Maggie Nelson: "Bluets"
Aus dem Englischen von Jan Wilm
Verlag Hanser Berlin, Berlin 2018
112 Seiten, 17 Euro
Das seltsame Glücksversprechen der Farbe Blau
Maggie Nelson ist geradezu besessen von der Farbe Blau. Sie sammelt blaue Objekte und hat jetzt auch ein Buch über Blau geschrieben: Ein elegantes kleines Buch, das zwischen Essay, Bekenntnis, lyrischer Prosa, Pornografie und Poesie schwebt.
Blauer Himmel, türkisblauer Ozean, blaue Blumen – es fällt leicht, die Farbe Blau zu mögen, im Sommer allemal, wenn sich Licht und Wärme damit verbinden. Während Kinder Rot bevorzugen, hegt die Hälfte aller Erwachsenen des Westens eine Vorliebe für Blau. Als Anfang 2002 zwei Wissenschaftler in der Zeitschrift Nature erklärten, das Universum sei Türkis, war die amerikanische Dichterin, Kritikerin und Essayistin Maggie Nelson gewiss nicht die Einzige, die frohlockte: "Ich habe es immer gewusst. Das Herz der Welt ist blau." Doch leider war es ein Rechenfehler. Es ist wohl eher ein blasses Beige, das ein Mensch sehen würde, wenn er, rein hypothetisch, von außen auf das Universum blicken könnte, um 200.000 Galaxien in Augenschein zu nehmen.
Maggie Nelson hegt mehr als eine Vorliebe für Blau. Es ist Liebe oder Leidenschaft – auf jeden Fall eine Art von Besessenheit, zu der auch Entschlusskraft gehört. Eines Tages sagte sich die 1973 geborene Kalifornierin, sie werde ein Buch über Blau schreiben. Bald erhielt sie Geschenke, Geschichten, Hinweise. Sie hat damit einen Gegenstand gefunden, dessen Evidenz sofort bezaubert, ohne dass man genau wüsste, was sich wohl damit anfangen lässt.
Halb Essay, halb lyrische Prosa
Von 2003 bis 2006 arbeitete sie daran. So entstand ein schmales Kleinod für Liebhaber des seltsamen Glücksversprechens der Farbe Blau. Obwohl "reichlich vorhanden", erscheint sie dennoch flüchtig und unverfügbar. Der "türkisblaue Ozean" sei die "Urszene dieser Liebe" gewesen. Maggie Nelson verknüpft sie mit der gescheiterten Liebe zu einem Mann, dem "Prinzen des Blauen". Neben dem untreuen Geliebten ist eine Freundin von Bedeutung, die nach einem Unfall querschnittsgelähmt wurde.
Alles an diesem Buch ist Übergang. Es schwebt zwischen Essay und Bekenntnis, zwischen lyrischer Prosa und Theorie, Pornografie und Poesie. Wir hören von Azyanopsie, der Blaublindheit, vom Cyanometer, einer Erfindung des 18. Jahrhunderts, mit der sich 53 Blautöne unterscheiden lassen. Wir erfahren, wie sich Pythagoras, Euklid, Epikur und Platon das Sehen vorstellten, dass die typische Indigo-Färbung durch Oxidation entsteht. Und wir vernehmen die Songs, die das Blau für immer mit der Melancholie verbanden, von Joni Mitchells "Blue" bis zu Leonard Cohens "Famous Blue Raincoat".
Anklänge an Barthes, Derrida und Baudrillard
Der Esprit von "Bluets" erinnert an Roland Barthes' "Fragmente einer Sprache der Liebe" sowie an Derrida und Baudrillard als Gewährsleute eines Denkens, das mit dem Imaginären spielt. Das 2009 im amerikanischen Original erschienene, von Jan Wilm treffsicher übersetzte Buch ist eleganter als "Die Argonauten", das vom Gender-Diskurs absorbierte Theorie-Memoir einer queeren Familiengründung, mit dem Maggie Nelson letztes Jahr in Deutschland bekannt wurde.
"Les Bluets" heißt ein Bild der abstrakten Expressionistin Joan Mitchell, die von USA nach Frankreich auswanderte. Lange habe sie nicht gewusst, dass "bluets" Kornblumen sind, erzählt Nelson, und habe das Wort falsch ausgesprochen. Nun gibt es "Bluets" auch auf Amerikanisch - passt perfekt ins Land des Blues.