Diese Sendung wurde am 15.4.2022 erstmals ausgestrahlt.
Magisches Trekking in Kolumbien
Ciudad Perdida, die "Verlorene Stadt" – jener Ort in Kolumbien, der Zeugnis von der Tayrona-Kultur gibt. © imago images / Michael Marquand
Auf dem Pfad zur verlorenen Stadt
37:53 Minuten
Ciudad Perdida liegt mitten in der Sierra Nevada Kolumbiens und ist bis heute für die Indigenen ein heiliger Ort, zu dem nur ein Weg führt: Ein mehrtägiger Trek zu Fuß durch den Dschungel.
Eine Stunde und vier Minuten soll der Flug dauern, verkündet der Pilot am Flughafen El Dorado in Bogotá. Über die Bergrücken der Anden, über das Tal des Magdalena-Flusses schwebt der Airbus A 320 in nördlicher Richtung auf 10 000 Metern Höhe nach Santa Marta.
Kurz vor der Landung tauchen am Horizont die ewig schneebedeckten Berge der Sierra Nevada auf: Der Pico Colón und der Pico Bolivar ragen 5775 Meter in den Himmel. Das Weiß ihrer Gletscher verschwimmt in einem Meer von hellen Wolkenfetzen und grauen Felswänden. Etwas tiefer bedeckt ein grünes Meer an üppiger Vegetation die zerklüfteten Berghänge.
Das "Herz der Welt" für die Indigenen
Der Anblick ist erhebend: Hier also schlägt das "Herz der Welt" für Kolumbiens Ureinwohner, denke ich. Auf 16.000 Quadratkilometern beherbergt dieser nördlichste Ausläufer der Zentralkordillere der Anden die zweithöchste Artenvielfalt der Welt, jede Klimazone ist zu finden. Vom ewigen Schnee sind es gerade einmal 40 Kilometer Luftlinie zu den türkisfarbenen Gewässern der tropischen Karibikküste.
Irgendwo da unten, so denke ich beim Blick aus dem ovalen Flugzeugfenster in die dunkelgrüne Berglandschaft, liegt mein Ziel, liegt Ciudad Perdida, die "Verlorene Stadt" – jener Ort, der Zeugnis von der Tayrona Kultur gibt. Ein Ort, der noch immer heilig ist für die indigenen Völker der Sierra Nevada, der letzten Kultur mit Hohem Priestertum in Lateinamerika.
Start und Ziel: die Hafenstadt Santa Marta
Selbst in Pandemiezeiten ist die Hafenstadt Santa Marta Ort ausgelassener Fröhlichkeit und Feierlaune. Hier tanken einheimische und ausländische Touristen gleichermaßen Sonne und Ausgelassenheit.
Hin und wieder sieht man in der bunten Menge ganz in weiße Baumwollkleider gehüllte, meist barfuß laufende Indigene, manche verkaufen gewebte Umhängetaschen aus Baumwolle oder Agavenfasern. Santa Marta ist Start und Ziel der fünftägigen Tour nach Ciudad Perdida. Hier treffen wir unseren indigenen Begleiter Celso an einer belebten Straße entlang der Strandpromenade.
„Wir befinden uns jetzt in Santa Marta und werden gleich nach Machete Pelado aufbrechen, von wo wir die Tour nach Ciudad Perdida zu Fuß fortsetzen. Erst fahren wir ungefähr eine Stunde mit dem Geländewagen über die Troncal, die Küstenstraße, von da geht’s dann hoch in die Berge bis Machete Pelado.“ Offiziell heißt der Ort Mamey, wurde aber von den Siedlern Machete Pelado, auf Deutsch "blanke Machete" getauft.
Über Stock und Stein
Celso ist froh, dass er wieder Besucher nach Ciudad Perdida führen darf. Pandemiebedingt war der Weg zur verlorenen Stadt monatelang geschlossen: Kolumbien hatte strikte Ausgangssperren verhängt. Überdies galt es, die indigenen Gemeinschaften entlang der Route nach Ciudad Perdida besonders zu schützen. Denn der Ort liegt mitten im Reservat der Wiwa, Arhuacos und Kogi, von drei der insgesamt vier verbliebenen Völker der Sierra Nevada.
