Flüchtlinge als Gastgeber
"Magdas Hotel" prangt in Neon-Schrift über dem Eingang. Und ein Plakat hängt gleich daneben an dem mehrstöckigen Zweckbau direkt neben dem Wiener Prater: "Hier werden Vorurteile abgebaut." Nächtigen mit politischer Botschaft also.
An der Rezeption begrüßt der 29-jährige Dinis die Gäste: Ein junger Schwarzafrikaner. Rezeptionist Dinis stammt aus Guinea-Bissau. Seine Heimat hat er vor zwölf Jahren verlassen, erzählt er. Als blinder Passagier auf einem Container-Schiff:
"Wir waren zu dritt und da war einer, der hat uns überredet, dass wir flüchten sollen, weil ich viele Sachen gegen die Regierung gesagt habe, und dann sind wir illegal in das Schiff eingedrungen und haben uns dort versteckt, bis wir nichts mehr zum Essen und zum Trinken hatten. Dann habe ich mich vorgestellt bei der Schiffcrew, die haben uns sogar unterstützt und dann sind wir mit dem Schiff nach Italien gekommen und von Italien nach Wien bin ich im Oktober 2003 mit dem Zug gekommen."
In der Tasche hat Dinis damals 700 Euro, erzählt er. Das Zugticket hat er von der Schiffsbesatzung bekommen. In Wien ist er zunächst orientierungslos:
"Und dann habe ich mit dem Geld zwei, drei Tage in Wien gelebt, weil ich das Bundesasylzentrum gesucht habe, damit ich mein Asyl beantragen kann. Ich habe es zuerst nicht gefunden, nach zwei Tagen habe ich es gefunden und habe Asyl beantragt. Dann habe ich zehn Jahre darauf gewartet, dass ich meinen Aufenthalt bekomme und offiziell arbeiten kann."
"Kommunikation ist eine meiner Stärken"
Die Caritas nimmt den damals 17-Jährigen unter ihre Fittiche. Er kann eine Ausbildung zum Bürokaufmann machen, dann hörte er von "Magdas Hotel", bewirbt sich, bekommt den Job an der Rezeption. Sein Vorteil:
"Ich spreche portugiesisch, spanisch, italienisch, deutsch, englisch und schwedisch. Kommunikation ist eine meiner Stärken."
Geschichten wie die von Dinis gibt es viele in diesem besonderen Hotel, das früher ein Pflegeheim der Caritas war. Menschen aus 26 Nationen arbeiten in Magdas Hotel – von Kunststudenten und Innenarchitekten auf urban und hip getrimmt. Im Eingangsbereich sind Koffer aufgestapelt. Symbol für das Reisen – von Gästen und Angestellten.
Betreiber des Hotels ist die Caritas. Generalsekretär Klaus Schwertner will auch ein politisches Zeichen setzen: Flüchtlinge als kompetente Gastgeber.
"Wir wollen quasi den Spieß umdrehen. Normalerweise werden Asylbewerberinnen und Asylbewerber immer sehr defizitorientiert gesehen. Es wird darüber geredet, welcher Ansturm auf Europa ist, was die Flüchtlinge betrifft, es wird darüber geredet, dass die ja hier nicht arbeiten dürfen und wir lassen sie nicht arbeiten, weil es Ängste gibt. Es werden Statistiken veröffentlicht, die zeigen, wie aktuell durch den Syrien-Konflikt, aber auch den Ukraine-Konflikt und andere Krisenherde die Flüchtlingszahlen steigen. Es wird aber nicht darüber gesprochen, welche Stärken und Talente diese Menschen mitbringen, wo wir sie daran hindern, dass sie diese Stärken einbringen können."
Denn in Österreich dürfen Asylbewerber – solange sie keinen Aufenthaltsstatus haben – bislang nur als Erntehelfer, Zeitungsverkäufer oder Prostituierte arbeiten. Oder schwarz auf dem Arbeiterstrich. Schwertner findet das zynisch. Und sein Verband will das ändern. Die zweieinhalb Dutzend Mitarbeiter im Haus werden nach Tarif bezahlt:
"Ich glaube, dass dieses Hotel ein Beitrag dazu ist, dass Wien ein Stück weltoffener wird, es soll hier ein Begegnungsort sein, es soll ein Hotel mit sozialem Mehrwert sein. Wir haben hier in dem Projekt auch einen neuen Ansatz, nämlich das Social Business Modell, das bedeutet es soll hier keine speziellen sozialen Förderungen geben, die normalerweise bei Sozialprojekten üblich sind, sondern wir wollen zeigen, dass in diesem Betrieb hier dieses Hotel sich selber tragen kann, dass es möglich ist, gemeinsam mit Menschen, die geflüchtet sind, einen wirtschaftlichen Betrieb zu führen und natürlich soll es auch in gewisser Weise ein politisches Statement sein."
