Magischer Sprachwald
Uwe Dick hat seine 1976 zum ersten Mal erschienene "Sauwaldprosa" als "Katastrophenschrift, Gegenweltentwurf, Zitatenpantheon und Totenführer" bezeichnet. Die Hörspiele sollen die Texte, die sich keiner Gattung zuordnen lassen, einem breiteren Publikum bekannt machen.
"Ja, den Sauwald kann man nicht greifen und wo er ist, dass weiß eigentlich keiner."
Der südlich der Donau gelegene Sauwald, der sich von Passau am Inn bis Eferdingen hinzieht, bildet zwar den topographischen Rahmen für Uwe Dicks "Sauwaldprosa", aber man verfehlt dieses gewaltige Sprachrevier, wollte man versuchen, sich ihm mit einer Wanderkarte zu nähern:
"Mein Sauwald bedarf keiner Handlung. Er wächst von selbst."
Michael Lentz nähert sich Uwe Dicks Sauwaldprosa, indem er verschiedenen Sprachpfaden nachgeht. Jedes der 12 Hörspiele versteht sich als Versuch, das geheime Zentrum dieses magischen Sprachwaldes ergründen zu wollen. Allein muss er die Wege nicht gehen, denn Lentz weiß den Autor und ein ausgesuchtes Sprecherensemble, aus dem Peter Fricke und Hanns Zischler herausragen, an seiner Seite. Behutsam nähern sie sich einem kunstvoll gebauten Wortgebilde, wobei sie Uwe Dicks Sprache stets den Vortritt lassen:
"Aus dem Atelierfenster des Friedfertigen blicke ich nach Osten. Einen Horizont weiter sehe ich bereits den Sauwald. Schon will der Vogel Sehnsucht weiter, schon spreitet er die Schwingen der Einbildungskraft, da erkenne ich mich in einem Blatt, das der Herbst von einem Obstbaum zu pflücken vergaß."
Überraschende Sprachnuancen, feine Wortgebilde und üppige Satzkaskade finden sich überall in Uwe Dicks "Sauwaldprosa". In den gelungensten Momenten finden die Sau, in Gestalt eines Glücksschweins, das Wort und der Wald zu bemerkenswerter Prosa zueinander:
"Sau im Glück, ließe sich nachstellen. Warum sollte eine Sau nicht auch einmal Schwein haben?"
Bayrischer Dialekt ist in dem Wald zu hören. Aber es wird auch ein Deutsch auf höchstem Niveau gesprochen. Diese verschiedenen Sprachebenen werden in den Hörspielen gekonnt miteinander vermischt, sodass der Sauwald in seiner ganzen Lautvielfalt zu hören ist. Regisseur und Autor, beide intensive Spracharbeiter, begegnen sich auf Augenhöhe, wenn sie im Sauwald den Jägern nachstellen:
"Jung oder alt, Hauptsache es knallt. He, He, da wird wohl ein Feuerwerk gemacht. Ha, ha, auf Sauen und Fasane, auf Hähnel und Hahne, auf Füchs und auf Hasen und auf Reh, he, he, das ist unser A, B, C, D. Und so immer hin und her. Schon kann's mancher dieser Feuerwerker nicht mehr erwarten, bis es mal wieder richtig losgeht, etwa in Verteilungskämpfen um letzte Atemzonen. Wenn der Wald unwiderruflich verreckt sein wird als zumutbares Opfer für die Industriegesellschaft, tönte bereits ein Nachrichtensprecher. Schon jetzt treibt es manchen Grünrock den Wald, in dem er frei ist, zu verlassen, das Revier zu erweitern und dann liest man: Jäger schoss sechzehnjährigen Kirschdieb vom Baum. Jäger schoss auf Nebenbuhler."
Uwe Dick wandelt im "Sauwald" auf den Spuren von Karl Kraus. Akribisch werden Sprachschludereien aufs Korn genommen und wenn die Empörung angesichts der Gewalt, die der Sprache und damit dem Denken angetan wird, mehr als grenzwertig ist, dann lässt er auf die Peiniger der Sprache eine Verwünschungstirade niedergehen:
"Haut ab ihr Verkürzerer der Sprache und des Lebens! In die Büsche, ins Wiruwaruwolz, sprechblasenkranke Mickymäuse, Feuilleton-Goofies und Buidlbeppis! Für euch nicht die Doppel-Revue in Großlausau und Kauzen samt Feldzügen - sondern den Nürnberger Trichter! Nie, nie, nie werdet ihr - - Aposiopesis. Dann tief durchatmen. Ist er auch in Arkadien? Nein, in Saubügel. 83. Zykel."
In der "Sauwaldprosa", diesem "wortwurzelwidrigen Wirrwarrwald", buchstabiert der Autor derb daherkommende deutsche Befindlichkeiten durch. Die Hörspielinszenierungen machen deutlich, wie Uwe Dick diese Biersaumseligkeit allein dadurch zu entzaubern versteht, indem er die Sprache in Stellung bringt. In den Wortgefechten geben Metaphern und Kalauer den Ton an. Die zwölf Hörspiele vermitteln nicht nur einen Eindruck von der Sprachmagie, durch die sich Uwe Dicks Prosa auszeichnet, sondern sie zeigen zugleich auch einen Autor, der sich als Sprach- und also Gesellschaftskritiker versteht:
"Verehrte Damen und Herren, nennenswerte Literatur endigt nie mit dem letzten Satz. Was ein richtiger Fluss ist, ein wahrer Gedankenstrom, der hat seine Tiefen und Untiefen, dass Klüglinge auflaufen und Leichtfertige abstrudeln möchten."