In einem kurzen Video werden die Besucher auf die Strapazen vorbereitet: Sprichwörtlich über Stock und Stein, durch Flüsse, über Berge, durch Täler, Matsch und üppige Vegetation führt der Weg nach Ciudad Perdida – zur verlorenen Stadt mit ihren mehr als 250 Terrassen.
Ciudad Perdida heißt auf Deutsch „verlorene Stadt“ und diesen Namen verdankt sie einem merkwürdigen Umstand: Als 1976 Piloten der kolumbianischen Regierung die von Grabräubern einige Jahre zuvor entdeckte Stätte der Tayronakultur aus der Luft orten wollten, suchten sie vergeblich: Die Stadt war verloren im immensen Dickicht des Dschungels, der an einigen Stellen bis an die Karibikküste reicht.
Ein Ort mit besonderer Energie
Eigentlich heißt der Ort Teyruna oder Teyuna, erklärt uns Celso. Wegen der von den Spaniern eingeschleppten Seuchen haben seine Vorfahren die mit circa 2000 Bewohnern damals bedeutendste Siedlung der Tayronakultur im 17. Jahrhundert bereits verlassen. „Teyuna! Der Name kommt von Tewimaku. Er hat diesen Ort erschaffen. Das erzählen die Mamos. Er hat diesen Ort Teyuna getauft, was Kraft, Leben und Seele bedeutet. Teyuna besitzt eine besondere Energie und wurde wie alle heiligen Stätten mit besonderer Energie von Außerirdischen geschaffen.“
So erzählen es die Mamos, also die hohen Priester der Wiwa, Kogi, Arhuacos und Kanguamo – jener vier Völker, die das Erbe der legendären Tayronakultur bis auf den heutigen Tag bewahren.
Ein Ort, der von Außerirdischen erschaffen wurde? Die Neugier wächst, auch ohne Anhänger von Erich von Däniken und seiner Theorie der Götter Astronauten in Lateinamerika zu sein. Gespannt bin auch deshalb auf den Ort, da eine von zwei hölzernen rituellen Gesichtsmasken von dort stammt, die ich vor meiner Abreise im Ethnologischen Museum in Berlin fotografiert habe und deren Rückgabe die hohen Priester der Kogi schon seit langem fordern.
Keine Entführungen seit 2003
Vor dem Start ins Trekking-Abenteuer treibt mich aber noch eine Frage um: Was ist mit der Guerilla, den Drogenbaronen und ihren paramilitärischen Verbänden, die trotz des Friedensabkommens bis auf den heutigen Tag die Gegend unsicher machen?
Sandra Gomez von der Agentur Turcol beruhigt: „Natürlich war auch der Pfad nach Ciudad Perdida betroffen. Die illegalen bewaffneten Gruppen lieferten sich vor allem wegen des Drogenanbaus auch in dieser Gegend blutige Gefechte. Das ist kein Geheimnis. Über die Jahre hat sich die Situation jedoch beruhigt, und die Menschen der Zone haben ganz auf den Tourismus gesetzt, viele arbeiten im Tourismus als Führer, Köche, Landarbeiter.“
Und wie war das mit der Entführung einer Gruppe Ausländer durch die ELN Guerilla in Ciudad Perdida? „Ja, das war eine unserer Gruppen, die von Edwin Rey begleitet worden war. Franzosen, Deutsche und andere Ausländer befanden sich in der Gruppe. Später wurde sogar ein Dokumentarfilm darüber gedreht. Das war sehr schlimm. Das ist aber Geschichte und vorbei. Einige waren recht lange entführt – aber am Ende kamen alle frei; wie gesagt das ist Geschichte. Das war 2003!“
Bananenchips und Wasser
Im Glauben, dass sich die Geschichte nicht ausgerechnet jetzt wiederholen muss, klettern wir auf die Rückbank des Jeeps. Nach gut einer Stunde: kurzer Stopp in La Aguacatera, einer Straßenkreuzung! Hier befindet sich der Kontrollpunkt. Celso meldet uns an einem kleinen Holzhäuschen an, entrichtet eine Gebühr und bindet uns farbige Bändchen um, die uns als Besucher der Ciudad Perdida identifizieren.
