Magermodels, die keine sind…

Von Mandy Schielke |
"Pro Ana" - das steht für die positive Umdeutung eines Krankheitsbildes, der Anorexie, der Magersucht. Um dieses Thema geht es auch in einer Ausstellung in der Berliner Fotogalerie C/O. Die Fotografin Yvonne Thein zeigt dort in ihrer Serie "Zweiunddreißig Kilo" Bilder von virtuell abgemagerten Models.
Eine Frau in Miederhosen. Ihr Oberteil ist ein Verband, ein Verband aus Mullbinden, der Brust und Schultern eng umwickelt. Arme und Beine dünn und formlos. Sie hockt auf dem Betonboden. Ihre Füße stecken in modischen Sandalen.

Yvonne Thein: "Das ist auch eines der ersten Bilder, das zu dieser Serie entstanden ist. Das Leitmotiv ist das, was dann auch stellvertretend für die Serie gesehen werden kann."

Geht man an den Schwarz-Weiß-Fotografien vorbei, betrachtet man sie nur flüchtig, glaubt man in einer Ausstellung für Modefotografie zu sein. Große Gürtel, forsche Posen. Der zweite Blick verwirrt. Die Frauen auf den Fotos sind ausgemergelt selbstbewusst. Lasziv stellen sie ihre Knochigkeit zur Schau.

Yvonne Thein: "(Schritte) da sind die Beine schon sehr dünn. Extremer auf jeden Fall."

Yvonne Thein ist eine kleine, zierliche Frau. Ihre dunkelbraunen Haare sind lockig und kinnlang. Mit Mimik und Gestik geht sie sparsam um. Ruhig steht sie in der Galerie zwischen ihren Bildern. Der Raum im alten Postfuhramt in der Oranienburger Straße ist fensterlos. Unter den Füßen spürt man immer wieder die Vibration der S-Bahn, die unterirdisch Richtung Zentrum braust. Die 29-Jährige zeigt auf die Bandagen und viel zu voluminösen Perücken ihrer Mädchen. Die Gesichter sind nie zu sehen. Die künstlichen Haare bedecken Augen, Nase und Wangen der Models. Untypisch für die klassische Modefotografie.

Yvonne Thein: "Es geht mir darum zu sagen, dass jeder, der Bilder konsumiert, jeden Tag in der Werbung, in Katalogen in Magazinen, dass man diese Fotos nicht als idealisiertes Bild einfach hinnimmt, das Fotografie auch mehr hinterfragt, sich auch selber fragt, was macht das mit mir, wenn ich mir solche Bilder angucke, ändert sich dadurch was bei mir, in meiner Einstellung, dass man einfach ein bisschen bewusster mit Fotos umgeht."

Yvonne Thein stammt aus Thüringen, ist auf dem Land mit drei Geschwistern aufgewachsen. Magersucht aus eigener Erfahrung, der Familie oder von Freunden, kennt sie nicht. Ihre Großeltern wollten sie immer gut genährt wissen, erzählt die 29-Jährige und lacht dabei schüchtern. Zu dünn habe sie sich nie gefühlt, darüber habe sie sich als Teenager irgendwie auch keine Gedanken gemacht. Mode spielte in meiner Jugend kaum eine Rolle, erzählt sie. Dazu fehlte sowieso das Geld.

Yvonne Thein: "Was mir wirklich wichtig war, war das Reisen. Das Rauskommen. Die Welt sehen, das war mir viel wichtiger als Mode oder Konsum."

Nach Abitur beginnt sie zunächst eine Fotografen-Ausbildung in Suhl.

Yvonne Thein: "Ich habe eigentlich nach zwei Jahren gemerkt, dass ich mehr erwarte, dass mir die künstlerische Reife gefehlt hat. Ich habe eigentlich plötzlich angefangen kreativ zu sein.. Das war mir dann aber schnell zu wenig diese Fotografen-Ausbildung und auch die Aussicht darauf, was man dann danach macht."

In ihrer Familie ist sie die Erste, die ein Studium beginnt, schreibt sich für Fotodesign an der Fachhochschule in Dortmund ein. Irgendwann liest sie in der Zeitung von der "Pro-Ana" Bewegung, die es in den USA schon seit den Neunzigerjahren gibt. Seitdem lässt sie das nicht mehr los. Yvonne Thein befasst sich im Studium mit Modefotografie und lernt die Computerprogramme kennen, mit denen man Hüften und Hintern auf Fotos per Mausklick kleiner zaubert. Vor zwei Jahren studierte sie dann ein Semester in Melbourne. Dort habe sie einen Körperkult kennengelernt, von dem man hierzulande noch weit entfernt sei.

Yvonne Thein: "Plötzlich fällt einem auf, wie viele Frauen es tatsächlich gibt, die ein Problem mit ihrem Gewicht haben. Eigentlich zu schlank sind."

Ursprünglich wollte Yvonne Thein die Fotos für die Serie "Zweiunddreißig Kilo" mit Essgestörten Frauen machen. Dafür trieb sie sich wochenlang in den einschlägigen Internet-Foren herum, gefunden hat sie niemanden. Also hat sie ganz normale Frauen in Unterwäsche und Seidenstrümpfen fotografiert und die Magersucht nachträglich am Computer konstruiert, virtuell geschaffen.

Yvonne Thein: "Ich habe die jetzt nicht einfach skaliert, ich habe die nicht einfach gezerrt, nach oben, dann würde man die Proportionen verändern. Ich habe an den Beinen angesetzt und die nach innen gezogen. Ich habe es überspitzt, aber ich wollte eben nicht , dass man das Gefühl hat, dass sind wirklich Magersüchtige."

Ihre Familie habe anfangs überhaupt nicht verstehen können, warum sie diese verstörenden Magermodels inszeniert. Mittlerweile hätten sie sich aber an ihre Arbeit gewöhnt. Ästhetische Fotografie sei eben nicht ihr Ding, sagt Yvonne Thein. Mit ihrer "Zweiunddreißig Kilo"-Serie hätte sie jetzt aber erst einmal abgeschlossen. Was danach kommen soll, weiß sie noch nicht genau. Ab Mai wird Yvonne Thein ihre Foto-Serie in New York zeigen, und dann muss sich die 29-Jährige um den Abschluss an der Fachhochschule in Dortmund kümmern. Sie lebt gern im Ruhrgebiet. Obwohl.

Yvonne Thein: "Inzwischen ist es mir auch zu klein geworden."

Und nach dem Studium? Wahrscheinlich will sie ins Ausland gehen. New York, Caracas, Melbourne - oder.

Yvonne Thein: "Vielleicht auch Berlin."