Von Michael Opitz
Uwe Dick: "Sauwaldprosa, 12 Hörspiele"
Produktion BR Hörspiel und Medienkunst 2012
12 CDs, Gesamtlaufzeit 626 Minuten
Kunstmann Verlag, 49,95 Euro.
Der südlich der Donau gelegene Sauwald, der sich von Passau am Inn bis Eferdingen hinzieht, bildet zwar den topographischen Rahmen für Uwe Dicks "Sauwaldprosa", aber man verfehlt dieses gewaltige Sprachrevier, wollte man versuchen, sich ihm mit einer Wanderkarte zu nähern:
"Mein Sauwald bedarf keiner Handlung. Er wächst von selbst."
Michael Lentz nähert sich Uwe Dicks Sauwaldprosa, indem er verschiedenen Sprachpfaden nachgeht. Jedes der 12 Hörspiele versteht sich als Versuch, das geheime Zentrum dieses magischen Sprachwaldes ergründen zu wollen. Allein muss er die Wege nicht gehen, denn Lentz weiß den Autor und ein ausgesuchtes Sprecherensemble, aus dem Peter Fricke und Hanns Zischler herausragen, an seiner Seite. Behutsam nähern sie sich einem kunstvoll gebauten Wortgebilde, wobei sie Uwe Dicks Sprache stets den Vortritt lassen:
"Aus dem Atelierfenster des Friedfertigen blicke ich nach Osten. Einen Horizont weiter sehe ich bereits den Sauwald. Schon will der Vogel Sehnsucht weiter, schon spreitet er die Schwingen der Einbildungskraft, da erkenne ich mich in einem Blatt, das der Herbst von einem Obstbaum zu pflücken vergaß."
Überraschende Sprachnuancen, feine Wortgebilde und üppige Satzkaskade finden sich überall in Uwe Dicks "Sauwaldprosa". In den gelungensten Momenten finden die Sau, in Gestalt eines Glücksschweins, das Wort und der Wald zu bemerkenswerter Prosa zueinander:
"Sau im Glück, ließe sich nachstellen. Warum sollte eine Sau nicht auch einmal Schwein haben?"
Bayrischer Dialekt ist in dem Wald zu hören. Aber es wird auch ein Deutsch auf höchstem Niveau gesprochen. Diese verschiedenen Sprachebenen werden in den Hörspielen gekonnt miteinander vermischt, sodass der Sauwald in seiner ganzen Lautvielfalt zu hören ist. Regisseur und Autor, beide intensive Spracharbeiter, begegnen sich auf Augenhöhe, wenn sie im Sauwald den Jägern nachstellen:
"Jung oder alt, Hauptsache es knallt. He, He, da wird wohl ein Feuerwerk gemacht. Ha, ha, auf Sauen und Fasane, auf Hähnel und Hahne, auf Füchs und auf Hasen und auf Reh, he, he, das ist unser A, B, C, D. Und so immer hin und her. Schon kann's mancher dieser Feuerwerker nicht mehr erwarten, bis es mal wieder richtig losgeht, etwa in Verteilungskämpfen um letzte Atemzonen. Wenn der Wald unwiderruflich verreckt sein wird als zumutbares Opfer für die Industriegesellschaft, tönte bereits ein Nachrichtensprecher. Schon jetzt treibt es manchen Grünrock den Wald, in dem er frei ist, zu verlassen, das Revier zu erweitern und dann liest man: Jäger schoss sechzehnjährigen Kirschdieb vom Baum. Jäger schoss auf Nebenbuhler."
Uwe Dick wandelt im "Sauwald" auf den Spuren von Karl Kraus. Akribisch werden Sprachschludereien aufs Korn genommen und wenn die Empörung angesichts der Gewalt, die der Sprache und damit dem Denken angetan wird, mehr als grenzwertig ist, dann lässt er auf die Peiniger der Sprache eine Verwünschungstirade niedergehen:
"Haut ab ihr Verkürzerer der Sprache und des Lebens! In die Büsche, ins Wiruwaruwolz, sprechblasenkranke Mickymäuse, Feuilleton-Goofies und Buidlbeppis! Für euch nicht die Doppel-Revue in Großlausau und Kauzen samt Feldzügen - sondern den Nürnberger Trichter! Nie, nie, nie werdet ihr - - Aposiopesis. Dann tief durchatmen. Ist er auch in Arkadien? Nein, in Saubügel. 83. Zykel."
In der "Sauwaldprosa", diesem "wortwurzelwidrigen Wirrwarrwald", buchstabiert der Autor derb daherkommende deutsche Befindlichkeiten durch. Die Hörspielinszenierungen machen deutlich, wie Uwe Dick diese Biersaumseligkeit allein dadurch zu entzaubern versteht, indem er die Sprache in Stellung bringt. In den Wortgefechten geben Metaphern und Kalauer den Ton an. Die zwölf Hörspiele vermitteln nicht nur einen Eindruck von der Sprachmagie, durch die sich Uwe Dicks Prosa auszeichnet, sondern sie zeigen zugleich auch einen Autor, der sich als Sprach- und also Gesellschaftskritiker versteht:
"Verehrte Damen und Herren, nennenswerte Literatur endigt nie mit dem letzten Satz. Was ein richtiger Fluss ist, ein wahrer Gedankenstrom, der hat seine Tiefen und Untiefen, dass Klüglinge auflaufen und Leichtfertige abstrudeln möchten."
Von Michael Opitz
Uwe Dick: "Sauwaldprosa, 12 Hörspiele"
Produktion BR Hörspiel und Medienkunst 2012
12 CDs, Gesamtlaufzeit 626 Minuten
Kunstmann Verlag, 49,95 Euro.