Letzte Einkäufe – eine kleine Taschenlampe, Bananenchips, Wasser, dann kauern wir uns erneut zu viert in den unbequemen hinteren Teil des Geländewagens.
„Wie weit ist es nach Mamey?“
„12 Kilometer ab Küstenstraße“, antwortet der Fahrer.
„Und wie ist der Zustand der Straße?“
„So wie Du sie jetzt erlebst!“
Und die setzt meinen Bandscheiben gehörig zu.
„12 Kilometer ab Küstenstraße“, antwortet der Fahrer.
„Und wie ist der Zustand der Straße?“
„So wie Du sie jetzt erlebst!“
Und die setzt meinen Bandscheiben gehörig zu.
Fast eine Stunde quält sich der Jeep die holprige Straße hoch nach Mamey, wird immer wieder von flinken Motorradfahrern überholt, die ihre Maschinen leichter an den unzähligen Schlaglöchern vorbeilenken können.
Am Ende unzähliger Serpentinen durch eine dichte Vegetation tauchen schließlich mehrere Häuser auf: Mamey ist der letzte größere Ort der "Zivilsation" Richtung Ciudad Perdida. Seine Entstehung und sein Wachstum hat das recht modern wirkende Dorf mit zahlreichen kleinen Restaurants und Kolonialwarenläden dem Marihuana- und später Coca-Boom in der Gegend zu verdanken.
Gabriel Garcia Márquez lässt grüßen
„Die Siedler haben diesen Ort Alto Mamey genannt, weil 600 Meter weiter oben der Mamey, auf Deutsch der Sapote-Baum, wächst. Nachdem sie hier Marihuana und Coca gepflanzt hatten, tauften sie den Ort Machete Pelado – blanke Machete – denn samstags und sonntags kamen sie aus den Bergen zum Feiern und Streiten, attackierten sich mit Macheten – und wer keine dabei hatte, um den stand es schlecht – daher also der Name Machete Pelado.“
Kolumbien und die legendäre von Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Márquez beschriebene endemische Gewalt lassen grüßen, denke ich. Wir stärken uns in einem der zahlreichen kleinen Freiluftrestaurants mit gebratenem Hähnchen, Kochbananen, Reis und Salat. Dann startet unsere kleine Vierergruppe mit Begleiter Celso.
„Von hier geht es ungefähr viereinhalb Stunden zu Fuß weiter. Wir müssen siebeneinhalb Kilometer zurücklegen bis zur Vereda Honduras.“ Viereinhalb Stunden für nur siebeneinhalb Kilometer? Ungläubig schaue ich Celso an! Schon an der ersten langen Steigung über einen noch recht breiten Weg wird mein Atem schwerer und wird mir klar, dass dies kein lockerer Spaziergang wird.
4,5 Stunden für 7,5 Kilometer
Die Wege werden immer enger, steiniger und rutschiger; die Vegetation wird zunehmend dichter, die Geräuschkulisse intensiver. Vor dem letzten extrem steilen Abstieg ist ein immer intensiver werdendes Rauschen zu hören, das uns ab jetzt immer wieder begleiten wird: das Wasser des Buritaca-Flusses, der sich aus weit über 3000 Metern von den Höhen der Sierra Nevada über riesige Steine und Geröll abwärts in die Karibik stürzt. Wir steigen hinab in ein enges Tal: unten ein paar Häuser, Maultiere. Über eine Holzbrücke gelangen wir zu unserem Camp: Cabana Adán.
Lange Reihen mit Doppelbetten aus Holz, sämtlich mit Toldillos, also weißen Moskitonetzen umhüllt, stehen im Freien, ein Wellblechdach schützt vor Regen. Celso zeigt uns unsere Schlafplätze. Erschöpft lassen wir uns an einem der gegenüberliegenden langen Biertische nieder und hängen unsere schweißgetränkte Kleidung zum Trocknen – vergeblich wie sich am nächsten Tag herausstellen wird.
