lieber nicht.

Weibliche Vorbilder fehlen

Sicher gibt es dafür auch soziologische Gründe: Frauen fehlt es immer noch an weiblichen Vorbildern. Ihre Mütter und Großmütter waren keine Industriekapitäninnen, keine Verlegerinnen oder Chefredakteurinnen.
Natürlich stellt sich die Frage: Muss jeder und jede über ein sloterdijksches Selbstbewusstsein verfügen? Muss man nach jedem Mikrofon greifen? Sich wie manch männlicher Zeitgeistprediger zu allem äußern – von Nationalsozialismus bis Klimawandel – und sich spürbar wonnig an der eigenen Wortwahl delektieren?
Wo Frauen oft der Mut fehlt, da sind Männer bisweilen mit einem unerträglichen Selbstdarstellungs- und Sendungsbewusstsein ausgestattet.
Nein, man wünscht sich neben so manchen männlichen Medien-Narzissten nicht noch Narzisstinnen, sondern mehr Menschen in der Öffentlichkeit, die ein Anliegen haben, das über die Selbstdarstellung hinaus geht.
Dennoch, Frauen müssen die Freiräume, die sich ihnen heute eher als früher auftun, auch nutzen. Sie müssen sich in den Ring wagen und selber etwas dafür tun, dass ihre Töchter und Enkelinnen die Vorbilder bekommen, die sie nicht gehabt haben. Sie müssen sichtbarer werden.
Und: Ein Stück Bequemlichkeit steckt schon hinter der noblen Zurückhaltung.

Tanja Dückers, geboren 1968 in Berlin, ist Schriftstellerin, Publizistin, Literaturwissenschaftlerin. Zu ihren Werken zählen unter anderem die Romane "Himmelskörper", "Der Längste Tag des Jahres" und "Spielzone" sowie mehrere Lyrikbände und Kinderbücher. Zuletzt erschien der autobiografisch gefärbte Rückblick "Mein altes West-Berlin". Tanja Dückers schreibt regelmäßig über gesellschaftspolitische Themen für ZEIT Online und Deutschlandfunk Kultur.

© Anton Landgraf
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