Die Ausstellung "Der Verrat der Bilder" über den Maler René Magritte ist im Pariser Centre Pompidou vom 21.9.2016 bis zum 23.1.2017 zu sehen.
Ist er kein Surrealist?
"Der Verrat der Bilder" heißt eine fulminante Magritte-Ausstellung im Pariser Centre Pompidou. Sie zeigt den großen Maler als Konzeptkünstler und Philosophen, der keineswegs dem Zufallscredo der Surrealisten gehorchte.
"Ceci n'est pas un surrealiste" – "Dies ist kein Surrealist" – so könnte diese Magritte-Ausstellung auch heißen. Oder zumindest: "Dies ist kein besonders surrealistischer Surrealist." Denn die Ästhetik der Surrealisten war gekennzeichnet von Zufall und Willkür, Unterbewusstem, Traumhaftem und Absurdem – frei nach dem berühmten Satz des Dichters Lautréamont, (etwas sei) "schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch".
Doch der Belgier Magritte verabschiedete sich recht bald von diesem Zufallscredo der französischen Surrealisten um André Breton.
Kurator Didier Ottinger hat besonders das Spätwerk Magrittes im Blick:
"'Probleme' nannte er die künstlerische Methode, die er ab 1936 anwendete. Magritte selbst sagte: 'Ich verzichte auf die Ästhetik von Schock, Willkür und Zufall und interessiere mich nun für die Lösung von Problemen.' Von etwas hemmungsloser Inspiration fand er zu einer quasi wissenschaftlichen Methode."
Ironischer Kommentar auf surrealistische Kollegen
"La clairvoyance" ('Klarsicht' oder 'Hellseherei') heißt ein Selbstporträt Magrittes gleich am Anfang der Ausstellung: Zu sehen ist der Künstler vor der Leinwand. Er malt einen Vogel, während sein Blick auf ein Ei gerichtet ist. Das bestechend logische Bild ist auch ein ironischer Kommentar auf surrealistische Kollegen, die sich manchmal als prophetische Visionäre wähnten.
Dass Magritte dem Schönheitsbegriff "zufälliger Begegnungen" von Regenschirmen und Nähmaschinen Adieu gesagt hatte, demonstriert auch das Gemälde "Les Vacances de Hegel" ("Hegels Ferien"). Zu sehen ist ein Regenschirm, auf dessen Spitze ein Glas Wasser. Dialektik also, im Bild: "Ich dachte", schrieb Magritte, "dass Hegel dieses Objekt mit den zwei gegensätzlichen Funktionen sicher sehr gut verstanden hätte: gleichzeitig Wasser abstoßend und aufnehmend."
"Magritte arbeitete sein Leben lang daran, der Malerei die gleiche Bedeutung zu geben wie Worten. Er wollte zeigen, dass man in Bildern denken kann. Kämpferisch war er da zunächst in seiner Auseinandersetzung mit den Dichtern, besonders den surrealistischen Dichtern. Als Dichter waren für sie selbstverständlich Worte wichtiger als Bilder. Zumal sie Hegelianer waren und für sie – getreu Hegels Ästhetik – die Dichtkunst einen viel höheren Rang hatte als die Malerei."
Das Misstrauen gegenüber Bildern in der philosophischen Tradition war das große Thema - Kurator Didier Ottinger sagt: der große Kampf - des Malers Magritte in der Nachkriegszeit. In Vitrinen sind Briefe zu lesen, die Magritte den Philosophen Alphone de Waelhens und Michel Foucault schrieb. "Es gibt Denken, das sieht und das sichtbar beschrieben werden kann", schrieb er an Foucault.
Der Maler durch die philosophische Brille betrachtet
Dass Magritte genau das meisterhaft konnte zeigt die Pariser Ausstellung mit hundert klug ausgewählten Bildern - darunter vielen selten gezeigten Leihgaben aus Privatsammlungen. Zum Beispiel einem wunderbaren Gemälde zur alten Frage: "Was war zuerst da?" Zu sehen sind da unter dem humorvollen Titel "Variante der Traurigkeit" ein Ei im Eierbecher, ein Huhn und ein weiteres Ei.
Besonders intensiv setzte sich Magritte mit jenem philosophischen Text auseinander, der wohl wie kein anderer Bilder und Abbildungen in Verruf gebracht hatte: Platons Höhlengleichnis. In dem Bild mit dem Titel "La condition humaine" hat er die antike Allegorie illustriert. Den Schattenbildern in der Höhle, die bei Platon die trügerische Abbildung der Welt bedeuten, entspricht bei Magritte ein Landschaftsbild-Fragment auf einer Staffelei vor der Höhle. Ein Bild im Bild, das sich beinahe nahtlos in die gemalte Landschaft einfügt und sie erweitert.
Die Ausstellung, sagt Didier Ottinger, lädt dazu ein, die Bilder Magrittes durch eine philosophische Brille betrachten. Und damit gelingt im Centre Pompidou tatsächlich, was Museen oft vollmundig versprechen und selten einlösen, nämlich ein neuer, inspirierender Blick auf einen modernen Klassiker. Ist der Maler Magritte also ein Philosoph?
"Er blieb ein Poet, ein Künstler und er hatte auch gar nicht den Anspruch, ein Philosoph zu werden. Im Gegenteil: Er malte die Philosophen als Typen, die in ihren eigenen Pfeifen versinken. Ein Philosoph war für Magritte jemand in einem von der Welt abgeschotteten Universum, während Maler und Poeten mit der Welt kommunizieren."
Und Magritte, das zeigt die fulminante Ausstellung in Paris, kommuniziert mit seinem Spätwerk vor allem eine Botschaft: "Ich denke, also male ich ...".