Ein Koch wandert mit
Unsere kleine Vierergruppe hat einen eigenen Koch mit auf der Tour. Gian Carlos, Mitte 20, auch im Dschungel stets schick gekleidet, bietet Kaffee oder Tee zur Stärkung an. Später nach einem kühlen Bad im Naturschwimmbad des eiskalten Buritaca-Flusses beköstigt er uns mit frittiertem Fisch, leckerem Gemüse und Reis. „Ich muss immer etwa eineinhalb bis zwei Stunden vor der Gruppe ankommen, damit ich ausreichend Zeit habe, alles gut vorzubereiten, damit das Essen lecker zubereitet ist, wenn die Gruppe ankommt und damit ich gleich Kaffee, Tee oder Trinkschokolade anbieten kann.“
An jedem der fünf Tage hat Gian Carlos uns mit einem anderen Frühstück, Mittag- und Abendessen überrascht: mal Fleisch, mal Fisch oder Hähnchen, Bohnen, Eier, die für die kolumbianische Küste typische Arepa Huevo – das in einer Teigtasche aus Mais eingebackene Ei. Das Ganze gewürzt mit Naturkräutern der Sierra wie zum Beispiel Bergkoriander.
Harmonie zwischen Mensch und Natur
Vier indigene Gruppen bewohnen die Sierra Nevada, erläutert indes unser Begleiter Celso beim abendlichen Briefing. Etwa 13.000 Kanguamo, 17.000 Wiwa, 30.000 Arhuacos und 33.000 Kogi. Die Kanguamo seien die verwestlichtsten, die meist weit oben in den Bergen lebenden Kogi hätten die reinste Kultur. Alle Ethnien sprächen unterschiedliche Sprachen und blieben grundsätzlich unter sich. Nur die Wiwa und Kogi hätten sich zeitweise vermischt und sprächen ähnliche Formen der Chibcha-Sprache, erklärt Celso, der selbst zur Gruppe der Wiwa gehört.
Spirituell geführt werden alle Gruppen von den sogenannten Mamos, den Hohen Priestern. Das Wissen wird mündlich von den älteren Mamos auf die jungen übertragen, die dazu die ersten 18 Jahre ihres Lebens in der Dunkelheit von Höhlen leben, damit sie ohne Ablenkung visueller Eindrücke der realen Welt Aluna, die spirituelle Welt, die Welt der Gedanken hinter der materiellen Welt erfassen können. Jeder Eingriff in die Natur muss von den Mamos spirituell vorbereitet werden, damit die Harmonie zwischen Mensch und Natur nicht gestört wird.
17 Kilometer an Tag zwei
Nur noch das Zirpen der Grillen und das Rauschen des Buritaca sind nach neun Uhr abends im Camp zu hören. Die vom ersten Marschtag ermüdeten Körper sehnen sich nach Schlaf - im Wissen, dass wir am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang Schlag sechs zur längsten Etappe aufbrechen und uns vorher noch waschen, packen und frühstücken müssen. „Von der Vereda Honduras laufen wir heute zunächst eineinhalb Stunden durch Siedlergebiet bis zum Reservat der Kogi, Wiwa und Arhuacos, wir laufen am Kogi-Dorf Mutanjzi vorbei, danach geht`s nach Múmake, wo wir Mittagessen und anschließend geht’s zum Camp Paraiso.“
Eine Mammutstrecke von fast 17 Kilometern! Uns steht der härteste Tag bevor, der gleich mit einem extrem steilen Anstieg beginnt, dann aber durch noch recht zugängliches Siedlergebiet führt bis nach Matacafé, wo wir uns mit frisch gepresstem Orangensaft erfrischen. „Matacafé - Kaffeepflanze heißt dieser Ort, weil es hier ein paar Kaffeepflanzen gab. Im Jahre 1982 organisierten sich die Indigenen, und nach Gesprächen der Mamos und der kolumbianischen Regierung wurde das Reservat eingerichtet.“
Denn zunächst der Marihuana- und später der Coca-Boom und natürlich der bewaffnete Konflikt zwischen Guerilla, Paramilitärs und Militärs hatte die Indigenen immer weiter in die Berge zurückgedrängt. Das Reservat dient jetzt zu ihrem Schutz und der noch immer heiligen Stätte Ciudad Perdida oder Teyuna, die jedes Jahr im September für Besucher geschlossen bleibt, damit die Mamos dort ihre Rituale durchführen können.