Flüchtlingen schlägt in Österreich üblicherweise ein starker Gegenwind entgegen. Mit ausländerfeindlichen Parolen ist die rechtsextreme FPÖ mittlerweile zur neuen Arbeiterpartei geworden – jeder Vierte wählt sie.
Ein neuer Gast kommt. Architekt Klaus Feistl, ein vollbärtiger Österreicher, schiebt seinen Rollenkoffer vor Dinis Rezeptionsschalter.
"Ich bin ein Wiener, der in Wien heute eine Nacht im Hotel verbringt, weil in unserer Wohnung derzeit ein Film gedreht wird. Und da habe ich an dieses Hotel gedacht. Und was man hier sieht, ist schon sehr charmant, finde ich."
"Gut, wir fahren jetzt in den vierten Stockwerk hinauf, wo unserer Roof-Top-Doppelzimmer vorhanden sind und unsere Suiten. Wir haben insgesamt fünf Zimmerkategorien im Haus, angefangen vom klassischen Doppelzimmer bis hin zu unseren Suiten eben. 78 sind es in der Stückanzahl und jetzt fahrn mer mal mit dem Lift hinauf."
Alte Möbel aus dem Pflegeheim
Mit dem Lift geht es in den vierten Stock. Der junge Hotel-Chef mit dem akkurat gestutzten Bart ist so alt wie Rezeptionist Dinis, noch keine 30. Und Sebastian de Vos ist ganz Verkäufer.
"Jetzt sind wir im vierten Stockwerk. Zimmer 409. Unsere Zimmer bestehen aus drei Komponenten: Wir haben die alten Möbel vom Pflegeheim nicht weggeschmissen, sondern wir haben sie wieder benutzt. Die alten Kleiderschränke haben wir zerlegt, haben wir zersägt und daraus neue Möbelstücke gemacht. Sei es Nachtkästchen, wie man es hier bei uns auf der linken Seite vom Bett sieht oder das Sekretär gleich da drüben in der Ecke. Zum anderen haben wir auch das Thema Vintage: Wir hatten alte Möbel aus dem Pflegeheim, die wir nicht weggeschmissen haben, sondern wir haben sie behalten, aber auch Sachspenden aus ganz Österreich."
Da ist der einfache, etwas abgewetzte Holzstuhl, da ist das fleischfarbene Plüsch-Sofa mit Troddeln auf dem Gang, da sind die gehäkelten Lampenschirme auf Drahtgestellen. Einfach, aber funktional. Der moderne Gast bekommt nur in den Suiten einen Fernseher. Etwa in der Kalifati. Dort steht aber auch Konkurrenz: ein besonderes, längliches Holzutensil – eine Mini-Kegelbahn, mit bunten Murmeln.
Wieder im Erdgeschoss: Im lichtdurchfluteten Café liegen Apfelstrudel in der Auslage. An den Wänden Zeichnungen, die an Graffiti erinnern. Holzstühle und Sofas. In der Ecke eine kleine Bibliothek, gefüllt mit Bücherspenden. Hier trifft sich zweimal in der Woche die Strick-Gruppe. Ehrenamtliche Helfer wie Helene Hänsler fertigen die Lampenschirme für die Zimmer.
"Wir haben am Samstag sechs Stück fertig gemacht. Und da sind die Farben von den Zimmern. Weil wir müssen uns an Farben auch halten."
Helene Hänsler hat früher selbst im Hotel gearbeitet, erzählt die Burgenländer Kroatin. Da sei man aber nur eine Nummer. Schon im ersten Monat hat Magdas Hotel eine Auslastung von 35 Prozent – auch dank der Caritas-eigenen Gäste. Über Crowdfunding im Internet kamen bis zu 60.000 Euro Spenden für das Hotel zusammen. Anderthalb Millionen hat die Caritas als Kredit gewährt. Generalsekretär Schwertner wünscht sich, dass sein Beispiel Schule macht. Rein in die Zeitmaschine – in fünf Jahren, wo steht Magdas Hotel da?
"In fünf Jahren glaube ich, dass Magdas Hotel in ganz Europa bekannt sein wird. Gleichzeitig glaube ich, dass es dann schon in einigen anderen europäischen Städten ähnlichen Projekte geben wird, die dazu beitragen, diese anderen Städte dann auch ein Stück weltoffener zu machen."