Märtyrer im Film

Filme, die von exemplarischen Menschenschicksalen erzählen, können helfen, die Zusammenhänge von Religion, Politik und Gewalt verstehen zu lernen. Ein Buch untersucht dabei an beispielhaften Filmen die Verschränkung von Glauben und Politik und wie Filme sie darstellen. Zuweilen etwas theorielastig, ist es in der Analyse der Filme und ihrer Protagonisten aber meist überzeugend.
Szene aus "Paradise Now":
"Hör mir zu Sahid! Es ist entschieden worden: Wir vergelten das feige Attentat auf unseren Führer Abu Hasem und Unja Bashon, der mit ihm bei der Bombardierung gefallen ist. Wir planen das für morgen in Tel Aviv. Du und Khaled, ihr seid dafür auserwählt worden. Zusammen! Habt ihr es nicht immer so gewollt?"
"Soll morgen passieren?"
"Ja. Bist du bereit?"
"Ja."
"Willst du es?"
"Wenn Gott es will."

Als Attentäter auserwählt, als Märtyrer gefeiert. Der Film "Paradise Now!" schildert die letzten beiden Tage zweier Selbstmordattentäter. Ihr Umfeld, ihre Überzeugung - und auch ihre Zweifel. Obgleich Dietmar Regensburger und Gerhard Larcher in dem Buch einen großen historischen Bogen schlagen und zum Beispiel die Geschichte des Martyriums von der Antike bis heute schildern, lehnen sie sich mit dem Titel bewusst an den gleichnamigen Film von 2005 an. Denn immer mehr werden heute Kriege und Anschläge im angeblichen Namen Gottes geführt.

Dabei schildert der Autor Marco Russo in seinem Essay über "Paradise Now", dass sich in Judentum, Christentum und Islam Worte finden, die die Versuchung nahe legen, selber im Namen Gottes über das Gericht zu halten, was man für Unrecht hält. Zugleich betonen aber alle drei Religionen, dass die Wege Gottes anders sind als die Wege der Menschen. Sich selber zum Vollstrecker des göttlichen Gerichts zu machen, ist deshalb für alle drei Religionen eine Anmaßung.

Leider sind solche scharfsinnigen Kommentare manchmal etwas versteckt in den Texten zu finden. Bei den Besprechungen der insgesamt neun Filme gehen die Autoren ausführlich auf den Hintergrund der Protagonisten ein. Wobei der Herausgeber Dietmar Regensburger betont, dass der Riss zwischen Opfer und Täter oft mitten durch den Menschen geht.

"Und ein Filmbeispiel, dass das sehr gut zeigt, ist 'My Terrorist' von Yulie Gerstel, die selber Opfer eines Attentates geworden ist. Und die in einem langen Auseinandersetzungsprozess mit ihrer eigenen Geschichte, mit den Traditionen von Israel, mit dem Israel-Palästina-Konflikt erst dazu gekommen ist, dass auch in dem Täter, in dem Terroristen, der sie angeschossen hat und eben auch traumatisiert hat, dass auch er ein Stück weit ein Opfer ist - ein Opfer der Ideologie."

Dabei gibt es einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der voranschreitenden Globalisierung und dem immer stärker werdenden Terrorismus. Und zwar insbesondere bei Menschen, die sich an der Schnittstelle zwischen westlicher Kultur und Islam bewegen.

Dietmar Regensburger: "Und gerade gebildete Menschen unternehmen sehr viel, haben Ausbildungen im Westen. Und versuchen vielfach in den Westen zu kommen und dort auch Anerkennung zu finden oder sich zu integrieren. Da ist das Beispiel von Muhammad Atta ein gutes Beispiel. Womöglich gibt es da einen Punkt im Leben dieser Menschen, wo sie erkennen, dass sie vielleicht sehr nahe an dem Status von vielen ihrer westlichen Kollegen sind, es im Letzten aber nicht sozusagen auf dieselbe Ebene schaffen. Dass das in Ressentiments umschlägt und in der Ablehnung dieser westlichen Kultur."

Ob Terroristen heute oder enthusiastische Nationalsozialisten früher, Anhänger dieser Ideologien sind vor allem Vertreter der Mittelschicht. Das zeigt das Buch im zweiten großen Themenkomplex, der Filmen über den Nationalsozialismus gewidmet ist. Dort wird mit Verweisen auf Platon, René Girard, Simone Weil oder Hannah Arndt gezeigt, dass das Streben nach Anerkennung gerade in der Mittel- und Oberschicht sehr ausgeprägt ist und damit auch die Bereitschaft, sich in einem gleichgeschalteten Staat entsprechend anzupassen. So ist es kein Zufall, dass die Widerstandskämpferin Sophie Scholl in dem Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage", einem solchen Vertreter gegenüber sitzt.

Szene aus "Sophie Scholl":
"Die Inflation, die Arbeitslosigkeit, die wirtschaftliche Not, das alles hat unser Führer Adolf Hitler beseitigt."
"Und Deutschland in einen mörderischen Krieg geführt. Für den jedes weitere Opfer umsonst ist ... "
"Sie sind doch Protestantin?"
"Ja."
"Die Kirche fordert doch auch, dass die Gläubigen ihr folgen. Auch wenn sie zweifeln."
"In der Kirche ist jeder freiwillig. Aber Hitler und die Nationalsozialisten lassen einem keine andere Wahl."
"Warum gehen sie für falsche Ideen, so jung wie sie sind, ein derartiges Risiko ein?"
"Wegen meines Gewissens."

Die Weiße Rose existierte nur wenige Monate zwischen 1942 und 1943. Aber ihr Widerstand hatte eine enorme symbolische Kraft, wie der Drehbuchautor Fred Breinersdorfer betont.

"Plötzlich war dann an dem Tag der Verhaftung die Sportpalastrede, die berüchtigte, von Goebbels, wo er rumschrie: Wollt ihr den totalen Krieg? ... Plötzlich fliegen Flugblätter in der Universität runter, deren argumentativer Gehalt so brillant war, das man den nicht mit Rumschreien auf die Seite hat schieben können."

Das Buch ist zuweilen etwas theorielastig, in der Analyse aber meist überzeugend. Und bei Leni Riefenstahls Film "Triumph des Willens", der den Reichsparteitag der NSDAP von 1934 zeigt, wird exemplarisch geschildert, wie dieser seine Wirkung erst dadurch erreicht, dass er wie eine Liturgie inszeniert wurde. Eine große sakrale Zeremonie, aber nicht zu Ehren eines Gottes, sondern zu Ehren des Führers.

Szene aus "Triumph des Willens":
"Hier stehen wir! Wir sind bereit! Zu tragen Deutschland in die neue Zeit. Deutschland!"

Rezensiert von Bernd Sobolla

Dietmar Regensburger und Gerhard Larcher (Hrsg.): "Paradise Now - Politik, Religion, Gewalt im Spiegel des Films"
Schüren Verlag, Marburg
300 Seiten, 24,90 Euro