20 Dollar für zwei Wochen Handarbeit
Wir passieren Mutanzji, wo die Kogi sich um ihre Tiere und Pflanzen kümmern und uns keines Blickes würdigen. Nach einer guten Stunde durch die immer dichter werdende Vegetation erreichen wir eine Anhöhe mit dem Häuschen einer Wiwa-Familie. Eine ganz in weiße Baumwollkleidung gehüllte Frau, barfuß, mit langem pechschwarzen Haar begrüßt uns, führt uns zu einem Unterstand, setzt sich auf einen Holzblock und zeigt, wie sie mit einer kleinen Spindel zunächst kleine Schnüre aus Baumwoll- und Agavenfasern spinnt und aus diesen dann die traditionellen Umhängetaschen fertigt. „Zwei bis vier Wochen Arbeit pro Tasche brauche ich. Ich fange immer nachmittags an zu spinnen und dann zu weben.“
Verkauft werden die Taschen am Ende für 20 bis 60 Dollar!
Celso nutzt die Gelegenheit zu erklären, wie der Muschelkalk gebrannt und zerkleinert wird, den er in seinem Poporo mit sich führt, um die Substanz aus den Blättern der für die Indigenen heiligen Coca-Pflanze zu lösen.
Übernachtung im "Paradies"
Dann müssen wir weiter: Múmake – das nächste Lager wartet mit einem kühlen Bad im Buritaca-Fluss, einem leckeren Mittagsessen und nach eineinhalb Stunden praller Mittagssonne endlich wieder trockenen Kleidern, wenn auch nur für wenige Minuten. Die feucht heiße Luft treibt den Schweiß aus den Poren. Die immer engeren Wege, die sich die Berge dieses tropischen Regenwaldes hoch- und runterschlängeln, lassen die Füsse immer schwerer werden, die Oberschenkel schmerzen.
Es gibt keine Zeit, innezuhalten, um die einzigartigen schwarz-orangenen Schmetterlinge in ihrem Spiel über den Farnen zu beobachten oder den Vogelstimmen mit der gebührenden Aufmerksamkeit zu lauschen.
„Der Wald wird immer enger und immer noch gibt es hin und wieder Bananenstauden. Wir überqueren immer wieder kleine Flüsse, die von der Sierra Nevada runterstürzen, mit viel Geröll über viele Steine. Der Weg ist eng und wir müssen noch immer 40 Minuten laufen, seit fünf Uhr morgens unterwegs, und jetzt ist es schon fast vier Uhr – mit einer kleinen Schwimmpause unterwegs und Mittagspause, aber wir werden sehr froh sein, wenn wir heute Abend im Paradies angekommen sind. Paraiso heißt die Station, wo wir heute Abend übernachten werden.“
Grabräuber entdeckten die Siedlung
Kurz vor Einbruch der Nacht erreichen wir Camp Paraiso am Ufer des Buritaca-Flusses. Wir duschen, danach serviert Koch Gian Carlos Fleisch mit Linsen, Schokoriegel und Obst als Nachtisch.
Touristenführer Pedro Patino bereitet uns auf das Ultimative am nächsten Morgen, den Aufstieg nach Ciudad Perdida vor und erzählt die Geschichte dieses für die Nachfahren der Ureinwohner der Sierra Nevada, der Tayrona, heiligen Ortes. „Die Tayrona sind von hier verschwunden, sie haben diese Siedlung wegen der von den Spaniern eingeschleppten Krankheiten und Seuchen verlassen. Das war so um das Jahr 1650 herum. Entdeckt haben ihn später dann einige Bauern, die Gräber geplündert haben.“
Eher zufällig sind Mitglieder der Familien Sepulveda und Restrepo 1972 bei ihren räuberischen Streifzügen durch die Wildnis auf eine Mauer und Natursteintreppe am Buritaca-Fluss gestoßen, erzählt Pedro weiter. Die unglaublich schönen und wertvollen Gold- und Keramikobjekte aus den Grabstätten weckten schnell Neugier und Begehrlichkeiten auch bei anderen.
„1976 bekriegen sich die beiden Familien, die zuerst den Ort entdeckt hatten. Die Restrepos wollen ein Mitglied der Familie Sepulveda ermorden lassen. Es kommt zu einem regelrechten Krieg mit Gewehren und Macheten zwischen den beiden Familien. Es gab aber auch noch die große Familie von Frankie Rey, eines anderen Grabräubers, der fürchtete in den Konflikt hineingezogen zu werden. Frankie Rey beschließt daraufhin, die Behörden über den Ort zu informieren, um den Krieg der Familie Sepulveda zu beenden.“
Nationales Kuturerbe seit 1982
Zur Belohnung wurde Frankie Rey beauftragt, den Ort gemeinsam mit Experten archäologisch zu erschließen, schließlich kannte er ihn bestens. Erst 1982 waren die mehr als 250 Terrassen halbwegs vom Urwald gereinigt und zugänglich. Ciudad Perdida wurde zum nationalen Kulturerbe durch die kolumbianische Regierung erklärt. Erste Hubschrauberexkursionen fanden statt, bis sie zum Schutz der Terrassen untersagt wurden.
Der einzige Zugang nach Ciudad Perdida heutzutage ist der etwa 25 Kilometer lange Trekking-Pfad von Mamey aus, der bei Regen zu einer matschigen Rutschpartie wird. Selbst die Maultiere, mit denen unser Koch Gian Carlos und seine Kollegen das Essen in die jeweiligen Camps bringen lassen, haben bei starken Regenfällen ihre Schwierigkeiten in diesem steilen, teils lehmigen Terrain.
Einer gibt kurz vor dem Ziel auf
Nur ein Kilometer fehlt von Camp Paraiso unten am Buritaca-Fluss nach Ciudad Perdida – es ist jedoch der härteste Kilometer der gesamten Strecke, wie wir am nächsten Morgen erfahren. Nach gut 20 Minuten auf einem engen, von Gummibäumen und Farnen gesäumten Trampelpfad müssen wir den wilden Buritaca-Fluss überqueren. Wir nutzen eine Flaschenzugkonstruktion und vermeiden so, bis zur Gürtellinie nass zu werden und womöglich auf den glitschigen Steinen im eiskalten Wasser auszurutschen. Wir stehen vor einer Natursteintreppe. Celso mahnt uns, aufzupassen, nicht zu stolpern, da die Steine sehr uneben und wacklig seien.
Nach den ersten 150 Stufen kommt uns ein etwas korpulenter US-Amerikaner mit seinem Begleiter entgegen: Kurz vor dem Ziel gibt er auf, muss mit dem Maultier zurück. Wir quälen uns weiter über die sehr unebene, steile Natursteintreppe. Die Strapaze hat sich gelohnt: Oben angekommen öffnet sich eine magische Welt mitten im intensiven Grün des Dschungels.
„Über 1200 Stufen führen hinauf nach Ciudad Perdida oder Teyuna, oder Teyruna, wie die Indigenen sagen: Ein heiliger Ort. Und es gibt hier 250 Terrassen. Die Sonne geht gerade richtig auf, es ist gerade acht Uhr. Und es gibt viele Reflektionen der Sonne auf den Terrassen.“
Der erste Eindruck ist überwältigend!
Reinigungszeremonie mit Cocablättern
Celso zahlt die 10 Euro Eintrittsgebühr pro Person, versammelt unsere kleine Gruppe im Kreis um die erste von hohen Bäumen umrankte Terrasse und händigt jedem ein getrocknetes Cocablatt aus. Wir sollen es zwischen Zeigefinger und Daumen halten! Dann bitte er uns, die Augen zu schließen, um alle negativen Gedanken und schlechte Energie rauszulassen. Anschließend legen wir die Cocablätter in die Mitte auf einen kleinen Haufen in eine Art Feuerstelle.
Diese Reinigungszeremonie, die längst nicht alle Besucher durchführen, ist wichtig denn: „Teyuna besitzt eine besondere Energie und wurde wie alle heiligen Stätten mit besonderer Energie von Außerirdischen geschaffen. Teyuna bedeutet Kraft, Leben und Seele.“
Ich glaube nicht an Außerirdische – doch der besonderen Energie dieses Ortes kann auch ich mich nicht entziehen. Umrandet vom Dickicht unterschiedlichster Grünschattierungen liegt der Ort hier in den Bergen der Sierra Nevada auf einer Linie zwischen dem ewigen Schnee und der Karibikküste. Zu sehen sind unzählige steinumrandete Terrassen, die teils als Tempel, teils als Wohnhäuser und auch als Grabmarkierungen dienten. Da die Häuser aus Lehm waren, sind hier - anders als im peruanischen Machu Picchu - keine hohen Mauern mehr, keine Ruinen zu sehen.
1250 Meter über dem Meeresspiegel
Nach geschätzten weiteren 300 Stufen erreichen wir die höchste Terrasse: Wir befinden uns zwar nur etwa 1250 Meter über Meeresniveau, aber der Blick ist betörend. Über uns: steile Berghänge mit grünem Dickicht, hinter denen sich der ewige Schnee der Sierra Nevada nur erahnen lässt; in ein paar hundert Meter Entfernung ein Wasserfall, dessen Tosen bis zu uns dringt. Unter uns liegen die großen zeremoniellen Terrassen vor der Kulisse eines undurchdringlichen Dschungels an den Berghängen und riesiger Palmen, die wie Wachtürme am Rande in den Himmel ragen.
Hier fanden also die Zeremonien statt – und seit 2009, seit es ein wenig ruhiger im bewaffneten Konflikt zwischen Guerilla, Paramilitärs und Militär geworden ist, finden sie wieder statt: im September bei Äquinoktium, wenn Tag und Nacht gleich lang sind und die Sonne hier senkrecht steht.
Im Gegensatz zu Machu Picchu ist Teyuna für die Völker der Sierra noch immer ein heiliger Ort. „Die Mamos, die Hohen Priester, erzählen uns, dass diese heiligen, energetisch bedeutsamen Orte von Außerirdischen errichtet wurden. Teyku war ein Außerirdischer, der dort Objekte aus Gold fertigte. Er hinterließ haltbare Gegenstände aus Gold und Keramiktöpfe, in denen Quarze und spezielle Steine aufbewahrt wurden. Diese Steine besitzen die Energie des Wassers, der Bäume, der Erde und der Tiere hier in den Bergen.“
Besuch beim Hohen Priester
Figuren aus Gold und Tiere und Töpfe aus Keramik, edle Steine: Sie waren es, die die Grabräuber angelockt haben. Viele der von Teyuna gestohlenen Objekte sind heutzutage im Goldmuseum in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá oder in privaten Sammlungen zu finden. Eigentlich gehören sie aber den Erben der Tayrona Kultur, die diese bis heute für ihre Rituale, für die Kommunikation mit den Ahnen und der Natur nutzen – so wie die beiden hölzernen Sonnenmasken der Kogi, die sich im Ethnologischen Museum in Berlin befinden.
Eine der fast sechshundert Jahre alten Masken stammt ursprünglich aus Teyuna. Was wissen die Mamos hier über diese Maske? Mein Begleiter Celso führt mich über einen engen Pfad zu einer Hütte, Hühner laufen durch einen Gemüsegarten. Es ist das Wohnhaus von Mama Rumaldo, dem Hüter von Teyuna.
Jeden Abend befreit er den Ort von der negativen Energie der Touristen. Er trägt die typische helle Baumwollkleidung der Kogi, seine langen schwarzen Haare schauen seitlich unter der kegelförmigen Mütze des Mamos hervor. Vor dem Bauch baumelt die Mochila, die Umhängetasche, aus der er eine Handvoll Cocablätter nimmt und sie in die Tasche meines Begleiters Celso steckt: Der erwidert die für die Indigenen der Sierra typische Begrüßungsgeste. Rumaldo grüßt auch mich.
Als ich Mama Rumaldo das Foto der beiden Masken aus dem Museum in Berlin zeige, verändert sich schlagartig sein Gesicht. Ungläubig blickt er auf die Bilder. Ob er in Ciudad Perdida Rituale mit solchen Masken durchführe, will ich wissen. „Wir können hier nur mit dem Stock Rituale durchführen. Die Masken, die früher hier waren, sind gestohlen worden. Die beiden Sonnenmasken von dem Foto wurden benutzt, um den Göttern eines jeden Elementes Opfer darzubringen. Die Masken stellten eine starke Verbindung in verschiedenste Dimensionen her.“
Der Stein der Außerirdischen
Rumaldo weiß nicht mehr, wann die Masken aus Teyuna verschwunden sind, übersetzt unser indigener Begleiter Celso weiter. Aber er weiß, dass sie zuletzt in Noavaca und Hukumeizi, den religiösen Zentren weiter oben in den Bergen für Zeremonien genutzt wurden. Dort hatte der Ethnologe Konrad Theodor Preuss 1915 geforscht und die Masken durch einen Erbstreit auf zweifelhafte Art und Weise erworben.
Ob die Maske jemals nach Teyuna zurückkehrt? Mama Rumaldo wünscht sich das. Er bindet mir eine Seguranza, ein Bändchen zum meinem Schutz um und verabschiedet sich mit hoffnungsvollem Blick.
Celso führt uns zurück durch ein wahres Labyrinth an Terrassen zu einem riesigen Stein. Hier seien die Topografie und energetisch relevanten Orte des westlichen Teils der Sierra eingraviert. Tewimaku – der Außerirdische habe ihn geschaffen. Ob Erich von Däniken am Ende mit seinen Götter-Astronauten vielleicht doch Recht hat?
Die Magie der sonnenüberfluteten Terrassen, die deutlich spürbaren energetischen Schwingungen, der überwältigende Anblick einer überbordenden Natur, die mit sich im Einklang scheint: Eine bessere Belohnung für die Plackerei des Dschungeltrekkings hätte ich mir nicht vorstellen können.
Übernachten verboten!
Leider darf niemand mehr in Ciudad Perdida übernachten: Ohnehin wäre es den Mamos am liebsten, die heilige Stätte bliebe allein den Indigenen vorbehalten. Die jüngeren Brüder, wie sie uns nicht-indigene Besucher nennen, bringen zu viel negative Energie, sagen die Hohen Priester.
Uns hat der Besuch jedenfalls mit positiver Energie aufgeladen. Der Abstieg über die mehr als 1200 Stufen der Natursteintreppe fällt leicht. Selbst der stundenlange Regen, der nach einem schnellen Mittagsessen in Camp Paraiso die sieben Kilometer Dschungelpfad bis zum Lager in Múmake in eine Schlammpiste verwandelte, tut der Stimmung keinen Abbruch.
Froh sind wir allerdings, dass wir für die Rückkehr nach Mamey zwei Tage eingeplant haben. Das gibt Gelegenheit, die unbeschreibliche Wucht und Schönheit der Natur, die Wälder und Wasserfälle, die Farbenpracht einzigartiger, nur hier existierender Schmetterlings- und Vogelarten ohne Hast zu genießen.
Hier schlägt das Herz der Welt sagen die Erben der Tayrona: Jedes Klima, fast jede Spezies und vor allem eine reine indigene Kultur wie vor mehr als tausend Jahren lassen die Trekkingtour nach Ciudad Perdida zu einem unvergesslichen Abenteuer werden.